Babylon Turin
Kaum sind wir raus aus den Alpen und im norditalienischen Flachland wird es wärmer, bald auch deutlich besiedelter. Das Einzugsgebiet von Turin. Im Mann kämpfen die Müdigkeit nach einer schlaflosen Nacht und die Neugier auf Neuland einen ungleichen Kampf. Ich erzähle von Italien und Turin, um ihn wach zu halten. Ob er was Bestimmtes sehen will, solange wir hier sind. Er schüttelt den Kopf, er hat den Reiseführer mitgenommen aber nicht darin gelesen, er war zu müde am Flughafen.
Also Stand Null, ich muss doch die trilinguale Reiseführerin geben. Der Plan ging schon mal schief, dass er weiß, was es alles so gibt ,wohin wir reisen und was es damit auf sich hat. Er hat sich lediglich Italienische Riviera gemerkt, die oberste Zeile des Reiseführertitels Italian Riviera & Piemonte. Er fährt im Kopf also an die Italienische Riviera. Der Mangel an Meer fällt ihm gar nicht auf.
Wir durchqueren die Vororte von Turin und es sieht eher trostlos als touristisch aus.
„Komische Vorstellung, dass Ronaldo hierher gewechselt ist.“ sage ich.
„Ronaldo ist hierher gewechselt?“ Der Mann ist verwundert und ich bin verwundert, dass er das nicht mitbekommen hat. Er interessiert sich ja sonst für Fußball.
Dann konzentriere ich mich auf den Verkehr und das Navi, wir müssen eine Parkgarage im historischen Zentrum finden, dort in der Nähe ist auch das kleine Apartment, das ich für drei Nächte gemietet habe. Mitten in der Fußgängerzone. Ich parke das Auto und wir zerren unser Gepäck über das alte Steinpflaster ein paar Straßen weiter.
Schön hier!
„Sagt man eigentlich Turin oder Torino?“ frage ich den Mann auf Englisch und spreche Torino wie die Italiener und Turin ungefähr wie die Deutschen aus? Ich bin mir nicht sicher ob im Englischen ein eigenes Wort für die Stadt existiert, so wie Cologne für Köln zum Beispiel.
„Torino, I would think.“ murmelt der Mann und gähnt. Torino denkt er.
Eine freundliche italienische Dame trifft uns an der Tür und in meinen Kopf irren drei Sprachen wirr umeinander als ich den Endbetrag für Miete und Gebühren berechne (Rechnen immer auf Deutsch) und mich mit zwei Menschen in jeweils einer weiteren Sprache unterhalte.
„Grazie signora.“
„Here you are. “
„Zweihundertzwanzig Euro.“
Die Dame verabschiedet sich und wir haben nun vier Schlüssel, um durch diverse Türen zu unserem Apartment und wieder raus zu gelangen. Wir packen schnell aus, wir haben beide Hunger und sind so neugierig auf Turin. Kurz frisch machen und schon sind wir unterwegs zu unserem ersten köstlichen Abendessen in Turin oder Torino oder wie auch immer.
Romantisch gestimmt schlendere ich durch die Gassen der Altstadt, lauschen dem melodischen Klang italienischer Stimmen und tagträume Bilder italienischer Köstlichkeiten auf einem Tisch vor mir.
Der Schotte an meiner Seite denkt über ganz andere Dinge nach. Das wird mir klar, als er mit einer Frage mitten hineinplatzt in meine piemontesischen Träume.
„Sag mal, wo genau sind wir eigentlich?“
„Was? Wie meinst du das, wo genau sind wir eigentlich? Ich hab‘ dir doch gesagt wir sind in Turin! Torino?“
???
Er schaut verwirrt. „Turin?“ Dann hat er die Eingebung: „ Ach du meinst Turin!“
Der Mann spricht es jetzt Tjuhrinn aus, mit Betonung auf dem „u“ und nicht auf dem „i“.
„Das mit dem Leichentuch?“
„Na klar das mit dem Leichentuch, wo dachtest du denn dass wir sind?“ ich kann es nicht fassen.
Na Torino. sagt er. Ich dachte, das ist irgendein Drittligaclub. Warum hast du nicht gleich gesagt, dass wir nach Juventus fahren?
Ich kann nicht mehr weiter gehen, so sehr muss ich lachen. Es sind noch immer die zwei entscheidenden Kriterien in Schottland: Fußball und Religion. Ganz besonders für Schotten, die aus Glasgow stammen. Wie Germanen denken eher Käse und Wein.
Babylon Turin. Die Sprachverwirrung ist perfekt.
Der Mann ist schließlich an die Italienische Riviera gefahren und von Juventus habe ich nie ein Wort gesagt. Turin!
Nun, da wir uns einig darüber sind, in welcher Stadt wir denn eigentlich sind, können wir den Rest des Abends mit einer Flasche Wein, Focaccia und Käse aus dem Piemont ausklingen lassen. Da müssen noch ein paar mehr Bilder in den Kopf des reisenden Highlanders als Leichentuch und Juventus. Im schottischen Kopfkino läuft irgendwie eine gänzlich andere Vorstellung als in meinem.
demnächst: Teil 3 Essen, trinken, Schuhe