Der Panda auf der Intensivstation

Der Panda liegt in seinen letzten Zügen. Damit ist kein knuffiges Tier gemeint, der Satz bezieht sich auf das Auto. Der Mann hat einen Dienstwagen und benutzt den kleinen nur, wenn er muss. Ich gurke die meiste Zeit mit der Rostlaube durch die Gegend, außer ich habe meinen eigenen Wagen aus Deutschland mitgebracht.

An einem sonnigen Tag im April bin ich unterwegs nach Glen Strathfarrar. Ich will den Großteil des Tages dort verbringen, etwas Wandern, Friedhöfe erkunden, eine Fahrt durch die Natur genießen. Der Panda lebt noch, sozusagen, keucht aber ziemlich. Mehrere Warnleuchten erzählen mir von diversen Problemen, doch der Mann will mit einem neuen Auto noch warten und den Panda fahren, bis er tot ist. Eine Entscheidung, die viele hier treffen, man sieht die Autoleichen oft in den verwilderten Gärten vor sich hin rosten. Fortbewegungsmittle jener, die zu hoch gepokert haben und es nicht mehr rechtzeitig zum Autohändler geschafft haben. Der Mann ist zuversichtlich, dass es uns nicht so geht und wir noch viel Zeit haben.

Ich fahre also los und kümmere mich nicht um die Leuchten. Ein entspannter Tag liegt vor mir, ich habe Urlaub und in der letzten Zeit viel gearbeitet. Tag für Tag merke ich, wie der Stress immer mehr von mir abfällt und ich ein wenig ruhiger werde, mehr Natur und andere Gedanken aufnehmen kann, weil der Kopf freier ist.

Rhododendron und Schmetterling @nme Abenteuer Highlands

Gerade fahre ich den letzten Anstieg hinauf, bevor mich die Straße nach Strathglass führt, von wo aus Glen Strathfarrar abzweigt. Als ein seltsames rotes Lämpchen aufleuchtet, das mir erst mal nichts sagt. Bei der nächsten Gelegenheit halte ich an und erkunde seine Bedeutung im Bordhandbuch. Es ist das ABS. Nicht gut. Ales, was mit bremsen zu tun hat, sollte funktionieren. Ich fahre wieder ein paar Meter und teste die Bremsen. Alles fein.

Okay, denke ich, Vielleicht einfach nur ein Fall von nervösen Lampen. Dan erreiche ich den Kamm des Hügels und die gut ausgebaute Straße geht bergab. An der nächsten Kurve sieht die Lage schon anders aus. Ich bremse leicht und das Auto klingt, als würde jemand mit einem Vorschlaghammer gegen die Radkappen hauen.

der alte Pamnda @ERM

In einer Haltebucht bringe ich den Wagen zum Stehen und überlege. Zuhause ist knapp zwei Stunden entfernt. Da komme ich so nicht mehr hin. Die nächste Werkstatt ist vermutlich in Dingwall. Auch das ist ein gute Stück weg. Ich rufe am besten den ADAC. Prüfend sehe ich mich um. Ich habe alles, was ich brauche. Die ADAC-Karte, eine Thermoskanne Kaffee, Sandwiches, Müsliriegel, eine Flasche Wasser und ein Telefon mit vollem Akku. Fein!

Der ADAC nimmt den Fall auf und sagt mir, dass sie den Fall an die schottischen Kollegen weitergeben werden. Von denen wird mich dann jemand kontaktieren. Ich soll das Telefon anlassen und in der Nähe des Autos bleiben. Allerdings dauert es eine ganze Weile, bis mein Telefon wieder klingelt. Die Frau am anderen Ende der Leitung klingt nicht schottisch. Freundlich nimmt sie alle meine Daten auf. Das Kennzeichen? Puh. Ich muss aussteigen. Das kann ich nicht auswendig. Sie sagt, es kann ein bis zwei Stunden dauern, bis Hilfe kommt.

Kein Problem, sage ich. Ich habe wirklich alles, was ich brauche. Dazu bin ich im Wald, was es einfacher macht, wenn man den Kaffee, den man getrunken hat, wieder loswerden möchte.

