Zeitreise ohne Steinkreis

Fort George ist wieder einmal Gastgeber der Celebration of the Centuries. Von Samstag, 13. August 2022 bis Sonntag, 14. August 2022 werden Reenactors die mächtige Festung mit einer lebendigen Zeitleiste, die über zweitausend Jahre schottische Geschichte darstellt, zum Leben erwecken.

So die offizielle Ankündigung von Historic Scotland. Mehr Infos gibt es hier.

Aber wie fühlt sich das an? Diese schottische Zeitreise ganz ohne Steinkreis?

Celebration of the Centuries, Fort George (82)

von schottischen Schlachten und anderen schrägen Wochenendveranstaltungen

Sonntag war Zeitreisetag. Der Mann und ich sind früh aufgestanden und nach Norden gefahren, um in die Welt der Pikten, Kelten und Römer einzutauchen, um Mittelalter zu erleben und uns den Ersten und Zweiten Weltkrieg anzusehen. Alles hinter 12 Meter hohen Sandsteinmauern.

Celebration of the Centuries, Fort George (59)

Fort George, ein paar Meilen außerhalb von Inverness, der Hauptstadt der Highlands, gleich neben dem Flughafen. Eine Befestigungsanlage aus dem 18. Jahrhundert, gebaut von den Engländern um das aufrührerische Schottland nach dem gescheiterten jakobitischen Aufstand von 1745 zu befrieden.

Die Anlage dient heute noch als Garnison und beherbergt die Soldaten der sogenannten Black Watch, das 3. Bataillon des Royal Regiment of Scotland. Eine alte und hochdekorierte Einheit. Sie sind so was wie die Superstars der schottischen Militärgeschichte. Allerdings geht auch ihre Zeit in Fort George zu Ende.

Celebration of the Centuries, Fort George (12)

Am Wochenende war hier alles anders: Celebration of the Centuries. Für die Freunde längst vergangener Tage. Ein geschauspielerter Einblick in diverse Volksgruppen und Jahrhunderte – ein wenig wie Braveheart trifft die Ritter der Tafelrunde bevor der mit Indiana Jones dann Zurück in die Zukunft fliegt.

Sie waren alle da, die Schotten, die bei der Schlacht von Bannockburn 1314 einen ihrer wichtigsten Siege über die Engländer feierten.

Die Römer, die Britannien besetzten aber im Norden nach Schottland hin eine Mauer bauen mussten, um vor den wilden Pikten Ruhe zu haben.

Celebration of the Centuries, Fort George (18)

Die wiederum saßen friedlich und blau tätowiert am Feuer.

Celebration of the Centuries, Fort George (120)

Mittelalterliche Ritter pflegten Schwerter und Schilde. Die Frauen bereiteten die traditionellen Bannocks auf offenem Feuer zu.

Und die Soldaten hatte Weltkrieg.

Wir hatten nach drei Stunden und insgesamt 1500 Jahren Geschichte genug gesehen und gingen mit ein paar mittelalterlichen Bauern, einem Pestarzt und Soldaten mit Hellebarden dem Ausgang entgegen.

Celebration of the Centuries, Fort George (2)

Im Auto hab ich sicherheitshalber mal das Smartphone angemacht und den Kalender geprüft. Nur um ganz sicher zu sein, daß wir auch im richtigen Jahrhundert nach Hause fahren.

 

Campbells Canna

John Lorne Campbell war ein Farmer, Fischer, Gelehrter, Lepidopterologe und ein Sammler und Bewahrer von gälischen Liedern und Gedichten. Seine Familie hatte Landbesitz, war aber nicht adlig. Von klein an streifte John durch Wiesen und Wälder, die seiner Familie seit Generationen gehörten. Sie waren die Campbells of Inverneill.

John und seine Brüder Charles, Colin und George wuchsen in der Obhut ihrer Gouvernante, einer gewissen Miss Martin, und der Großeltern auf. Die Eltern waren viel unterwegs und kümmerten sich nicht sonderlich um die Kinder. Der Großvater war einer der typisch viktorianischen Patriarchen, der in Indien gedient hatte und die Enkelkinder im Kilt und Dudelsack spielend zur Kirche führte. Adlige und Militärs gingen ein und aus in Inverneill und Taynish House.

