Nellie eiskalt

Auch die andere Nellie macht ihre Erfahrungen mit schottischen Männern und durchlebte die erste Krise. Nicht alle schottischen Schlachten liegen in der Vergangenheit, manchmal gibt es sie im eigenen Haus. Oder besser gesagt, im Haus des anderen, auf fremdem Territorium. Wir sind ja dazu gezogen.

„Eine Frau braucht doch etwas mehr persönlichen Stauraum als eine freie Schublade“, sagt sie.

So eine Situation ist nicht immer leicht und gerade in den Wintermonaten kann man sich nicht aus dem Weg gehen. Die Erfahrung machen natürlich nicht nur wir deutschen Frauen, aber wir haben hier nicht das soziale Netzwerk und die „Fluchtmöglichkeiten“, die Frauen haben, die von hier kommen.

Nellie war also auf der Suche nach einer bezahlbaren Bleibe und ein wenig Abstand. Dream on! Hätte ich ihr am liebsten zugerufen als sie mir davon erzählt. Träum weiter. Bezahlbaren Wohnraum? Es gibt überhaupt keinen Wohnraum und wenn, dann ist er in der Regel nicht bezahlbar mit den Löhnen, die hier gezahlt werden. In der Regel bekommt man den Mindestlohn und die Mieten liegen bei sieben bis zehn Euro pro Quadratmeter, es gibt schlicht keine kleinen Wohneinheiten, keine Einzimmerapartments. Dazu kommen die Nebenkosten, die trotz der Preisdeckelung der Regierung seit 2022 exorbitant hoch sind. 

Im Vereinigten Königreich kauft man Wohneigentum und mietet nicht, aber der Durchschnittspreis einer Immobilie in den Highlands liegt bei rund £207.000 also je nach Kurs um die €236.000. Wer kann das bei den Gehältern bezahlen? Zudem laufen die meisten Jobs hier nur von April bis Oktober, also während der Touristensaison. In dem Wintermonaten muss man von dem leben, was man während des Sommers angespart hat.

Die Frage ist nun, wo leben?

Pittenweem Hafen @nme Abenteuer Highlands

Nellie hat sich hier inzwischen eine Existenz aufgebaut, Freundschaften geknüpft, sie fühlt sich hier zuhause und will verständlicherweise nicht weg. Nun braucht sie eine bezahlbare Unterkunft. Ich kenne Einige, die mit Mitte Zwanzig und sogar mit Mitte Dreißig noch bei den Eltern leben, weil sie es sich schlicht nicht leisten können, alleine zu wohnen.

Nellie ist da ganz anders. Die ist eine coole Socke und weil sie in der Gegend schon so gut vernetzt ist, hat sie unter der Hand gehört, dass ein Haus frei steht und vermietet werden soll, sobald einige kleinere Arbeiten abgeschlossen sind. Nellie hat herausgefunden wo und es sich angesehen. Ein Traum! Genau, was sie gesucht hat.

„Es ist mir ganz egal, wie es drinnen aussieht!“, ruft sie euphorisiert. Sie kann es sich nicht leisten, wählerisch zu sein und das Haus liegt wirklich sehr schön und ruhig. Ich kann sie gut verstehen, es ist ein traditionelles Cottage mit schönem Blick und nur zehn Minuten von ihrem jetzigen zuhause entfernt. Da würde ich auch einziehen.

Sie wird mir als Nachbarin fehlen. Den Weg zwischen den beiden Häusern haben wir schon den Nellie-Nellie-Weg getauft. Man kann ihn auf der Straße oder oben am Berg gehen. Und es dauert zu Fuß nur eine knappe halbe Stunde, zum neuen Haus eher eineinhalb, im Winter im Dunkeln ist das keine Option. Aber wenn sie happy ist, bin ich auch happy.

Nur, noch hat sie es ja nicht.

Wir entwerfen einen Masterplan. Sie backt ihr legendäres Shortbread und besucht die Eigentümer. Bei Kaffee und Keksen kann man in den Highlands viel erreichen. Zumal die Familie zu den Einheimischen gehört, das heißt sie lebt seit mindestens fünfzig Generationen vor Ort. Die haben eine präzise Vorstellung davon, wie so etwas zu laufen hat. Wenn sie ihre Lage schildert – Beziehung ist in der Krise, wahrscheinlich zu Ende, sie muss raus aus dem Haus- dann könnte das die Entscheidung für positiv beeinflussen. Außerdem kann sie einige Leumundszeugen angeben. Und sie hat sich einen Ruf erarbeitet, für Sauberkeit und Ordnungssinn. Nicht zuletzt, weil sie in ihrem Job, bevor sie in der Küche war im Housekeeping gearbeitet hat, also die Zimmer im Hotel gemacht hat. So jemanden will man doch als Mieterin, denke ich. Nun will Nellie auch ihre potenziellen Vermieter von der Idee zu überzeugen.