Nach zwei Stunden ist noch immer keiner in Sicht. Ich rufe die Nummer zurück, unter der mich die Frau vom AA angerufen hatte. Es gibt einen Fehler im System, weil das Kennzeichen nicht stimmt. Was ich für ein großes I gehalten habe, ist offensichtlich eine 1, aber die schreibt man im Vereinigten Königreich ja nur als Strich.

Hab ich auch Schokolade dabei? Ich könnte jetzt Zucker vertragen.

Eine Stunde später, ich höre gerade der True Crime Podcast Sprechen wir über Mord, da sehe ich einen gelben Transporter den Anstieg zu mir hochfahren. Das muss er sein! Und ja, er biegt auf den Parkplatz ab, auf dem ich stehe und lässt kurz die orangefarbene Warnleuchte aufblinken.

Es steigt ein junger Mann aus, der in seinem Leben wohl etwas zu viel Schokolade gegessen hat. Er ist sehr freundlich und sehr gesprächig. Um diese Jahreszeit bleiben nicht viele liegen. Da ist er froh, wenn es etwas zu tun gibt. Dann vertieft er sich in das Handbuch und holt diverse Analysegeräte aus deinem Auto. Er lässt sich die Symptome beschrieben und kommt nach einer gewissen Zeit zu den schottischsten aller Lösungen: alles in Ordnung, das System hat einen Hau. Es meldet einen Fehler im ABS und das Auto reagiert, obwohl es nicht müsste. Wenn er das ABS ganz ausstellt, passiert das nicht mehr. Dazu zieht er den Stecker und ich soll demnächst in die Werkstatt, um es richten zu lassen.

Ich nicke. Es in der Werkstatt richten zu lassen war nicht Teil des Plans, den Panda sterben zu lassen. Nun soll ich das Ergebnis testen. Ich starte den Wagen und bremse den Berg runter und wieder raus.

Alles fein.

„Kaffee?“ frage ich. Ich habe noch was in der Thermoskanne.

„Nein danke“, sagt er. „Habe gerade zu Mittag gegessen.“

Dann plaudern wir noch ein wenig über das Wetter und die Pannen, die er während der Saison so hat. Klingt sehr international und abwechslungsreich. Er macht jedenfalls den Eindruck eines Mannes, der mit sich und der Welt zufrieden ist. Das ist bei mir nicht anders. In Deutschland hätte mich eine Panne gestresst. Aber hier, mit Zeit, Verpflegung und einem netten Retter ist das einfach ein weiteres Abenteuer Highlands, das zu einem guten Ende gefunden hat.

Mit einem Blick auf die Zeit beschließe ich, den Ausflug abzubrechen und direkt wieder nach Hause zu fahren. Der Tag neigt sich dem Ende entgegen, ich habe beim Abendessen viel zu erzählen.

Ein Jahr später lebt der Panda immer noch, ist aber auf der Intensivstation. Das fällt nur nicht so auf, weil ich dieses Mal mit meinem deutschen Wagen nach Schottland gefahren und nicht geflogen bin. Der Panda wird nicht genutzt. Will man ihn benutzen, zum Beispiel weil man die Auffahrt braucht, dann sitzen die Bremsen fest. Die lösen sich irgendwann, oft aber braucht es Gewalt. Der Mann beschließt, es braucht ein neues Auto und sieht sich im Internet nach Gebrauchten um. Er entscheidet sich für einen Dacia, weil er hofft, beim Händler einen guten Preis für den sterbenden Panda zu bekommen.

Mir ist alles recht, solange der Panda nur vom Hof kommt, denn meine Angst ist, dass er für immer bleibt, wenn er erst gar nicht mehr fährt. Im Nachbarort hat einer vier tote Autos vor dem Haus und der Mann findet das gar nicht komisch. Ich habe also Grund, mir Sorgen zu machen.

Keys

Es war einer dieser wunderbaren Sommertage, die mit strahlendem Sonnenschein und einem stahlblauen, wolkenlosen Himmel nach draußen locken. Wie immer um diese Jahreszeit, war ich früh wach und voller Drang, die Schönheit der schottischen Highlands zu erleben. Es war Wochenende und ich musste nicht arbeiten.

