Der Fundort – Fiktion und Wirklichkeit

Mein Kopf arbeitet offensichtlich nicht chronologisch, wenn es um Mord geht, denn die Stelle, die ich zuerst im Kopf hatte, war der Fundort und nicht der Tatort. Ich sah die Leiche klar vor meinem inneren Auge, und ich sah sie an einem meiner Lieblingsorte – der Bucht von Gavin Maxwell. Ein ganz besonderes Stückchen Erde mit einer einzigartigen Atmosphäre.

Gavin Maxwells Bucht

Was (W)Orte uns bedeuten

Ich komme gern hierher. Ich mag die Geschichte des Ortes und außerhalb der Saison oder am frühen Morgen ist selten einer da. Hier sollte die Leiche also gefunden werden, hatte ich beschlossen. Und um mir das ganz genau vor Augen zu führen, war ich eines Morgens nach Sandaig gewandert, um die Atmosphäre aufzusaugen, nachzudenken und alles genau zu dokumentieren.

Was würde Gavin Maxwell wohl sagen, wenn er noch lebte, dass ich in seiner Bucht eine Leiche finden ließ? Unter seinen Büchern findet sich kein Krimi und keine Darstellungen von Gewalt. Seiner und der Geist dieser Bucht sind explizit friedlich. Genau deshalb sollte dieser Ort Teil des schrecklichen Verbrechens werden. Schreiben würde ich natürlich nicht hier, sondern zuhause in meiner Hütte.

Schreibhütte – Sonnendeck

Fiktion und Realität im Krimi

Das saß, ging und dachte ich am Strand von Sandaig, hörte den Möwen zu und dem Gemurmel der Wellen am Strand. Und ich machte mir Notizen, indem ich meine Gedanken in mein Telefon sprach. Dieser Moment, an dem sich Fiktion und Realität treffen und dann auf besondere Weise vermischen. Ich nahm einen Schluck von meinem Kaffee und war mir sicher: Dieser Krimi würde sich fast von selbst schreiben.

Morgenkaffee

Im Krimi liest sich das dann so

Die Bucht badete in der Sonne, wohlwissend um ihre Schönheit im großen Reigen der überwältigenden Natur. Gegenüber, auf der Insel Skye, ragten die wilden Cuillins ins satte Blau. Eine tiefe Wintersonne glitzerte Kräusel ins Meer. Knoydart war nicht mehr als ein dunkler Schattenriss in der Ferne. Langsam drückte die Flut kraftvolle Wellen an den Sandstrand, der von grasgesprenkelten Dünen umsäumt war. Dahinter der Fluss, der gemächlich im Halbrund zum Meer floss, nachdem das Wasser sich von dem Fall über den steilen Abhang beruhigt hatte. Dies war Maxwells Ring of Bright Water. Das Zusammenspiel all dieser schon in sich selbst schönen Teile machte die Bucht von Sandaig zu einem der schönsten Flecken dieser Erde.

Nellie Merthe Erkenbach

Demnächst: Orte verbinden, Menschen erfinden

einsam mit Otter

Sandaig (25)Die schottischen Highlands sind aus vielerlei Gründen eine Herausforderung für das Seelenkostüm der Menschen; Wetter, Wildnis, Winterdunkel … die Liste zu bewältigenden Dinge ist lang.

Gerade im Winter, wenn es erst gegen 10 Uhr richtig hell wird (richtig hell ist hier relativ, denn bei Regen oder Nebel wird es den ganzen Tag nicht richtig hell) und mit dem Sonnenlicht auch schon kurz nach 15 Uhr wieder Schluß ist.

Dazu kommt die Einsamkeit, die viele Menschen nur schwer ertragen können, dieses Verschwinden in der Grösse der Naturgewalten.

Gavin Maxwell mit OtterOtter (7)Seit ich die Bücher von Gavin Maxwell gelesen habe, wollte ich den Ort sehen, der noch einsamer ist als der, an dem wir wohnen. Ja, das gibt es tatsächlich. Er schrieb, wie ich, er beobachtet Otter wie ich aber er tat alles noch viel intensiver. Viel intensiver!

Sandaig (49)

Ein paar Sonnenstunden Sonne ziehen mich nach draußen, durch den Schneematsch den Mam Ratagan hinauf und hinüber nach Glenelg und von dort Richtung Arnisdale. Eine kleine Wanderung von der Straße hinunter zum Meer und zur Sandaig Bucht, wohin Maxwell sich zurück gezogen hatte, um zu schreiben und der Welt abhanden zu kommen.

Sandaig (72)Was für ein traumhafter Ort. Winterwolken säumen den Horizont, die Gezeiten formen Sandwellen und Steine. Ein kleiner Fluß fliesst um das Grasland ins Meer. Eine Häuserruine rottet am Rand der Bucht vor sich hin. Sein Angestellter und Freund Jimmy Watt wohnte hier, er kochte für ihr und erledigte alle möglichen Aufgaben. Für ihn war Maxwell eine Art Vaterfigur.

Diese Diashow benötigt JavaScript.

Maxwells Haus ist längst abgebrannt, nicht ist mehr übrig als ein Gedenkstein über der Asche des 1969 verstorbenen Schriftstellers. Ein paar Meter entfernt unter einer hohen Tanne liegt sein Otter Edal begraben. Besucher haben Muscheln und Steine an den Gedenktafeln hinterlassen.

Ein friedvoller, idyllischer Ort. Herrlich im Sommer, wenn die Tage endlos blau wie das Meer sind. Anders im Winter, wenn die Stürme vom Meer her über die Bucht ziehen. Bis zur nächsten menschlichen Siedlung ist es eine Dreiviertel Stunde Fußmarsch. Ist ihm diese Einsamkeit nie zuviel geworden? Er war ein Romantiker, oft melancholisch, immer intensiv fühlend, lebhaft und amüsant, empfindsam, manchmal schwierig. Ein Genie sagen die, die ihn gekannt haben. Seine Trilogie „Ring of Bright Water“ sucht definitiv ihresgleichen.

Sandaig (41)

Ob er einsam war, oder nur allein frage ich mich als ich hier an seinem Grab sitze und die Schönheit der Natur in mich aufsauge. Gibt es einen schöneren Ort auf der Welt?

Gavin Maxwell (1)Ich denke über Maxwell nach, er war ein faszinierender Mann, entstammte dem Adel, war homosexuell, bereiste den Irak und Marokko, arbeitete für den Britischen Geheimdienst im 2. Weltkrieg, fuhr Autorennen, war ein aussergewöhnlicher Schrifsteller (seine Bücher beeinflussten eine ganze Generation), er war voller Ideen aber er war auch depressiv und frustriert. Er mochte die Menschen wohl nicht besonders. Er liebte die Natur und seine Tiere. Sein Haus brannte 1968 ab, Otter Edal starb dabei. Alles war vorbei. Sein Camusfeàrna wie er es in den Büchern nannte, war nicht mehr. Ein Jahr später, 1969, starb auch Maxwell. Er hatte Krebs.

Sandaig (77)

Er ist noch immer hier. In der Natur und bei seinem Otter. Wahrscheinlich hat er es genau so gewollt.

Ich glaube er war nicht einsam, er war einfach nur gerne allein. Oder nicht gerne unter Menschen.

Und wo kann man das besser sein, als in den schottischen Highlands.

Eine großartige BBC-Dokumentation zu Gavin Maxwell.

https://www.youtube.com/watch?v=JP0IR2qWR50