Judas Maccabaeus: Händel, der Duke of Cumberland und die Musik der Machtudas Maccabaeus war für mich lange Zeit der Klang von Weihnachten – festliche Trompeten, triumphale Chöre, der Sound eines Sieges. Doch dann sah ich eine Dokumentation von Lucy Worsley, die mir eine neue Perspektive eröffnete. Diese Musik war mehr als ein festlicher Ohrwurm, sie war politisch aufgeladen, verknüpft mit einer der brutalsten Episoden in der Geschichte Schottlands.
Der Duke of Cumberland: Vom Helden zum „Butcher“
Das Oratorium feiert den Duke of Cumberland, den Sieger von Culloden. In Schottland nennt man ihn nur den „Butcher“. Nach der Niederlage der Jakobiten ließ er das Hochland brutal unterwerfen: Verwundete wurden erschossen, Dörfer niedergebrannt, ganze Familien ausgelöscht. Sein Ziel war nicht nur die Zerschlagung der Rebellion, sondern die Zerschlagung einer ganzen Kultur. Die gälische Sprache, die Clansysteme, die traditionelle Kleidung – all das wurde systematisch unterdrückt, um jede weitere Erhebung unmöglich zu machen. Seine Truppen folgten dem berüchtigten „No Quarter“-Befehl: keine Gefangenen, keine Gnade. Dass Händel diesen Mann musikalisch ehrte, verleiht „Judas Maccabaeus“ eine ganz andere Dimension.

Händel und die Machtelite des 18. Jahrhunderts
Doch warum feierte Händel überhaupt Cumberland? Die Antwort liegt in den engen Verbindungen zwischen der Musik und der Machtelite des 18. Jahrhunderts. Georg Friedrich Händel war ein deutscher Komponist, der sich in London etabliert hatte und dort nicht nur als Musiker, sondern als eine Art kultureller Diplomat wirkte. Die hannoversche Königsdynastie hatte sich gerade erst auf dem Thron gesichert, nachdem Georg I. im Jahr 1714 König wurde – trotz seiner fernen Position in der Erbfolge. Die Stuarts, die eigentlichen Thronanwärter, waren Katholiken, und das Act of Settlement von 1701 hatte ihnen den Weg versperrt. Georg von Hannover, der kaum Englisch sprach und sein Königreich vor allem aus der Perspektive eines deutschen Fürsten regierte, war eine pragmatische, wenn auch unpopuläre Wahl für das Establishment. Doch um seine Macht zu festigen, brauchte es kulturelle Symbole – und genau hier kam Händel ins Spiel.

Händel als musikalischer Architekt der Monarchie
Händel war ein Meister darin, sich in das System einzufügen und die Bedürfnisse seiner Gönner zu bedienen. Sein Talent und seine Fähigkeit, sich an politische Strömungen anzupassen, machten ihn zum führenden Komponisten seiner Zeit in England. Er komponierte für Könige, Adelige und für das Bürgertum, das ihn ebenso verehrte. Seine Werke waren nicht nur Unterhaltung, sie dienten auch der politischen Legitimation. Mit „Zadok the Priest“ schuf er eine Hymne für königliche Krönungen, die bis heute gespielt wird. „Judas Maccabaeus“ war eine weitere Huldigung an die herrschende Macht – die Musik eines Siegers für einen Sieger.
Der gnadenlose Feldherr: William Augustus, Duke of Cumberland
William Augustus, Duke of Cumberland, war genau dieser Sieger. Als jüngster Sohn von Georg II. genoss er eine hervorragende militärische Ausbildung und wurde früh auf seine Rolle als Verteidiger der Krone vorbereitet. Doch sein Ruf als brillanter Stratege wich bald dem Bild eines gnadenlosen Feldherrn. Seine Niederschlagung des Jakobitenaufstands 1746 war nicht nur eine militärische, sondern auch eine psychologische Kriegsführung. Nach Culloden folgte die „Pacification of the Highlands“, eine systematische Verfolgung der Jakobiten und aller, die sie unterstützt hatten. Seine Politik hinterließ tiefe Wunden, die bis heute in Schottland nachwirken.
Die Stuarts: Die verlorene Hoffnung der Jakobiten
Die Stuarts hingegen standen für eine ganz andere Vorstellung von Monarchie. Sie beanspruchten den Thron als direkte Nachkommen von Maria Stuart und versprachen, das Land wieder unter katholische Herrschaft zu bringen. Doch ihre Nähe zu Frankreich und der katholischen Kirche machte sie für viele im Parlament untragbar. Der gescheiterte Jakobitenaufstand von 1745 war der letzte große Versuch, die Stuart-Dynastie wieder auf den Thron zu bringen – und er endete in einem Fiasko.

Händels musikalisches Vermächtnis – mit Schattenseiten
Für Händel war das alles Hintergrundrauschen. Ihm ging es um seine Musik und seine Mäzene. Die Krone war die beste Adresse für Förderung, und Händel verstand es meisterhaft, seine Werke an die Bedürfnisse seiner Gönner anzupassen. Seine Werke wurden zu klanglichen Monumenten der Herrschaft – feierlich, triumphal, geeignet für große Zeremonien und öffentliche Aufführungen. Werke wie „Messiah“, „Samson“ und eben „Judas Maccabaeus“ wurden nicht nur aus künstlerischer, sondern auch aus politischer Perspektive zu nationalen Symbolen. Die Musik feierte nicht nur religiöse oder historische Figuren, sondern auch den Status quo der Monarchie und die militärischen Erfolge des Königshauses.
Doch sein Erfolg hatte auch eine Kehrseite: Händel dominierte die Musikszene so stark, dass einheimische Komponisten kaum eine Chance hatten. Während in anderen Ländern eigene musikalische Traditionen florierten, wurde die Insel musikalisch von einem deutschen Meister geprägt. Es dauerte fast anderthalb Jahrhunderte, bis mit Edward Elgar im späten 19. Jahrhundert wieder ein Komponist aus dem Vereinigten Königreich ins internationale Rampenlicht trat. Erst mit ihm kehrte eine eigene musikalische Identität zurück, die nicht mehr vollständig von importierten Komponisten und deren Stil geprägt war.

Elgar statt Cumberland Sausages
Elgar liebe ich. Seine Musik ist für mich der Inbegriff von Tradition und Eleganz – und untrennbar verbunden mit Sonntagszeitung lesen und Lunch im Pub. Eine Atmosphäre von Beständigkeit und Ruhe, eingebettet in eine Musik, die gleichzeitig stolz und nostalgisch klingt. Aber dann bitte ohne Cumberland Sausages. Die sind ebenfalls gestrichen – genau wie Judas Maccabaeus.
Fazit: Musik als Machtinstrument
„Judas Maccabaeus“ ist also nicht nur Musik, sondern auch ein politisches Statement. Es feiert einen umstrittenen Sieg, steht für eine Zeit, in der Kunst ein Mittel der Machtdemonstration war, und spiegelt die enge Verbindung zwischen Kultur und Politik wider. Die BBC-Dokumentation von Lucy Worsley, die übrigens auch auf YouTube zu finden ist, hat mir diese Zusammenhänge erst wirklich vor Augen geführt. BBC sei Dank – das ist öffentlich-rechtlicher Journalismus, wie er sein sollte.





