Um halb sechs Uhr sitze ich im Auto. Die Sonne steht bereits recht hoch, die Tage beginnen früh um diese Jahreszeit. Noch ist es frisch, aber nicht kühl, definitiv ein Tag für Dreiviertelhosen und T-Shirt. Sonnenbrille nicht zu vergessen. So oft kann man die nicht tragen, ohne deplatziert auszusehen.

walking througfh gorse @nme Abenteuer Highlands

Ich bin unterwegs zu einer Wanderung. Unterwegs halte ich am Eilean Donan Castle und werfe den Glasmüll in die Container auf dem Parkplatz der Gemeindehalle. Die ersten Touristen machen bereits Fotos, einer startet seine Drohne. Ja, im Vereinigten Königreich darf man Drohnen fliegen, obwohl eine Straße daneben liegt, und man darf an einem Sonntagmorgen um kurz nach sechs Flaschen in den Glascontainer werfen. Das sollte man mal im Schwarzwald versuchen!

Ich lächle und fahre weiter bis zum Parkplatz des Estates, den bewirtschafteten Großgrundbesitz. Ein Estate kann Wald-, Viehwirtschaft oder Jagd betreiben. Der Besitzer hat alles, Wald, Rotwild, Schafe und Hochlandkühe und vor allem eine sehr lange, geteerte Straße und im Anschluss einen guten Schotterweg. Man kann wandern, ohne sich durch Matschwüsten zu kämpfen und ohne jeden Schritt auf glitschigem Untergrund vorsichtig abwägen zu müssen. So kann man sich viel besser auf die Natur und seine Gedanken konzentrieren. Ist vielleicht nicht ganz so aufregend, aber mir gefällt’s.

Ich bin mit meinem deutschen Auto nach Schottland gekommen und stelle es auf dem Parkplatz ab. Happy wandere los, die Zufahrt hinauf zu den Wirtschaftsgebäuden, an der großen Halle vorbei, wo das Vieh sortiert wird und weiter entlang dem Fluss und der Weiden. Schafe überall, rechts, links, vor mir und hinter mir. Nach einer halben Stunde, habe ich die Schafe und das geteerte Stück Straße hinter mir gelassen. Nun führt der Weg durch eine große Herde Hochlandkühe, die ich (Nellie, the Kid) vor nicht allzu langer Zeit unfreiwillig vor mir hergetrieben habe. Inzwischen kennen sie mich, glaube ich und ich gehe tapfer durch die Herde durch.

Highland Cow staring at me @nme Abenteuer Highlands

Dann wird es einsamer, vereinzelt lugt ein Hirsch vom Hügel, Habichte kreisen, oder ein Bussard, ich bin mir da nicht so sicher, aber der Vogel unterstreicht unabhängig von der Gattung das Gefühl von Einsamkeit und wilder Natur.

Iron Lodge view
@nme Abenteuer Highlands

Nach neun Kilometern habe ich mein Ziel erreicht, ein kleines Loch. Hier setze ich mich auf meinen Lieblingsstein mit Blick aufs Wasser und weiter ins Tal. Ein schöner stiller Ort. In meiner Thermostasse habe ich meinen Morgenkaffee dabei und den genießen ich in vollen und durstigen Zügen. Um mich herum nur Vogelgezwitscher, der Wind und das Murmeln der Bergbäche. Friedlicher geht es nicht. In meinem Rucksack habe ich auch noch ein Sandwich und einen Müsliriegel, aber nach dem Kaffee bin ich nicht mehr hungrig. Außerdem esse ich nicht so gerne, wenn ich noch weiter laufe. Ich bin ja mit Stöcken unterwegs und das recht schnell. Frühstücken kann ich auch noch am Auto, denke ich. Dann ist es zwar schon Mittag, wird mir aber umso mehr schmecken.

Ich reiße mich von meinem Lieblingssitzplatz los und mache mich auf dem Rückweg. Langsam wird es heiß. Rechts und links duftet der wilde Ginster. Ich könnte nicht zufriedener sein. Insgesamt bin ich etwas über vier Stunden unterwegs und komme hungrig ans Auto. Ich packe die Stöcke in dem Kofferraum, lege meinen kleinen Rucksack und das Handy auf die Beifahrerseite und will gerade einsteigen, da fällt mir ein, dass ich mich noch nicht gedehnt habe.

Also dehne ich akribisch Beine und Arme. Derart entspannt brauche ich jetzt dringend Frühstück. Mein Magen knurrt. Ich öffne die Autotür …

Ich versuche die Autotür zu öffnen.

