last chance saloon

Wollen wir uns diese Woche treffen?

Die andere Nellie kann Gedanken lesen, daran hatte ich auch gerade gedacht. Ich hatte nämlich gelesen, dass eines der Hotels in der Gegend wieder aufmacht. Im Januar hat hier alles zu und viele hängen auch noch den Februar oder gar den März dran. Will man im Winter Essen gehen, hat man nur sehr wenig Auswahl und muss oft weit dafür fahren. Umso willkommener die Erkenntnis, dass es einen Koch in der Nähe gab, der etwas gegen hungrige deutsche Mägen unternehmen konnte. Mann musste nur einen Berg rauf und wieder runter, schon war man da.

Sehr gerne schreibe ich zurück und schlage das Hotel vor. Da waren wir letzten Sommer zusammen Essen gewesen und hatten es beide großartig gefunden. Wir verabreden uns auf Freitag, denn donnerstags ist dem Facebook-Account zufolge Quiznacht. Das dann doch lieber nicht.

Das Gleiche denkt auch der Mann, als ich ihn frage, ob er mit will.

„Beim Frauenabend?“ Er lacht. Zwei Nellies sind wohl ein bisschen zu viel für ihn.

Ich aber freue mich sehr. Endlich mal wieder raus aus dem Haus und einmal nicht kochen!

Der Schotte der anderen Nellie hat auch keine Lust, an einem kalten und regnerischen Winterabend das Haus zu verlassen. Wir schon und das Wetter stört uns nicht, Nellie ist eine souveräne und sicher Fahrerin mit deutschen Allwetterreifen.

Zur Sicherheit schreibe ich am Nachmittag noch eine Mail ans Hotel und bitte um einen Tisch für zwei. Ich glaube zwar nicht, dass sehr viel los sein wird, aber sicher ist sicher. Allerdings kommt keine Antwort, was nicht untypisch ist, meist macht einer alles um diese Jahreszeit und vielleicht hat der Koch keine Zeit, am PC zu sitzen.

Pünktlich holt Nellie mich ab und wir fahren los. Auch Emma darf natürlich mit. In den meisten Pubs und Cafés hier sind Hunde kein Problem und wir haben schließlich Mädelsabend. Da darf sie nicht fehlen!

Eine knappe halbe Stunde später betreten wir das Hotel. Ein kalter, kaum beleuchteter Vorraum führt zur Bar. Vorsichtig tasten wir uns voran. Ob da wirklich auf ist. In der dunkel getäfelten Bar brennt ein Kaminfeuer, verbreitet aber weder Wärme noch Wohlfühl-Atmosphäre.

An der Bar steht ein Dutzend Männer, die Hälfte davon in wasserdichter Kleidung und Gummistiefeln, Farmer und Jungs von der Fischfarm. Einer der Männer ohne Gummistiefel hat ebenfalls eine Hündin, die er eng an der Leine hält. Alle starren und entgegen. Nellie und ich sind die einzigen Frauen und man möchte meinen die einzigen Frauen auf dem Planeten.

Nellies erste Reaktion ist, die Flucht zu ergreifen und für eine Sekunde geht es mir genauso, doch kann kommt sofort die störrische Feministin in mir durch: Nicht mit mir, meine Herren!

Emma und die andere Hündin beschnuppern sich misstrauisch, während wir feststellen, dass zwar das Pub aufhat, aber nicht die dazugehörige Küche. Es wird also kein Abendessen geben. Mein Magen knurrt.

Was also tun? Es gibt ein anderes Hotel, das vielleicht Essen serviert, aber da müssen wir wieder zurück, wo wir hergekommen sind.

„Sollen wir erst was trinken?“ fragt die andere Nellie.

Das finde ich eine gute Idee. Schließlich hat keine von uns dreien vor, feige den Rückzug anzutreten, nur weil wir in einem Pub voller angetrunkener Männer gelandet sind, die uns mustern als hätten sie noch nie eine Frau gesehen. Die andere Nellie ist auch Biker und taff.

dann halt ein Bier @nme Abenteure Highlands

Eine der Männer in wasserdichten Hosen, wirrem grauem Bart und prominentem Bauch macht anzüglich Bemerkungen über die two bitches, die man besser nicht von der Leine lässt Es ist ziemlich klar, dass er damit uns und nicht Emma und die andere Hündin meint. Das Wort bitch bedeutet sowohl „Hündin“ als auch „Schlampe“, zumindest in der Altersgruppe des Mannes, der es benutzt hat. Die Generation TikTok verwendet es anders.

Ich überlege, ob ich ihm an die Gurgel gehe, entscheide mich jedoch für Gnade wegen verminderter Zurechnungsfähigkeit. Aber ich grolle wie ein gereizter Hund. Wir trinken unser Bier, meins mit Alkohol, das der anderen Nellie ohne und treten den geordneten Rückzug an.

Kurz bevor wir die Bar verlassen, bringt das Röhren ein ausgewachsenen Hirschs die Gläser zum Klirren. Unsere Köpfe fahren herum. Ein Hirsch? Im Pub?

