Die politische Dimension von Händels Judas Maccabaeus

Judas Maccabaeus: Händel, der Duke of Cumberland und die Musik der Machtudas Maccabaeus war für mich lange Zeit der Klang von Weihnachten – festliche Trompeten, triumphale Chöre, der Sound eines Sieges. Doch dann sah ich eine Dokumentation von Lucy Worsley, die mir eine neue Perspektive eröffnete. Diese Musik war mehr als ein festlicher Ohrwurm, sie war politisch aufgeladen, verknüpft mit einer der brutalsten Episoden in der Geschichte Schottlands.

Der Duke of Cumberland: Vom Helden zum „Butcher“

Das Oratorium feiert den Duke of Cumberland, den Sieger von Culloden. In Schottland nennt man ihn nur den „Butcher“. Nach der Niederlage der Jakobiten ließ er das Hochland brutal unterwerfen: Verwundete wurden erschossen, Dörfer niedergebrannt, ganze Familien ausgelöscht. Sein Ziel war nicht nur die Zerschlagung der Rebellion, sondern die Zerschlagung einer ganzen Kultur. Die gälische Sprache, die Clansysteme, die traditionelle Kleidung – all das wurde systematisch unterdrückt, um jede weitere Erhebung unmöglich zu machen. Seine Truppen folgten dem berüchtigten „No Quarter“-Befehl: keine Gefangenen, keine Gnade. Dass Händel diesen Mann musikalisch ehrte, verleiht „Judas Maccabaeus“ eine ganz andere Dimension.

Duke of Cumberland (ChatGPT)

Händel und die Machtelite des 18. Jahrhunderts

Doch warum feierte Händel überhaupt Cumberland? Die Antwort liegt in den engen Verbindungen zwischen der Musik und der Machtelite des 18. Jahrhunderts. Georg Friedrich Händel war ein deutscher Komponist, der sich in London etabliert hatte und dort nicht nur als Musiker, sondern als eine Art kultureller Diplomat wirkte. Die hannoversche Königsdynastie hatte sich gerade erst auf dem Thron gesichert, nachdem Georg I. im Jahr 1714 König wurde – trotz seiner fernen Position in der Erbfolge. Die Stuarts, die eigentlichen Thronanwärter, waren Katholiken, und das Act of Settlement von 1701 hatte ihnen den Weg versperrt. Georg von Hannover, der kaum Englisch sprach und sein Königreich vor allem aus der Perspektive eines deutschen Fürsten regierte, war eine pragmatische, wenn auch unpopuläre Wahl für das Establishment. Doch um seine Macht zu festigen, brauchte es kulturelle Symbole – und genau hier kam Händel ins Spiel.

Georg Friedrich Händel (Chat GPT)

Händel als musikalischer Architekt der Monarchie

Händel war ein Meister darin, sich in das System einzufügen und die Bedürfnisse seiner Gönner zu bedienen. Sein Talent und seine Fähigkeit, sich an politische Strömungen anzupassen, machten ihn zum führenden Komponisten seiner Zeit in England. Er komponierte für Könige, Adelige und für das Bürgertum, das ihn ebenso verehrte. Seine Werke waren nicht nur Unterhaltung, sie dienten auch der politischen Legitimation. Mit „Zadok the Priest“ schuf er eine Hymne für königliche Krönungen, die bis heute gespielt wird. „Judas Maccabaeus“ war eine weitere Huldigung an die herrschende Macht – die Musik eines Siegers für einen Sieger.

Der gnadenlose Feldherr: William Augustus, Duke of Cumberland

William Augustus, Duke of Cumberland, war genau dieser Sieger. Als jüngster Sohn von Georg II. genoss er eine hervorragende militärische Ausbildung und wurde früh auf seine Rolle als Verteidiger der Krone vorbereitet. Doch sein Ruf als brillanter Stratege wich bald dem Bild eines gnadenlosen Feldherrn. Seine Niederschlagung des Jakobitenaufstands 1746 war nicht nur eine militärische, sondern auch eine psychologische Kriegsführung. Nach Culloden folgte die „Pacification of the Highlands“, eine systematische Verfolgung der Jakobiten und aller, die sie unterstützt hatten. Seine Politik hinterließ tiefe Wunden, die bis heute in Schottland nachwirken.