Wieso geht diese VERD***TE Autotür nicht auf?

Mein Schlüssel liegt auf der Beifahrersitz, mein Essen liegt auf dem Beifahrersitz, mein Handy liegt auf dem Beifahrersitz und ich stehe wie ein Idiot davor und komme nicht ran.

Mein schöner deutscher Mittelklassewagen hat mich ausgesperrt!

Wie kann das sein. Der Schlüssel ist doch programmiert, dass der Mechanismus nicht schließt, solange er im Auto ist. Ich bin mir sehr sicher, dass man mir das beim Händler so gesagt hatte. Ich war immer sehr sorglos damit umgegangen deswegen. Bisher hatte es sich auch nie von alleine geschlossen. Bisher!

Da stehe ich nun, ungefähr eine Dreiviertelstunde Autofahrt von zu Hause entfernt, ohne Telefon und ohne Auto. Das zu laufen schaffe ich nicht mehr, ich bin gerade knapp 20 Kilometer gewandert. Und selbst wenn mir das gelingt, was dann? Der Zweitschlüssel liegt zu Hause in Deutschland. Bis der mit der Post hier wäre, dauert es Tage und auch wenn ich eine Zeit ohne eigenes Auto auskäme, mein Telefon ist noch drin und ich arbeite remote. Die Zugänge funktionieren nur über Zweifaktor-Authentifizierung über mein Handy. Ich könnte nicht arbeiten.

Was soll ich tun? Das Fenster einschlagen? Der Wagen ist erst wenige Monate alt! Das kann doch nicht die Lösung sein. Und der Mann? Der vermisst mich erst am Abend. Er ist selbst unterwegs, wird sich wohl wundern, warum ich keine Nachrichten beantworte, aber da er weiß, wie schlecht der Empfang hier ist, wird er sich erst mal keine Sorgen machen. Bis das so weit ist, vergehen noch einige Stunden. Ich bin auf mich selbst gestellt.

sheep @nme Abenteuer Highlands

Ich denke nach. Wenn ich zurück zu den Häusern gehe, kann ich vielleicht jemanden finden, der für mich den ADAC anruft. Die haben bestimmt Mittel und Wege, ein Auto zu öffnen und anschließend den Alarm zum Schweigen zu bringen. Meine ADAC-Karte ist natürlich ebenfalls im Auto eingeschlossen, aber die werden mich auch so im System finden. Guter Plan, denke ich und mache mich auf den Weg zurück zu den Gebäuden. Ein weiterer Kilometer, auf den meine müden Beine gerne verzichtet hätten.

Als ich am Morgen vorbeigekommen bin, waren überall Männer in Autos unterwegs gewesen. Nun ist alles wie ausgestorben. Mittagszeit. Ich kann niemanden entdecken. Also gehe ich zu einem der Häuser. Spielzeug liegt im Garten verstreut. Vor der Tür stehen ein paar klobige Arbeitsstiefel. Scheint, als wäre jemand zuhause. Ich klopfe und warte. Die Tür öffnet sich und ein schlanker Mann Ende Zwanzig öffnet die Tür. In der Hand hält er eine dampfende Tasse.

„Hallo, entschuldige bitte die Störung. Ich stehe vorne auf dem Parkplatz und habe mich ausgeschlossen. Leider ist auch mein Handy im Auto. Wärst du so nett, den AA für mich zu kontaktieren?“

Der AA ist der ADAC im Vereinigten Königreich. Die würde man von Deutschland ohnehin bitten, die Hilfe durchzuführen.

„Gar kein Problem“, sagt er und stellt seine Tasse ab. „Passiert mir dauernd. Das erledigen Donald und Davy für ein paar Pfund. In meinen brechen die auch immer ein. Das kostet nicht viel, kann aber ein paar Kratzer im Lack verursachen.“

Ich bin müde, hungrig und ratlos und Kratzer sind mir gerade völlig egal. Wenn man hier den Automobilclub nicht ruft, dann eben Donald und Davy.

„Ich bin übrigens Nellie“, sage ich.

„Harris“, antwortet er. Er gehört zu den Generation, in der alle Schotten Inselnamen tragen.

Harris zückt sein Handy und ruft Davy an. Nachdem er ihm den Fall geschildet hat, reicht er mir das Telefon weiter. Davy erklärt auch mir nochmal, dass sie vorsichtig sind, aber es Kratzer geben kann.