Schuldbewusst blickt der Besitzer des anderen Hunds zu Boden. Dann entschuldigt er sich hektisch. Die anderen Männer schauen mit offenen Mündern den Schauspiel zu. Wenn Frauen in der Bar sind, darf man nicht mal mehr ungestört rülpsen!

Was für ein Auftakt zu unserem Mädelsabend!

Draußen lachen wir uns schepps und machen und fröhlich auf den Weg zum nächsten Pub. Wir haben so einen Hunger! Unterwegs wird aus dem Regen langsam Schnee. Bis morgen früh ist hier alles weiß. Emma schaut erwartungsfroh. Sie liebt Schnee.

Es ist kurz nach acht Uhr und der Parkplatz des anderen Pubs ist bis auf den letzten Platz besetzt. Hier ist die Hölle los. Wären wir nur gleich hierhergekommen.

in der Nacht sind die Burgen schön und die Mägen leer @nme Abenteure Highlands

Nellie öffnet die Tür und geht voran. Drinnen herrscht ein wildes Durcheinander von Menschen, Stimmen und Musik. Wir arbeiten uns zur Bar vor. Im Essbereich sind die Tische zu einer großen Tafel zusammengestellt worden und eine große 80 aus Luftballons hängt an der Wand. Hier findet wohl gerade ein Geburtstag statt. Wenige Sekunden später drückt und küsst mich der Jubilar. Es ist Löwenbändiger, der Mann aus dem Nachbardorf, der früher wohl mal beim Zirkus war. Wann und wo weiß keiner mehr so genau. Und wie er wirklich heißt, weiß wohl nur der Postbote. Und seine Frau vermutlich. Während Löwenbändiger und ich plaudern, recherchiert Nellie die Küchenlage. Sie arbeitet in dem Bereich und kennt sich aus.

Wie befürchtet hat die Küche um acht Uhr zugemacht. Wir haben unser Abendessen um wenige Minuten verpasst. Mist!

Nellie plaudert mit einem älteren Paar, das gerade aus dem Süden hergezogen ist. Sie nicken zögerlich in meine Richtung und schweigen. Man merkt nicht nur am Akzent, wer Schotte ist und wer nicht.

„Sollen wir hier noch was trinken?“ frage ich. Bier hilft ja durchaus gegen Hunger.

Essen bleibt ein frommer Wunsch @nme Abenteure Highlands

„Nein“, sagt Nellie organisiert wie immer. „Es gibt noch ein Pub mit Hotel. Da sind wir in einer Viertelstunde. Die Küche könnte noch auf haben.“

Wir verabschieden uns von den angelsächsischen Austern und geben Gas. Im Auto knurren unsere Mägen laut. Ich muss wieder kichern. Bier auf leeren Magen!

Auf dem Parkplatz vor Pub Nummer drei angekommen, springen wir aus dem Auto und rennen förmlich hinein. Es ist 8:33 Uhr.

„Gibt es noch was zu essen?“ rufe ich atemlos, laut, ohne auch nur hallo oder Guten Abend zu sagen.

Hinterm Tresen zapft eine junge Frau gerade ein Bier. Ihr breites Gesicht lächelt und freundlich an.

„Sorry!“ sagt sie. „Die Küche schließt um halb neun.“

Das war’s. Last chance saloon. Der letzte Strohhalm. Geknickt. Wir müssen hungrig ins Bett, heute Nacht.

Emma schaut und vorwurfsvoll an. Ich zucke mit den Schultern und bestelle zwei Bier und zwei Päckchen Chips. Hilft ja nix.

Als ich nach Hause komme, will der Mann wissen, wie das Essen war. Ich berichte hungrig von unserer Odyssee und der Pub erprobte Schotte meint nur trocken:

„Ihr hättet ein paar Sandwiches mitnehmen sollen.“

Abenteuer Highlands 3 – Ja hört das denn nie auf!

Nach den ersten Erfahrungen mit den Highlands habe ich das erste Buch geschrieben: Abenteuer Highlands – mein etwas anderes Leben im schottischen Hochland. Damals noch ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass es vielleicht mehrere geben könnte. 

Die Jahre gingen ins Land und die Abenteuer wurden nicht weniger. Deshalb, und weil ich immer wieder gefragt wurde, ob es nicht bald einen zweiten Teil von Abenteuer Highlands gäbe, habe ich ihn geschrieben. Abenteuer Highlands 2.0 – zwischen Schwarzwald und Schottland – alles, was ein Doppelleben in zwei Ländern aufregend und erzählenswert macht. 

Nun ist Abenteuer Highlands offiziell eine Serie und der nächste Band Abenteuer Highlands 3 – Ja hört das denn nie auf! seit Oktober 2023 als Taschenbuch und eBook bei Amazon verfügbar. 