Die Stuarts: Die verlorene Hoffnung der Jakobiten

Die Stuarts hingegen standen für eine ganz andere Vorstellung von Monarchie. Sie beanspruchten den Thron als direkte Nachkommen von Maria Stuart und versprachen, das Land wieder unter katholische Herrschaft zu bringen. Doch ihre Nähe zu Frankreich und der katholischen Kirche machte sie für viele im Parlament untragbar. Der gescheiterte Jakobitenaufstand von 1745 war der letzte große Versuch, die Stuart-Dynastie wieder auf den Thron zu bringen – und er endete in einem Fiasko.

Print Charles Edward Stuart (Chat GPT)

Händels musikalisches Vermächtnis – mit Schattenseiten

Für Händel war das alles Hintergrundrauschen. Ihm ging es um seine Musik und seine Mäzene. Die Krone war die beste Adresse für Förderung, und Händel verstand es meisterhaft, seine Werke an die Bedürfnisse seiner Gönner anzupassen. Seine Werke wurden zu klanglichen Monumenten der Herrschaft – feierlich, triumphal, geeignet für große Zeremonien und öffentliche Aufführungen. Werke wie „Messiah“, „Samson“ und eben „Judas Maccabaeus“ wurden nicht nur aus künstlerischer, sondern auch aus politischer Perspektive zu nationalen Symbolen. Die Musik feierte nicht nur religiöse oder historische Figuren, sondern auch den Status quo der Monarchie und die militärischen Erfolge des Königshauses.

Doch sein Erfolg hatte auch eine Kehrseite: Händel dominierte die Musikszene so stark, dass einheimische Komponisten kaum eine Chance hatten. Während in anderen Ländern eigene musikalische Traditionen florierten, wurde die Insel musikalisch von einem deutschen Meister geprägt. Es dauerte fast anderthalb Jahrhunderte, bis mit Edward Elgar im späten 19. Jahrhundert wieder ein Komponist aus dem Vereinigten Königreich ins internationale Rampenlicht trat. Erst mit ihm kehrte eine eigene musikalische Identität zurück, die nicht mehr vollständig von importierten Komponisten und deren Stil geprägt war.

Edwar Elgars Musik (Chat GPT)

Elgar statt Cumberland Sausages

Elgar liebe ich. Seine Musik ist für mich der Inbegriff von Tradition und Eleganz – und untrennbar verbunden mit Sonntagszeitung lesen und Lunch im Pub. Eine Atmosphäre von Beständigkeit und Ruhe, eingebettet in eine Musik, die gleichzeitig stolz und nostalgisch klingt. Aber dann bitte ohne Cumberland Sausages. Die sind ebenfalls gestrichen – genau wie Judas Maccabaeus.

Fazit: Musik als Machtinstrument

„Judas Maccabaeus“ ist also nicht nur Musik, sondern auch ein politisches Statement. Es feiert einen umstrittenen Sieg, steht für eine Zeit, in der Kunst ein Mittel der Machtdemonstration war, und spiegelt die enge Verbindung zwischen Kultur und Politik wider. Die BBC-Dokumentation von Lucy Worsley, die übrigens auch auf YouTube zu finden ist, hat mir diese Zusammenhänge erst wirklich vor Augen geführt. BBC sei Dank – das ist öffentlich-rechtlicher Journalismus, wie er sein sollte.

Die Sieben Männer von Glenmoriston: Ein Stück schottischer Geschichte

Die Highlands bergen so viele Geschichten – einige sind voller Romantik, andere von Tragik gezeichnet. Doch eine, die mich besonders fasziniert, ist die der Sieben Männer von Glenmoriston.

