Die politische Dimension von Händels Judas Maccabaeus

Judas Maccabaeus: Händel, der Duke of Cumberland und die Musik der Machtudas Maccabaeus war für mich lange Zeit der Klang von Weihnachten – festliche Trompeten, triumphale Chöre, der Sound eines Sieges. Doch dann sah ich eine Dokumentation von Lucy Worsley, die mir eine neue Perspektive eröffnete. Diese Musik war mehr als ein festlicher Ohrwurm, sie war politisch aufgeladen, verknüpft mit einer der brutalsten Episoden in der Geschichte Schottlands.

Der Duke of Cumberland: Vom Helden zum „Butcher“

Das Oratorium feiert den Duke of Cumberland, den Sieger von Culloden. In Schottland nennt man ihn nur den „Butcher“. Nach der Niederlage der Jakobiten ließ er das Hochland brutal unterwerfen: Verwundete wurden erschossen, Dörfer niedergebrannt, ganze Familien ausgelöscht. Sein Ziel war nicht nur die Zerschlagung der Rebellion, sondern die Zerschlagung einer ganzen Kultur. Die gälische Sprache, die Clansysteme, die traditionelle Kleidung – all das wurde systematisch unterdrückt, um jede weitere Erhebung unmöglich zu machen. Seine Truppen folgten dem berüchtigten „No Quarter“-Befehl: keine Gefangenen, keine Gnade. Dass Händel diesen Mann musikalisch ehrte, verleiht „Judas Maccabaeus“ eine ganz andere Dimension.

Duke of Cumberland (ChatGPT)

Händel und die Machtelite des 18. Jahrhunderts

Doch warum feierte Händel überhaupt Cumberland? Die Antwort liegt in den engen Verbindungen zwischen der Musik und der Machtelite des 18. Jahrhunderts. Georg Friedrich Händel war ein deutscher Komponist, der sich in London etabliert hatte und dort nicht nur als Musiker, sondern als eine Art kultureller Diplomat wirkte. Die hannoversche Königsdynastie hatte sich gerade erst auf dem Thron gesichert, nachdem Georg I. im Jahr 1714 König wurde – trotz seiner fernen Position in der Erbfolge. Die Stuarts, die eigentlichen Thronanwärter, waren Katholiken, und das Act of Settlement von 1701 hatte ihnen den Weg versperrt. Georg von Hannover, der kaum Englisch sprach und sein Königreich vor allem aus der Perspektive eines deutschen Fürsten regierte, war eine pragmatische, wenn auch unpopuläre Wahl für das Establishment. Doch um seine Macht zu festigen, brauchte es kulturelle Symbole – und genau hier kam Händel ins Spiel.

Georg Friedrich Händel (Chat GPT)

Händel als musikalischer Architekt der Monarchie

Händel war ein Meister darin, sich in das System einzufügen und die Bedürfnisse seiner Gönner zu bedienen. Sein Talent und seine Fähigkeit, sich an politische Strömungen anzupassen, machten ihn zum führenden Komponisten seiner Zeit in England. Er komponierte für Könige, Adelige und für das Bürgertum, das ihn ebenso verehrte. Seine Werke waren nicht nur Unterhaltung, sie dienten auch der politischen Legitimation. Mit „Zadok the Priest“ schuf er eine Hymne für königliche Krönungen, die bis heute gespielt wird. „Judas Maccabaeus“ war eine weitere Huldigung an die herrschende Macht – die Musik eines Siegers für einen Sieger.

Der gnadenlose Feldherr: William Augustus, Duke of Cumberland

William Augustus, Duke of Cumberland, war genau dieser Sieger. Als jüngster Sohn von Georg II. genoss er eine hervorragende militärische Ausbildung und wurde früh auf seine Rolle als Verteidiger der Krone vorbereitet. Doch sein Ruf als brillanter Stratege wich bald dem Bild eines gnadenlosen Feldherrn. Seine Niederschlagung des Jakobitenaufstands 1746 war nicht nur eine militärische, sondern auch eine psychologische Kriegsführung. Nach Culloden folgte die „Pacification of the Highlands“, eine systematische Verfolgung der Jakobiten und aller, die sie unterstützt hatten. Seine Politik hinterließ tiefe Wunden, die bis heute in Schottland nachwirken.