Der Erste Weltkrieg hatte verheerende Folgen für die Finanzen der Familie und die beiden Landsitze. Man musste nach London umziehen, Geld war knapp. John ging nach Oxford und studierte. Er war nun ein echter Gentleman, den nichts von einem klassischen Adligen mit Landbesitz unterschied. Nichts als eine Sache, das nötige Geld, um sich diesen Lebensstil auch leisten zu können.

Er war ein stiller, unsicherer Mann, der zurückgezogen lebte. Seine Leidenschaft waren die Schmetterlinge und die gälische Sprache. Er lernte sie von den Angestellten auf Taynish House und er sollte sich sein Leben lang der Faszination dieses klangvollen Idioms nicht mehr entziehen können. Sein erster Lehrer war Hector MacLean von der Insel Tiree, Lehrstoff war das Neue Testament.

Nach Abschluss eines Studiums und Jahren der Forschung veröffentlichte John Lorne Campbell die Highland Songs of the Forty-Five, die Lieder der Highlands, die den Aufstand von 1745 unter Prinz Charles Edward Stuart gegen die Engländer zum Thema hatten. Ihn interessierte nicht nur die Sprache sondern auch der politische Inhalt dieser Lieder, er verurteilte die Vorurteile, die viele der Sprache entgegen brachten und er verurteilte die Ignoranten, denen nicht klar war, dass Gälisch die Sprache der Hälfte der schottischen Bevölkerung war, die die Engländer nach 1745 auszuradieren versucht hatte. Wo es um seine politischen Überzeugungen ging war von der Scheu des jungen Mannes nichts mehr zu spüren, er war ein leidenschaftlicher Verfechter seiner politischen Überzeugungen.

Zunächst lebte er mehrere Jahre auf der Insel Barra, wo er sich erfolgreich für die Probleme der Fischer einsetzte und er wehrte sich gegen die Straßensteuern, die man auf Barra bezahlen musste, obwohl es auf der Insel so gut wie keine Straßen gab.  Den Norden und den Süden verband nur der Traigh Mhòr, der große Strand, der bei Ebbe befahrbar ist und heute als Flughafen genutzt wird.

Dann lernte er die Musikerin Margaret Fay Shaw kennen und heiratete sie 1935. Beide konvertierten später zum katholischen Glauben. Die Zeremonie wurde auf Gälisch abgehalten. Margaret teilte Johns Leidenschaft für die Erhaltung der gälischen Sprache und Kultur. Sie wollte sie aufzeichnen, um sie der Nachwelt zu erhalten. Und damit begann ihr gemeinsames Projekt, die Lieder von Barra aufzunehmen, in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts war das in Gegensatz zu heute eine ziemlich aufwändige Aufgabe.

Nun begann sich John immer mehr politisch für die Inseln und ihre Lebensgemeinschaften einzusetzen. Immer mehr verließen die Inseln, auf St. Kilda, auf Raasay, auf Eigg. Er suchte nach Wegen, die es möglich machten auf den Inseln ein Auskommen zu haben und damit die Kultur der Inseln zu erhalten. Die meisten der kleineren Inseln waren in sogenannte sporting estates verwandelt worden, also reine Jagdreviere für reiche Großgrundbesitzer und ihre Gäste.

John Lorne Campbell lebte inzwischen auf Canna und überlebte da auch den Zweiten Weltkrieg unbeschadet. Die Inselbewohner konnte sich im Gegensatz zu den Menschen in London gut ernähren. John und Margaret waren nun so etwas wie das Zentrum der gälischen Forschung. Sie pflegten interessante Freundschaften, Gavin Maxwell und die Dichterin Kathleen Raine gehörten zu den Besuchern. Mit der „guten Gesellschaft“ von Argyll hatten die beiden allerdings weniger am Hut, zu reaktionär für den Geschmack des Paars.

Unter großen finanziellen Opfern und dank einer unerwarteten Erbschaft gelang es John Lorne Campbell Canna zu kaufen. Er lebte dort viele Jahre und schuf auf der Insel mit viel Leidenschaft die wirtschaftlichen Voraussetzungen für ein unabhängiges Leben.

Iain Latharna Caimbeul, so sein Name auf Gälisch, starb an einem Herzinfarkt kurz vor seinem 90. Geburtstag. Margret starb wenige Tage nach ihrem 101. Geburtstag Seine Insel schenkte er 1981 dem National Trust for Scotland.

Quelle und weiterführende Literatur: Ray Perman: The Man Who Gave Away His Island. A Life of John Lorne Campbell of Canna. Edinburgh, Birlinn, 2013