Die Stille im Corrie Dho ist beinahe greifbar. Zwischen den sanften Hügeln, die Glenmoriston von Glen Affric trennen, liegt dieses breite, fruchtbare Tal – unscheinbar und doch Schauplatz einer bemerkenswerten Episode der schottischen Geschichte. Hier, in den entlegenen Seitentälern des Corrie Dho, fanden einst sieben Männer Zuflucht, die nach der Schlacht von Culloden beschlossen hatten, niemals zu kapitulieren. Sie waren Nachbarn, die zusammenhielten, während andere in der Region ihre Waffen niederlegten. Ihr Versteck, eine Höhle, die als Uamh Ruaraidh na Seilg – die Höhle von Roderick dem Jäger – bekannt ist, bot ihnen Schutz vor den englischen Soldaten.

Ich stehe an einer Anhöhe, von der aus ich das Tal überblicken kann. Der Wind pfeift durch die Gräser, und es ist leicht vorstellbar, wie sich die Sieben Männer in diesem rauen Gelände bewegten, es nutzten, um sich zu verbergen und immer wieder kleine Nadelstiche gegen die verhassten Truppen zu setzen, die ihr Land verwüsteten. Guerillakrieger wider Willen, angetrieben von ihrer Loyalität zu ihrem Land und ihrem Hass auf die Besatzer.

Bonnie Prince Charlie und die Sieben Männer

Im Juli 1746 erreichte Bonnie Prince Charlie erneut das schottische Festland und begab sich auf eine gefährliche Reise durch die Highlands. Die Strapazen forderten ihren Tribut: nass, hungrig und erschöpft gelangte der Prinz am 29. Juli nach Glenmoriston. Sein Führer, ein Mann aus Glengarry, kannte das Versteck der Sieben Männer und schlug vor, dort Unterschlupf zu suchen. Trotz des Risikos nahmen die Männer ihn auf – nicht aus politischen Gründen, sondern aus einem tief verwurzelten Ehrenkodex heraus. Ein jeder von ihnen hätte mit einem Verrat das Kopfgeld von 30.000 Pfund kassieren können. Doch keiner tat es.

Ich frage mich, wie es gewesen sein muss, mit dem meistgesuchten Mann der Highlands in einer Höhle zu hausen. Mitten im Nichts, aufeinander angewiesen, stets in Gefahr, entdeckt zu werden. Die Männer versorgten den Prinzen so gut sie konnten. Einer von ihnen lief sogar nach Fort Augustus, um Brot und Zeitungen zu besorgen – und kehrte mit einem besonderen Geschenk zurück: einem Stück Ingwerkuchen, der kostbarsten Leckerei, die er für den Prinzen auftreiben konnte. Eine kleine Geste, die in ihrer Schlichtheit berührend ist. Ein Moment von Menschlichkeit inmitten von Verfolgung und Unsicherheit.

Nach drei Tagen verlegten sie ihr Versteck in die benachbarte Höhle von Corrie Sgrainge – das „Corrie of Gloom“. Dort blieben sie weitere vier Tage, bevor sie ihre Reise in Richtung Poolewe fortsetzten. Doch die erhofften französischen Schiffe waren bereits weitergesegelt. Und so kehrten sie schließlich nach Glenmoriston zurück, immer auf der Flucht, immer in Bewegung.

Ein unbeugsamer Geist

Ein Laird begegnete später zwei der Sieben Männer und stellte ihnen neugierige Fragen. Wo sie sich verbargen, wovon sie lebten. Doch anstatt zuzugeben, dass sie noch immer im Widerstand waren, gaben sie eine ebenso kluge wie herausfordernde Antwort: „Da die Feinde das Land plünderten, war es nur recht und billig, sich einen Teil der Beute zu nehmen, anstatt alles den Rotröcken zu überlassen.“

Ich spüre fast, wie mir ein Lächeln über die Lippen huscht. Die Tapferkeit, die List und der ungebrochene Stolz dieser Männer beeindrucken mich. Hier, in diesen einsamen Highlands, schrieben sie ein Stück Geschichte – nicht mit Waffen, sondern mit ihrer unbeugsamen Entschlossenheit. Und während ich durch das raue Land wandere, wird mir klar: Es ist nicht nur die spektakuläre Landschaft, die die Highlands so faszinierend macht. Es sind die Geschichten derer, die hier lebten – und kämpften. Heute ist hier, auf Ceannacroc Estate, alles gut in Schuss und bepflanzt, aus den Flüssen zieht man Energie – ein stilles Echo der Vergangenheit, das in die Zukunft reicht.