Die Stuarts: Die verlorene Hoffnung der Jakobiten

Die Stuarts hingegen standen für eine ganz andere Vorstellung von Monarchie. Sie beanspruchten den Thron als direkte Nachkommen von Maria Stuart und versprachen, das Land wieder unter katholische Herrschaft zu bringen. Doch ihre Nähe zu Frankreich und der katholischen Kirche machte sie für viele im Parlament untragbar. Der gescheiterte Jakobitenaufstand von 1745 war der letzte große Versuch, die Stuart-Dynastie wieder auf den Thron zu bringen – und er endete in einem Fiasko.

Print Charles Edward Stuart (Chat GPT)

Händels musikalisches Vermächtnis – mit Schattenseiten

Für Händel war das alles Hintergrundrauschen. Ihm ging es um seine Musik und seine Mäzene. Die Krone war die beste Adresse für Förderung, und Händel verstand es meisterhaft, seine Werke an die Bedürfnisse seiner Gönner anzupassen. Seine Werke wurden zu klanglichen Monumenten der Herrschaft – feierlich, triumphal, geeignet für große Zeremonien und öffentliche Aufführungen. Werke wie „Messiah“, „Samson“ und eben „Judas Maccabaeus“ wurden nicht nur aus künstlerischer, sondern auch aus politischer Perspektive zu nationalen Symbolen. Die Musik feierte nicht nur religiöse oder historische Figuren, sondern auch den Status quo der Monarchie und die militärischen Erfolge des Königshauses.

Doch sein Erfolg hatte auch eine Kehrseite: Händel dominierte die Musikszene so stark, dass einheimische Komponisten kaum eine Chance hatten. Während in anderen Ländern eigene musikalische Traditionen florierten, wurde die Insel musikalisch von einem deutschen Meister geprägt. Es dauerte fast anderthalb Jahrhunderte, bis mit Edward Elgar im späten 19. Jahrhundert wieder ein Komponist aus dem Vereinigten Königreich ins internationale Rampenlicht trat. Erst mit ihm kehrte eine eigene musikalische Identität zurück, die nicht mehr vollständig von importierten Komponisten und deren Stil geprägt war.

Edwar Elgars Musik (Chat GPT)

Elgar statt Cumberland Sausages

Elgar liebe ich. Seine Musik ist für mich der Inbegriff von Tradition und Eleganz – und untrennbar verbunden mit Sonntagszeitung lesen und Lunch im Pub. Eine Atmosphäre von Beständigkeit und Ruhe, eingebettet in eine Musik, die gleichzeitig stolz und nostalgisch klingt. Aber dann bitte ohne Cumberland Sausages. Die sind ebenfalls gestrichen – genau wie Judas Maccabaeus.

Fazit: Musik als Machtinstrument

„Judas Maccabaeus“ ist also nicht nur Musik, sondern auch ein politisches Statement. Es feiert einen umstrittenen Sieg, steht für eine Zeit, in der Kunst ein Mittel der Machtdemonstration war, und spiegelt die enge Verbindung zwischen Kultur und Politik wider. Die BBC-Dokumentation von Lucy Worsley, die übrigens auch auf YouTube zu finden ist, hat mir diese Zusammenhänge erst wirklich vor Augen geführt. BBC sei Dank – das ist öffentlich-rechtlicher Journalismus, wie er sein sollte.

Begegnung mit meinen eigenen Krimi-Figuren

Ein Schreibtag, der nach frischer Luft ruft

Nach einem langen, intensiven Schreibtag brauche ich dringend eine Pause. Mein Kopf ist voller Worte, meine Gedanken noch tief in der Geschichte vergraben. Also beschließe ich, rauszugehen. Die Highlands rufen – und ich folge. Ich stelle mein Auto an meiner gewohnten Stelle ab und laufe los.

Kaum habe ich die ersten Meter hinter mir, kommt mir eine junge Frau auf einem Quad entgegen. Sie nickt mir lässig zu, dann verschwindet sie. Cool, denke ich. Sie wirkt, als gehöre sie genau hierher, als wäre die Landschaft eine Verlängerung ihres Wesens. Fast wie eine Figur aus meinen Büchern.

Die vermisste Frau – oder bin ich es?