„Das ist okay“, sage ich und mache mir mehr Sorgen wegen der Alarmanlage. Doch die ist für ihn offensichtlich kein Problem. Ich bedanke mich und lege auf.

„Und?“ fragt Harris.

„Er hat noch Kundschaft, aber dann kommt er. Er sagt es ist kein Problem“ erläutere ich.

„Dann fahr ich dich schnell ans Auto vor. Ich muss leider auch wieder los, aber auf dem Rückweg schaue ich nach, ob alles geklappt hat. Okay?“

„Danke, Harris!“

Und dann. Bin ich wieder am Auto. Der Parkplatz ist eine ordentlich geteerte Fläche von rund zehn auf zwanzig Meter, eine Seite ist mit einer halbhohen Mauer umfasst, auf der anderen führt eine Böschung hinunter zu den Weiden. Dort steht auch eine kleine Bank. Genug Platz zum Sitzen habe ich schon mal, denke ich. Mein Magen knurrt laut. Hätte ich doch nur gefrühstückt! Wenigstens ist es warm und falls es kühler wird, habe ich noch mein Hoody, das ist zugegeben eher dünn, aber besser als nur das T-Shirt.

Ich warte. Wieviel Kundschaft Donald und Davy wohl haben? Ich habe keine Uhr. Wir spät es wohl ist? So ohne Handy ist man ganz schön verloren. Also sitze ich da und denke. Wie lange es wohl dauert, bis man verhungert? Zuerst verdurstet man wohl. Ich sehe mich um. Hier ist ein kleiner Bach. Das Schicksal wird mich also nicht ereilen. Wann Donald und Davy wohl kommen?

Irgendwann taucht ein Mann um die Sechzig auf. Der muss zu den Auto gehören, dass außer meinem auf dem Parkplatz steht. Da er noch nicht da war als ich geparkt hatte, muss er wohl später gekommen sein und wohl eine andere Route genommen haben. Sonst hätte ich ihn ja getroffen. Ich wünschte, wir hätten den ADAC angerufen. Dann hätte der Mann jetzt nochmal anrufen und nachfragen können. So aber habe ich weder einen richtigen Firmennamen noch eine Telefonnummer von Donald und Davy. Ich weiß aber, wo die Werkstadt ist. Ich erkläre den Wanderer mein Problem und er weiß auch, wo die Werkstatt ist. Der nette Engländer ist übers Wochenende zu Besuch und gerne bereit, auf dem Heimweg in der Werkstatt vorbeizufahren und Donald und Davy daran zu erinnern, dass eine inzwischen sehr hungrige Frau auf Rettung wartet.

Ich sehe seinem Auto hinterher und fühle mich sehr alleine. Inzwischen ist es fünfzehn Uhr. Wann kommen sie endlich?

Als sie dann eine Weile später endlich auftauchen, könnte ich weinen vor Glück. Endlich!

Donald und Davy sind im selben Alter wie Harris, wahrscheinlich waren die zusammen auf der Schule. Sie steigen aus und erklären mir, was sie vorhaben. Donald wird Keile in die Beifahrertür treiben. Dann wird Davy versuchen, mit einem Stück Draht auf den Schlüssel zu drücken, der auf dem Beifahrersitz liegt. Dann würde sich die Tür öffnen.

Ich nicke. Es ist inzwischen 16:35 Uhr und ich habe Sorge, dass ich vor lauter Hunger Halluzinationen habe. Die Prozedur dauert. Die Keile wollen nicht richtig sitzen, der Draht gibt zu sehr nach, ich, die Geduldlosigkeit in Person, muss zusehen und warten. Und warten. Warten. Langsam wird es kalt. Ich ziehe meinen Hoody an und friere trotzdem. Die beiden sind noch immer im T-Shirt unterwegs. Schotten. Anderes Temperaturgefühl.

Dann beschließt Donald, dass er einen festeren Draht braucht. Sie sehen im Auto nach. Sie haben keinen. Oh nein! Bitte lass sie nicht wieder wegfahren, um einen dickeren Draht zu holen. Das wäre Donald gar nicht in den Sinn gekommen, er nimmt eine Drahtschere und geht zum nächsten Zaun, um dort ein passendes Stück rauszuschneiden. Dann versucht er es wieder.