Und das tut sie, besucht die Vermieterin und bliebt zum Plausch, hakt dann nach einer Woche nochmal nach und schaut erneut, scheinbar zufällig, vorbei. Dann hat sie sie weichgekocht und darf besichtigen.

Das Haus ist alt und hat kleine Zimmer, aber sie mag es und warum auch nicht, es hat Charme, auch wenn die Möblierung etwas altmodisch und abgewohnt daherkommt. Nellie hätte wie ich lieber ihre eigenen Sachen um sich, aber leere Mietwohnungen sind nicht existent. Wenigstens kann sie ihr eigenes Bett mitnehmen, muss aber das vorhandene auseinanderbauen und irgendwie verstauen. Ich würde mich in fremden Sachen nicht wohl fühlen, aber Nellie kann und hat dem Haus schnell und effizient ihren eigenen Stil hinzugefügt.

Kintail winter @nme Abenteuer Highlands

Auch die Beziehung hat sich wieder einigermaßen eingerenkt und alles könnte so schön sein. Wenn da nicht der Winter wäre! Es regnet, es windet und es ist kalt und Nellie findet heraus, was es bedeutet, in einem schlecht isolierten Haus mit Nachtspeicherheizungen zu leben. Nachtspeicherheizungen sammeln Wärme in der Nacht, wo der Strom billiger ist, und gebe sie am Tag wieder ab. Das Problem bei Nellie ist, die Wärmeabgabe ist so gering, dass sie nicht mehr als zwölf Grad in der Bude hat. Und das, obwohl die Heizung volle Pulle läuft und sie Kilowattstunde für Kilowattstunde Geld den Kamin hoch bläst. Energetisch eine Katastrophe.

Ach ja, sie hat sogar zwei Kamine, die aber mehr für Zugluft als für Wärme sorgen. Ein offenes Feuer macht eben nicht sehr warm und ist auch problematisch im Unterhalt, wenn man aus dem Haus muss. Also hat sie überall Heizlüfter stehen, friert und ist gefrustet, weil sie viel Geld bezahlt, und es trotzdem nicht warm ist. Und die Vermieter? Die finden das alles völlig normal. Wahrscheinlich ist es bei ihnen nicht wärmer und sie leben schon seit Jahrzehnten so. Man könnte überlegen, ob es nach Jahrzehnten nicht vielleicht Sinn machen könnte, Heizkörper auszutauschen. Je mehr Nellie nachhakt und Alternativvorschläge macht, desto mehr blocken sie.

Und Nellie friert. Und friert. Und friert. Ausgerechnet in diesem Jahr dauerte der Winter länger als sonst. Im April liegt immer noch Schnee und die Temperaturen fallen des Öfteren noch unter den Gefrierpunkt. Wie sich jetzt herausstellt, hatte das Haus schon immer einen Ruf, ein kaltes Gemäuer zu sein. Nellie lebt in einer Gefriertruhe und noch ist der Frühling nicht in Sicht, während die Vermieter auf dem Standpunkt beharren, dass das alles normal ist.

Ich werde Nellie für das nächste Treffen mit den Vermietern von der schottischen Redewendung erzählen, die man benutzt, wenn der andere Blödsinn redet. Daran soll sie denken, wenn sie mit ihren Vermietern redet. Das wird sie aufheitern.

Yer bum’s oot the windae! Dein Popo hängt zum Fenster raus!

Pittenweem @nme Abenteuer Highlands

Abenteuer Highlands 3 – Ja hört das denn nie auf!

Nach den ersten Erfahrungen mit den Highlands habe ich das erste Buch geschrieben: Abenteuer Highlands – mein etwas anderes Leben im schottischen Hochland. Damals noch ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass es vielleicht mehrere geben könnte. 

Die Jahre gingen ins Land und die Abenteuer wurden nicht weniger. Deshalb, und weil ich immer wieder gefragt wurde, ob es nicht bald einen zweiten Teil von Abenteuer Highlands gäbe, habe ich ihn geschrieben. Abenteuer Highlands 2.0 – zwischen Schwarzwald und Schottland – alles, was ein Doppelleben in zwei Ländern aufregend und erzählenswert macht. 

Nun ist Abenteuer Highlands offiziell eine Serie und der nächste Band Abenteuer Highlands 3 – Ja hört das denn nie auf! seit Oktober 2023 als Taschenbuch und eBook bei Amazon verfügbar. 

Nellie Merthe Erkenbach

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