Flora MacDonald – Heldin der Highlands

Wenn ihr glaubt, dass Claire Fasers (erfundenes) Leben ereignisreich war, dann schaut euch das von Flora MacDonalds an. Ihre Abenteuer waren mehr als nur romantische Fiktion, sie waren real und sicher auch eine gewisse Inspiration für Diana Gabaldon. Das Grab dieser außergewöhnliche Frau ist ein großer Anziehungspunkt auch heute, es liegt auf dem Kilmuir-Friedhof auf der Trotternisch Halbinsel der Isle of Skye.

Eine wahre Heldin Schottlands

Normalerweise ist eine Heldin schön und betörend. Flora MacDonald war zweifellos authentisch, sie war mittelgroß und hübsch, aber es waren ihre Geisteshaltung und ihre Freundlichkeit, die sie bei so vielen beliebt machte. Wie die meisten Geschichten mit einer weiblichen Heldin beginnt diese mit einem Prinzen. In Floras Fall Bonnie Prince Charlie oder Charles Edward Stuart, dem Mann, der ein Recht auf den schottischen Thron hatte, aber gegen die Regierung und ihre Anhänger kämpfen musste, um ihn zu bekommen.

Als er in Schottland landete, war er jung und begeisterte seine Anhänger, hatte aber nur wenige Ressourcen, ein Stern, der bereit war, mit der Unterstützung der Highlander zu glänzen. Letztendlich scheiterte er jedoch und musste nach der blutigen und verheerenden Niederlage von Culloden im Jahr 1746 jede Hoffnung aufgeben, dieses Land jemals zu regieren. Dass er überlebte, verdankte er unter anderem einer Frau: Flora MacDonald.

Charles Edward Stuart auf der Flucht

Der Prinz war auf der Flucht und die Regierung setzte ein Kopfgeld auf ihn aus, die gewaltige Summe von 30.000 Pfund. Niemand hat ihn verraten, auch wenn das Geld im Hochland knapp und das Leben nach Culloden freudlos und ärmlich war. Charles Edward Stuart versteckte sich an allen möglichen Orten, in Häusern, Höhlen und Hütten aller Art überall im Hochland, während er versuchte, den Regierungstruppen auszuweichen und sich in Sicherheit nach Frankreich zu begeben. Cumberlands Truppen waren alarmiert und bereit zuschlagen, sobald sie einen Hinweis auf den Aufenthaltsort des Prinzen erhielten. Jeder, der dem Flüchtling Schutz gab, riskierte sein Leben.

Flora MacDonald – eine außergewöhnliche Frau

Flora MacDonald wurde 1722 in South Uist geboren. Ihr Vater, ein Geistlicher, der für seine außergewöhnliche Muskelkraft bekannt war, starb, als Flora erst zwei Jahre alt war. Ihre Mutter heiratete erneut, aber anstatt mit ihr nach Armadale auf die Isle of Skye zu ziehen, beschloss Flora, bei ihrem älteren Bruder Milton auf den Western Isles  zu bleiben. Sie reiste viel in ihrer Jugend, wohnte genau wie der unglückliche Prinz später oft bei Freunden und Verwandten.

Sie wuchs zu einer Frau mit starkem Glauben und einem Gespür für Recht und Unrecht heran und unterstützte den Prinzen in seinem Kampf um die Krone Schottlands. Sie fühlte sich verpflichtet, ihrem Souverän zu helfen, als er Hilfe nötig hatte. Dabei hatte sie ihn nie getroffen, bis zu dem Moment, als fest stand, dass sie diejenige sein würde, die den Prinzen vor den nahenden Truppen retten sollte. Man hatte alles arrangiert.