Beep, beep.

Die Tür ist auf!

Die Tür ist auf!!!

DIE TÜR IST AUF!!!

Ich habe Tränen in den Augen und würde die beiden am liebsten umarmen.

Schnell mache ich alle Türen auf und nicht wieder zu. Sicher ist sicher. Dann nehme ich die Schlüssel an mich, um sie nie wieder loszulassen.

Donald und Davy schauen zufrieden und nicht sonderlich beunruhigt über die Tatsache, das ich auch kein Bargeld dabei habe, um sie zu bezahlen. Ich bekomme die Bankdaten und soll überweisen. So viel Vertrauen haben sie. Obwohl mein Auto ein deutsches Kennzeichen hat.

„Was schulde ich euch?“

Die beiden sind eine gute halbe Stunde hierher gefahren und haben weit über eine Stunde versucht, das Auto zu öffnen. Ich habe keine Vorstellung, was sie verlangen und es ist mir auch gar nicht in den Sinn gekommen, davor danach zu fragen. Der ADAC wäre für mich als Mitglied ja kostenlos gewesen.

Davy schaut unsicher. Donald wagt sich langsam aus der Deckung und fragt vorsichtig.

„Sind Vierzig Pfund okay?“

„Ja“, sage ich erleichtert. „Vierzig Pfund sind okay. Ich überweise sie euch, sobald ich zuhause bin.“

Ich setze mich hinters Steuer und drinke einen großen Schluck Wasser. Dann falle ich über meine Sandwiches und den Müsliriegel her.

Wie konnte das passieren. Ich krame nach dem Bordhandbuch. Da steht es. Das Fahrzeug wird nicht abgeschlossen, solange der Schlüssel im Kofferraum liegt.

IM KOFFERRRAUM?

Wer legt denn seinen Schlüssel in der Kofferraum?

Ich jedenfalls nicht.

Dan steige ich aus und prüfe die Beifahrertür. Die Gummidichtung ist beschädigt, es sind Kratzer im Lack und die Tür schließt nicht mehr bündig. Das wird teurer als vierzig Pfund. Viel teurer. Ob der ADAC das auch so gelöst hätte?

Was solls, denke ich. Ich kann es jetzt nicht mehr ändern. Ich nehme mein Telefon und prüfe die Nachrichten.

Der Mann hat vor zehn Minuten geschrieben. Schatz, bei dir alles okay? Ich hab den ganzen Tag nichts von dir gehört?

Erst einige Wochen später traue ich mich wieder auf dieselbe Wanderung. Den Autoschlüssel hüte ich wie einen Schatz. Es fehlt nicht viel und ich hätte ihn während der gesamten Tour in der Hand behalten. So etwas passiert mir kein zweites Mal. Ich bin gut eine halbe Stunde unterwegs, da kommt ein Pickup auf mich zu. Ein älterer Farmer, mit dem ich gelegentlich geplaudert habe. Er hält an und lässt die Scheibe runter.

„Schöner Tag heute“, sagt er.

„Oh ja, könnte nicht besser sein“, erwidere ich.

Er schaut mich prüfend an, um dann mit todernster Stimme zu sagen:

„Und? Hast du deine Schlüssel?“

Iron Lodge @nme Abenteuer Highlands

Abenteuer Highlands 3 – Ja hört das denn nie auf!

Nach den ersten Erfahrungen mit den Highlands habe ich das erste Buch geschrieben: Abenteuer Highlands – mein etwas anderes Leben im schottischen Hochland. Damals noch ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass es vielleicht mehrere geben könnte. 

Die Jahre gingen ins Land und die Abenteuer wurden nicht weniger. Deshalb, und weil ich immer wieder gefragt wurde, ob es nicht bald einen zweiten Teil von Abenteuer Highlands gäbe, habe ich ihn geschrieben. Abenteuer Highlands 2.0 – zwischen Schwarzwald und Schottland – alles, was ein Doppelleben in zwei Ländern aufregend und erzählenswert macht. 

Nun ist Abenteuer Highlands offiziell eine Serie und der nächste Band Abenteuer Highlands 3 – Ja hört das denn nie auf! seit Oktober 2023 als Taschenbuch und eBook bei Amazon verfügbar. 

Nellie Merthe Erkenbach