Nach ein paar Minuten höre ich ein „Oi!“ hinter mir. Eine Frau rennt auf mich zu, außer Atem, den Blick konzentriert auf mich gerichtet.

„Sie sind nicht zufällig die vermisste Frau?“ fragt sie.

Ich blinzele. „Nein“, sage ich. „Nicht zufällig.“

Sie zieht ihr Handy hervor und zeigt mir ein Foto. Eine verschwommene Gestalt, aufgenommen von einer Überwachungskamera. Das Gesicht ist nicht erkennbar – aber die Kleidung? Haargenau das, was ich heute trage.

Für einen Moment fühlt es sich an, als würde sich die Realität verschieben. Ist das ein Zufall? Eine Doppelgängerin? Wer trägt noch schwarze Hosen, rote Jacke und schwarze Basecap?

Die Suche geht weiter – und ich werde verfolgt

Ich verabschiede mich und wandere weiter, doch die Begegnung bleibt mir im Kopf. Dann hält plötzlich ein großer Pickup neben mir. Zwei Männer sehen mich scharf an.

„Ich bin nicht die vermisste Frau“, sage ich sofort.

Aber sie suchen gar nicht mich – sie wollen nur sicherstellen, dass das deutsche Auto, das sie gesehen haben, wirklich mir gehört. Nicht, dass es jemand anderem gehört, der vermisst wird. Sie sind ernsthaft auf der Suche.

Nach einer kurzen Unterhaltung fahren sie weiter, und ich laufe tiefer in die Wildnis hinein.

Ein Wiedersehen in der Wildnis

Eine Stunde vergeht. Ich genieße die Stille, das Knirschen meiner Schritte auf dem Pfad. Dann sehe ich sie wieder – diesmal sind es vier Männer, dazu die Frau von vorhin und zwei aufgeregte Border Collies. Die Hunde stürmen auf mich zu, einer von ihnen wirft spielerisch Grashalme in die Luft, als wolle er mir zeigen, was er alles kann.

„Nichts gefunden“, sagt die Frau. „Wir waren sogar in der Berghütte.“

„Und niemand dort?“ frage ich.

Sie schüttelt den Kopf. Ich nicke, verabschiede mich erneut und wandere weiter. Ich frage mich, was ich tun würde, wenn ich tatsächlich jemanden finde. Aber ich finde niemanden. Ich setze mich auf meinen Lieblingsstein, lausche der Stille, lasse meinen Blick über die Highlands schweifen.

Der Moment, in dem Fiktion und Realität verschwimmen

Auf dem Rückweg begegne ich ihnen ein viertes Mal. Sie versuchen, den riesigen Pickup zu wenden. Es gibt genug Platz, aber ich kommentiere lieber nicht Männer beim einparken.

Ich sage nichts und laufe einfach weiter. Kurz darauf halten sie wieder neben mir.

„Wollen Sie mitfahren?“

„Nein, danke“, sage ich. „Ich will ja wandern.“

Ich sehe ihnen nach, wie sie davonfahren, und plötzlich trifft es mich.

Das war die Bergwacht von Glenelg. Das waren Donald und Stacey. Das war Rhu, der verspielte Hund aus meinem Krimi. Natürlich nicht wirklich – ich habe sie erfunden, in Band 1 der Highland Crime Serie um DI Robert Campbell, Schatten über Skiary. Genau so könnten sie sein.

Für einen Moment bleibt die Welt stehen.

Habe ich sie erschaffen? Oder haben meine Figuren mich gefunden?

Abenteuer Highlands 4: Geschichten aus Schottland

„Abenteuer Highlands 4“ ist da – Schottland-Happen für Fortgeschrittene


Ein neues Kapitel Highland-Leben – mit Ottern, Pannen, Pointen und stillen Momenten. „Abenteuer Highlands 4 – Schottland-Happen für Fortgeschrittene“ ist ab sofort als eBook und Taschenbuch erhältlich!


Wer schon einmal versucht hat, mit einem deutschen Navi über eine schottische einspurige Straße zu fahren, weiß: Das Leben in den Highlands ist nichts für Anfänger.