Betty Burke alias Charles Edward Stuart

Der Prinz auf der Flucht würde sich als irische Magd Betty Burke verkleiden und gemeinsam mit einem Diener „seine Herrin“ in einem Boot über den Minch nach Skye begleiten, eine Entfernung von ungefähr 65 Kilometern. Eine Herausforderung für ein kleines Boot. Natürlich gab es in dieser Nacht ein Gewitter aber sie schafften es zu ihrem Ziel unentdeckt. Es war der 27. Juni 1746. Die Isle of Skye war kein Ort, an dem man den Prinzen vermuten würde. Die Clans der Insel gehörten nicht zu seinen Anhängern.

an diesem Strand ging der Prinz an Land

Der wahre Skye Boat Song

Sie landeten sicher in Kilbride in der Gemeinde Kilmuir und der Prinz wurde weiter auf die Insel Raasay und später erfolgreich nach Frankreich gebracht, während Flora einige Tage mit ihrer Mutter im Süden von Skye verbrachte, bevor sie nach South Uist zurückkehrte, wo sie verhaftet wurde. Man brachte sie nach England gebracht, wo sie fast ein Jahr als Staatsgefangene zubrachte.

In der Zwischenzeit wuchs ihr Ruhm und sie erhielt viel Bewunderung für ihre Freundlichkeit und Tapferkeit. Sie heiratete Allan MacDonald im Jahr 1750, eine große Hochzeit, bei der die Braut Stuart Tartan trug. Allan war ein mächtiger und gut aussehender Highlander, das Paar hatte zehn Kinder, zwei starben früh, vier Töchter und vier Söhne überlebten die frühe Kindheit.

Amerika und die Piraten

Allan erlitt nach Culloden schwere finanzielle Verluste und war gezwungen außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen, wollte er den finanziellen Ruin verhindern. Also wanderte die Familie nach Amerika aus und suchte in North Carolina ihr Glück, nur um zwei Kinder durch Typhus zu verlieren und in einen weiteren Krieg zu geraten. Ihr Mann trat in die Armee ein, die Royalisten wurden besiegt und er landete im Gefängnis von Halifax, Virginia.

Die gemeinsame Tochter Fanny war krank und mit Zustimmung ihres Mannes machte sich Flora auf den Rückweg nach Schottland, obwohl Allan noch im Gefängnis war. Das Schiff wurde unterwegs von Piraten angegriffen, aber auch das überlebte die Heldin dieser Geschichte. Ihr Mann folgte nach einer Weile und sie lebten für den Rest ihres Lebens auf Skye, bis sie 1790 nach kurzer Krankheit starb.

Flora MacDonald – Grab und Beerdigung

Fast eine Woche lang wurde ihr Körper aufgebahrt, damit die Menschen Abschied nehmen konnten. Die Beerdigung glich einem Staatsakt, gleich zwölf Dudelsackspieler waren in Kilmuir zugegen. Ihre sterblichen Überreste waren in die Laken gehüllt worden, in denen der Prinz geschlafen hatte. Flora MacDonald hatte sie all die Jahre und während ihres ganzen abenteuerlichen Lebens aufbewahrt.

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James of the Glen

Die Geschichte von James Stuart  erzählt von Macht, Politik, Betrug und Ungerechtigkeit. Sie ist so grausam wie wahr und einige Aspekte werden wohl  nie ans Licht kommen. Viele glauben, dass der Appin-Mord einer der größten, wenn nicht der größte Justizfehler in der Geschichte Schottlands war. Das Gesetz machte James of the Glen zu einem Mörder, die Legende machte ihn zum Opfer. Seine Knochen ruhen auf dem alten Friedhof von Keil in Appin. Er starb in Ballachulish am Ufer des Loch Leven am 8. November 1752.