Nellie Merthe Erkenbach

Möge die Macht mit uns sein

Wie fahren schon seit geraumer Zeit durch das Nichts. Rechts und links erheben sich kahle, grüne Hügel, der Himmel ist weitgehend grau und auf der Straße treffen wir außer gelegentlich ein paar Schafen keinen Menschen und schon gar kein Auto. Wir sind im ländlichen Raum der schottischen Borders unterwegs. Wir wollen für das neue Buch recherchieren und der Mann will fotografieren. Außerdem kann ich ihn da noch auf ein paar Friedhöfe mitnehmen, die ich schon lange mal sehen wollte.

„Ziemlich einsam hier“, sagt der Mann. „Fast wie auf dem Mond.“

Ich nicke. „Hab dir doch gesagt, dass es abgelegen ist. Deshalb habe ich auch ein Inn gebucht und kein normales B&B. Wir bekommen sonst nirgendwo ein Abendessen.“

Ettrick Water

Den Tisch habe ich auf 19 Uhr reserviert und Google Maps sagt mir, dass wir gegen 18:30 Uhr ankommen.

Tushielaw Inn

Das Tushilaw Inn ist sehr hübsch, außen in traditionellem schwarz-weiß gehalten und innen genau so eingerichtet, wie man sich ein altmodisches Inn vorstellt. Es ist perfekt und liegt idyllisch am Ufer des Ettrick Water in einem grünen Tal. Der Ort besteht aus insgesamt drei Häusern. Das sollte ein ruhiger Abend werden, denke ich.

Die Sonne scheint und die ersten Gäste sitzen an den Gartentischen im Biergarten.

Ja! Es gibt einen Garten, zwar direkt an der Straße aber da kein Auto kommt, macht das überhaupt nichts. Wir können im Freien essen, meint der Chef. Ein Mann jenseits der Sechzig mit grauem Wuschelkopf und einem Star Wars T-shirt.

Draußen essen? Galaktisch! Ich kann mein Glück nicht fassen. Da ist sonst nie das Wetter dazu, weil es entweder regnet oder einen die Mücken auffressen. Und da sind wir nun und genießen die Abendsonne.

Der Chef bringt der Frau am Tisch neben uns seine Sonnenbrille. Ich fühle mich Lichtjahre entfernt von dem Planeten, auf dem Schottland sonst zu finden ist.

Das Abendessen ist klassische Hausmannskost, die Chefin kocht selbst und wir loben sie gebührend, als sie kommt um sich zu erkundigen, ob alles recht war.

Inzwischen ist die Sonne hinter dem Berg verschwunden und es wird schnell deutlich kühler. Wir ziehen nach drinnen um, an der Bar ist die Hölle los. Ein paar Einheimische haben sich eingefunden, dazu ein paar Engländer die entweder hier leben oder hier hingezogen sind. Die Borders sind schließlich Grenzland, nach England kann man fast laufen.

A pro pos laufen. Wir lernen Ivan kennen, der (und das ist nicht zu überhören) aus Neuseeland kommt. KaminfeuerUrsprünglich aber aus Bulgarien. Er ist sehr groß und sehr schlank und er ist zu Fuß unterwegs. Mit einem Stock und einem kleinen Rucksack. Von Land’s End nach John o’ Groates. Von südlichsten Ende Englands zum nördlichsten Punkt des schottischen Festlands. Ein Klassiker unter den Wanderwegen, runde 1400 – 1900 Kilometer je nach Route.  Ivan ist allein unterwegs aber hat sofort festgestellt: seit er in Schottland ist, reden die Leute mit ihm. Das ist ihm in England nicht passiert. Das trifft natürlich nicht auf alle Engländer zu. gerade setzt sich einer an unseren Tisch, er trägt Hosenträger und lebt ein paar Kilometer weiter die Straße runter.

„Kommt doch Morgen bei mir vorbei“, sagt er. Mein Haus ist leicht zu erkennen, ich habe viele Gartenzwerge und Gnome im Garten. Ich stelle mir das ein bisschen wie die Kantine in Star Wars vor. Und mit Ivan habe ich ja auch eine Art Obi-Wan Kenobi am Tisch. Ein OB Van (sprich obi-wan) ist Englisch für Übertragungswagen und Ivan arbeitet in der Filmbranche, gar nicht so weit weg von dem was ich mache beim Fernsehen.

Der Mann unterhält sich mit dem Gnombändiger über Musik, ich mit dem Langstreckenwanderer über Schnitttechniken im Film.

Und als der Chef mit dem Star Wars T-Shirt last orders ruft, da hätten wir alle vier gerne Bar Weinglasgewusst, wie man durch die Zeit reist oder zumindest einen Planeten findet, auch dem die Ausschankzeiten etwas legerer gehandhabt werden. Als ich dann schließlich ins Bett falle, fühlt sich mein Kopf allerdings an, als würde Luke Skywalker damit Kreise drehen und der Mann schnarcht wie ein intergalaktischer Zerstörer.

Möge die Macht mit uns sein, denke ich und schließe die Augen. Möge die Macht mit uns sein!