In „Abenteuer Highlands 4 – Schottland-Happen für Fortgeschrittene“ erzähle ich Geschichten von dort, wo die Landschaft atemberaubend, das WLAN fragil und das Wetter ein Charakter in sich ist. Es geht um verlorene Schlüssel, widerspenstige Technik, eine Ziege mit tragischer Geschichte – und um all die kleinen und großen Missgeschicke, die mich in Schottland begleiten.

Aber zwischen all dem Lachen, dem Kopfschütteln und der schrägen Situationskomik gibt es auch leise Töne. Momente, die nachdenklich machen. Über das Zusammenleben mit Mensch und Tier, über Verantwortung, Hilfsbereitschaft – und über das, was wirklich zählt.

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Ob du Schottland-Fan bist, selbst mal ausgewandert bist oder einfach gern lachst – in diesem Band findest du skurrile Beobachtungen, ehrliche Gefühle und ganz viel Highland-Flair.


Felicity: Schottlands mysteriöse Puma-Legende

Die Legende von Felicity und ihren geheimnisvollen Nachfahren

Stellt euch vor, ihr wandert durch die ruhigen Wälder der schottischen Highlands, das Moor glitzert im Morgenlicht – und plötzlich taucht zwischen den Bäumen eine große schwarze Katze auf, mit einem Schweif wie ein Peitschenschlag und Augen, die Funken sprühen. Fantasie oder Wirklichkeit? Genau diese Frage sorgt seit Jahrzehnten für Diskussionen in Schottland. Willkommen in der Welt der mysteriösen Highland-Großkatzen!

1980: Ein Puma namens Felicity

Vor über 40 Jahren wurde im kleinen Cannich, nahe Glen Affric, eine Katze gefangen, die alles veränderte: Felicity, eine pummelige Puma-Dame, die von einem entschlossenen Farmer in eine Falle gelockt wurde. Während die Medien über „das Tier, das die Highlands terrorisierte“ berichteten, entpuppte sich Felicity als eher gemütlich denn gefährlich. Mit etwas Arthritis und einer Vorliebe fürs Streicheln war sie eher Haustier als Raubtier. Dennoch: Felicity war real, und damit begann der Hype um die Highland-Katzen.

Sichtungen, die bis heute anhalten

Auch nach Felicitys Gefangennahme riss die Flut an Berichten über große Katzen in Schottland nicht ab. Von Easter Ross bis Ayrshire behaupten Menschen, riesige schwarze Katzen gesehen zu haben, die durch Wälder streifen oder gemütlich über Hügel schleichen. Manche schwören auf Panther, andere sprechen von mysteriösen Mischwesen. Aber was steckt dahinter?

Die Theorie der ausgesetzten Exoten

Ein häufig genanntes Szenario führt uns zurück ins Jahr 1976, als das britische Gesetz für gefährliche Wildtiere in Kraft trat. Plötzlich mussten private Besitzer exotischer Tiere wie Leoparden und Puma ihren Schützlingen entweder artgerechte Gehege bieten – oder sie freilassen. Und was wäre ein besserer Zufluchtsort als die weiten, menschenleeren Highlands?

Beweise oder Anekdoten?

Während offizielle Stellen wie NatureScot seit Jahrzehnten keinerlei stichfeste Beweise für wilde Großkatzen in Schottland vorlegen können, bleibt die Begeisterung der Menschen ungebrochen. Geschichten von Sichtungen, rätselhaften Spuren oder sogar Angriffen auf Haustiere finden ihren Weg in lokale Pubs und Zeitungen. Und seien wir ehrlich: Ein bisschen Magie schadet niemandem.

Ein Mythos, der bleibt

Die Highlands sind bekannt für ihre Geschichten – ob es sich um Geister, den Loch Ness Monster oder eben geheimnisvolle Raubkatzen handelt. Felicity mag zwar schon lange in den ewigen Jagdgründen schnurren, doch ihre vermeintlichen Nachfahren sorgen weiterhin für Gänsehaut und Spekulationen.

Warum also nicht beim nächsten Highland-Ausflug selbst die Augen offen halten? Vielleicht entdeckt ihr ja Spuren im Moos – oder zumindest eine spannende Geschichte für die nächste Runde am Kaminfeuer. Denn eines ist sicher: In Schottland wird jede Geschichte ein kleines bisschen größer und ein bisschen wilder. Und genau das lieben wir doch, oder?