 

Auf dem kleinen Hügel über dem Pier der ehemaligen Fähre (heute verbindet eine Brücke die beiden Ufer) wurde ein Galgen errichtet. Der 50-jährige James Stewart, auch bekannt als Seaumas a ‚Ghlinne, James of the Glen, wurde hier hingerichtet. Er wurde wegen Mordes gehängt, den er höchstwahrscheinlich nie begangen hat. Der mutmaßliche Mörder wurde nicht nicht gerichtet wer wurde ermordet. Auf dem Hügel, auf dem der Galgen stand, ist eine Gedenkstädte aber man muss danach suchen, um sie oberhalb der Brücke zu finden. Parken ist schwierig.

James of the Glen war ein ruhiger und beliebter Mann, er war gebildet, konnte in beiden schottischen Sprachen lesen und schreiben. Er war mit seiner Cousine Margaret verheiratet, die beiden hatten drei Kinder und lebten auf einer Farm in Glen Duror, ein paar Meilen südlich von Ballachulish. Er hatte auf dem Feld von Culloden gekämpft und den Kampf überlebt, um schließlich zu Hause getötet zu werden.

James of the Glen war ein Stewart of Appin und damit natürlich auch ein Anhänger von Charles Edward Stuart. Die Campbells waren Anhänger des englischen Königs und taten sich besonders damit hervor, so viele Stewarts wie möglich von ihrem Land zu vertreiben.  James of the Glen und Colin Campbell, den sie „den roten Fuchs“ nannten, hatten sich in einer Kneipe wegen dieser Vertreibungen geprügelt. Dafür gab es jede Menge Zeugen.

Colin Campbell hatte Räumungsbefehle bei sich, als man ihn am 14. Mai 1752, wenige Tage nach der Kneipenschlägerei, auf dem Weg nach Duror erschossen fand. Ein Mann mit einer Muskete war im Wald verschwunden hatten Augenzeugen behauptet. Wer war dieser Mann? Und wo war er?

Alan Breck, der Pflegesohn von James Stewart, war der offensichtlichste Verdächtige, und sein Pflegevater wurde beschuldigt, an dem Mord beteiligt gewesen zu sein. Breck floh nach Frankreich,  James Stewart wurde  gefangen genommen. Einen Rechtsbeistand gestand man ich erst 36 Stunden vor dem Prozess zu. Richter war der Duke of Argyll, Chef des Clans Campbell. Elf der fünfzehn Geschworenen waren ebenfalls Campbells. Von einer unabhängigen Einschätzung war dieses Gericht weit entfernt. Justitia war nicht blind und James Stewart hatte keine Chance. Er hat sich nie wirklich verteidigt, wahrscheinlich nicht, weil er schuldig war, sondern weil er keinen seiner Verwandten gefährden wollte.

Sie hängten ihn auf, legten ihm dann Eisenketten um seinen Körper und ließen ihn drei Jahre am Galgen hängen. Als der Leichnam abfiel, sammelte seine Frau Margaret ein, was von ihm übrig war und beerdigte die Knochen in der Ruine der Kirche von Keil. Eine kleine Gedenktafel erinnert  daran.

Der ermordete Colin Campbell wurde im Kloster Ardchattan beigesetzt. Dessen Geschichte folgt am nächsten Sonntag.

Chips und das Leben

Ausflüge mit dem Mann sind immer ein kleines bis mittleres Abenteuer, kein Wunder, schließlich ist Schottland immer für eine Überraschung gut. Selbst so ganz unscheinbarer Schatz-ich-muss-für-eine-Schulung-nach-Inverness Trip kann lustiger werden, als es zunächst klingt. Inverness? Da denkt man sich ja nichts außer prima, der Mann ist für vier Stunden beschäftigt und ich kann das „Großstadtleben“ (Inverness hat weniger Einwohner als Baden-Baden ist aber dennoch die Hauptstadt der Highlands) genießen.

Natürlich begleite ich ihn. Dumm nur, dass er bereits um 8 Uhr dort sein muss. Wir fahren also um 6 Uhr los und schweigen in der frühmorgendlichen Findungsphase zu geistigem Bewusstsein gemeinsam so vor uns hin.

Nellie Merthe Erkenbach Abenteuer Highlands Chips und das Leben

Es ist mitten im Winter und deshalb noch ziemlich dunkel, als der Mann mich kurz vor 8 in der Nähe der Fußgängerbrücke (auch shouglie bridge  genannt) zur Innenstadt aus dem Auto lässt und weiterfährt. Ich habe den Rucksack mit der Fotoausrüstung dabei und mache mich über die Wackelbrücke auf zur Old High Church, wo sie den nach der Schlacht von Culloden (1746) gefangen genommenen Schotten in der Kirche den Prozess machten und sie direkt im Anschluss auf dem Friedhof erschossen. Sehr, sehr traurig und mindestens ebenso gruselig, es ist nämlich noch immer nicht hell und ich schlendere durch den blauen Morgendunst zwischen den die Gräber und denke an vergangene Schlachten, die Schotten und England.

Nellie Merthe Erkenbach Abenteuer Highlands Chips und das Leben

Jede Menge Geschichte und ich hab‘ noch nicht mal gefrühstückt. Also auf zu Costa’s da gibt es leckeren Kaffee und Toasties, mir ist nach was Warmem, was mit Käse. Comfort food nennt man das hier, Essen fürs wohlige Gefühl in Magen und Seele. Da ist definitiv was dran.

Nellie Merthe Erkenbach Abenteuer Highlands Chips und das LebenNach einem riesigen Latte Macchiato und einem Käsetoast mit Tomaten ist mir sehr wohlig und ich genieße es Zeit zu haben. Draußen vor der Tür dudelt Dudelsackmusik (kommt da das Wort dudeln her ???) aus den alten Lautsprechern vor dem Touriladen, der mit allerlei Krimskrams, Flaggen, Hochlandkühen als Plüschtier oder Kühlschrankmagnet, Tassen und Nessies in jeglicher Form Schottlandambiente verbreitet.

Die Einheimischen hasten vor dem Fenster vorbei zur Arbeit. Eine sehr magere Frau Anfang sechzig sitzt mit einer dünnen Lederjacke und einer Zigarette draußen im Nieselregen. Sie sieht nicht sonderlich wohlig aus. Aber sie hatte ja auch keinen Käsetoast.

Der Nieselregen scheint nicht mehr aufhören zu wollen, also beschließe ich mich drinnen zu vergnügen. Das Eastgate Center ist das Einkaufszentrum gleich um die Ecke: Schuhläden, Klamotten, Bücher, alles, was frau so braucht. Und einen Schuhmann, der hier witzigerweise nicht Mister Minit heißt. Wieso auch, in Schottland hat man mehr Zeit als nur eine schnöde Minute, auch für den Gummiabsatz, der bis eben noch auf meinen Nietenboots klebte. Billige Schuhe wirklich aber ich mag sie und hätte den Absatz gerne wieder drauf, das nasse Grass auf dem Friedhof muss wohl den Kleber gelöst haben.

„Haben sie Zeit?“ fragt der Schuhmann.

„Selbstverständlich!“ sage ich mit einem Ausrufezeichen. Ich bin ja in Schottland.

Er klebt den Absatz wieder auf und nagelt das Gummi zur Sicherheit zusätzlich. Auf beiden Schuhen. Friedhofssicher sozusagen. Ich sitze auf dem Hocker und baumle mit den Beinen. Mütter zerren ihre quengelnden Kinder vorbei, eine Gruppe jugendlicher Schulschwänzer schert sich nicht um die Sicherheitskameras und fährt Skateboard auf den Gängen. Ich hege Sympathie für diese altmodische Form der Insubordination.

Meine Schuhe sind fertig. Beide Absätze gemacht.

„Zwei Pfund.“ sagt der Schuhmann.

Ich weiß nicht, ob man in Deutschland beim Schuhmann irgendwas für zwei Euro bekommt. Ein Loch im Gürtel vielleicht.

Frisch beschwingt mit neuem Absatz gehe ich ins Schuhgeschäft (ja, diese Schuhe brauche ich), zu H&M (diese Pullover brauche ich nicht wirklich es ist sale und soo bilig) und stöbere im Waterstones’s nach neuem Lesestoff und prüfe, ob sie vielleicht eines meiner Bücher im Regal haben. Leider nicht. Vielleicht sollte ich danach fragen? Ich traue mich aber nicht. Werbung in eigener Angelegenheit zu machen ist mir peinlich.

Nellie Merthe Erkenbach Abenteuer Highlands Chips und das LebenNoch eineinhalb Stunden, bis der Mann mit seiner Schulung fertig ist. Also gehe ich nochmal auf den Friedhof, um noch ein paar Bilder bei Tag zu machen. Es ist noch immer trübe und regnerisch aber die Sonne ist zumindest aufgegangen. Hat außer mir schon mal jemand versucht, mit einer Schuhtüte, einer großen H&M Tüte und einer Tüte Bücher auf einem Friedhof zu fotografieren?

Nein? Kann es nicht empfehlen!

Der Mann hat nun die Schulung hinter sich gebracht. Wollen wir noch eine Kleinigkeit essen, bevor wir wieder zurückfahren? Jetzt wo wir in der Zivilisation sind. Vielleicht im nächsten Pub?

Der Mann lässt sich überreden und steuert das Hootananny an, da gibt es Livemusik. Ich glaube der Mann hat da früher selbst gespielt. Gute Idee denke ich, man hört die Musik bis draußen auf die Straße. Der Laden ist voll und wir müssen an der Bar eine Weile warten, bis wir bedient werden. Essen gibt es hier nicht. Die Drei-Mann-Band ist laut, die Stimmung gut, der Gitarrist fängt an mit einer jungen Frau zu tanzen. Dass er aufgehört hat zu spielen ändert nichts am Sound, stelle ich erstaunt fest. Mit kindlicher Freude schwingt der Mann abwechselnd Gitarre und Tanzbein. Ich glaube, der war nur der Playback Künstler und hat sich mit jeder Menge Enthusiasmus in die Band geschlichen. Neben mir murmelt ein Mann Unverständliches in den Kragen seines Hawaiihemds, hinter ihm haben drei weitere Gäste ihre Rollatoren perfekt in Reihe geparkt, vor mir lächelt eine Mittachzigerin beseelt vor sich hin. Sie scheint allerdings nicht viel um sich herum wahr zu nehmen. Ich schaue mich genauer um, während der Mann bestellt.

Zwischen den vielen Menschen jenseits der 70 entdecke ich Begleitpersonal – das Altersheim hat wohl Ausflug. Der Mann hat mich ins Seniorenpub ausgeführt. Das dämmert ihm auch allmählich und er sieht mich etwas hilflos an mit seiner Cola. Ich trinke mein Pint und finde alles sehr lustig. Den Senioren geht es nicht anders. Partylunch.

Abenteuer Highlands Nellie Merthe Erkenbach

Essen holen wir uns auf die Hand bevor wir aus Inverness rausfahren. Der Mann eine Blätterteigtasche mit einer Wurst drin, „frisch“ aus dem Dauerheizfach des kleinen Supermarkts. Bäh! Ich gehen zum Chippie nebenan und bestelle eine kleine Portion Pommes halb roh mit billigem Malzessig und viel Salz. Und während ich auf meine chips warte, denke ich über das Leben nach und die faszinierende Fähigkeit der Schotten, die Dinge auf das Wesentliche zu reduzieren. Hier sagt man he‘s had his chips wenn jemand sein Lebensende erreicht hat. Das geht auch im Neutrum als it’s had its chips wenn die Waschmaschine irreparabel kaputt ist. Ob Mann oder Maschine, seine Pommes gehabt zu haben heißt es ist vorbei.

Wie schön denke ich, dass die Seniorenresidenzler ihre Pommes noch mit voller Partylaune genießen.