Quelle: BBC – On the trail of Scotland’s mysterious big cats

Glen Loyne: Wo italienische Komödie auf schottische Highlands trifft

Heute gibt es eine skurrile Geschichte, die mich jedes Mal zum Schmunzeln bringt, wenn ich an einem meiner liebsten Wanderorte vorbeikomme: der kurzlebige Friedhof von Glen Loyne, der für einen italienischen Film in den schottischen Highlands errichtet wurde – und danach spurlos verschwand.

Ort des Fim-Friedhofs
Film Location

Eine Komödie, die durch die Zeit reist

Die Geschichte beginnt mit dem italienischen Film „A spasso nel tempo – L’avventura continua“ („Ein Spaziergang durch die Zeit – Das Abenteuer geht weiter“), einer temporeichen Komödie aus dem Jahr 1997, inszeniert von Carlo Vanzina. Der Film folgt den chaotischen Zeitreise-Abenteuern von Ascanio (Christian De Sica) und Walter (Massimo Boldi), die von der Steinzeit bis zur Mondlandung stolpern und dabei jede Menge absurde Missgeschicke erleben.

Quelle: IMDB

Es ist schon fast eine Sportart geworden: Wer durch die Highlands wandert, sucht automatisch nach Drehorten aus Outlander. Kaum hat man einen alten Baum oder eine zerfallene Mauer entdeckt, hört man hinter sich schon jemanden rufen: „Ist das Craigh na Dun? Oh mein Gott, Jamie war bestimmt hier!“

Manchmal kommt es mir vor, als hätte jeder Stein in Schottland eine Statistenrolle in der Serie gehabt. Aber jetzt stellt euch die Gesichter der Fans vor, wenn ich ihnen erzähle, dass in Glen Loyne kein Fraser, sondern zwei italienische Chaoten herumgestolpert sind, die Highlander parodierten und statt Steinkreise Grabsteine besuchten.

Auf ihrer Reise landen die beiden Chaoten im mittelalterlichen Schottland. Dort werden sie von englischen Soldaten für Anhänger von William Wallace gehalten und geraten in allerlei brenzlige Situationen – inklusive einer Begegnung mit einem vermeintlich unsterblichen Ritter, der sie für seine Rivalen hält.

Ein Friedhof aus Pappmaché

Ein Wanderparadies wird zur Filmkulisse

Für eine Szene im mittelalterlichen Schottland suchten die Filmemacher ein authentisches Highland-Setting mit einem Friedhof. Da es in Glen Loyne keinen gab, baute das Produktionsteam kurzerhand einen künstlichen Friedhof mit Pappmaché-Grabsteinen. Der Friedhof wirkte täuschend echt – ein perfekter Schauplatz für die typische italienische Slapstick-Komik, bei der die Protagonisten in klassischer Manier stolpern, sich verstecken und jede Menge Blödsinn machen.

Für mich hat das einen besonderen Reiz: Glen Loyne ist einer meiner absoluten Lieblingsorte zum Wandern. Jedes Mal, wenn ich jetzt dort entlanggehe, kann ich mir die absurde Szene förmlich vorstellen – die albernen Protagonisten und die Pappmaché-Grabsteine, die im Wind wackeln.

Und dann war alles weg

Blick auf Stein in Glen Loyne

Zurück zur Natur

Nach Abschluss der Dreharbeiten verschwand der künstliche Friedhof so schnell, wie er errichtet wurde. Das Team nahm alle Requisiten mit, und Glen Loyne kehrte in seinen natürlichen, unberührten Zustand zurück.

Wart ihr schon einmal in Glen Loyne oder kennt ähnliche Geschichten von Drehorten, die euch überrascht haben? Schreibt es mir in die Kommentare – ich bin gespannt!

Die Magie der Fahrt nach Sabhal Mòr Ostaig

Die Fahrt nach Sabhal Mòr Ostaig ist für mich fast genauso wichtig wie der Kurs selbst. Eine knappe Stunde dauert es, von meinem Zuhause bis zur Hochschule für Gälisch auf Skye zu fahren, aber die Zeit vergeht wie im Flug. Die Straßen winden sich durch die atemberaubende Landschaft der Highlands, vorbei an glitzernden Lochs und kargen Bergen, die in der Dämmerung fast unwirklich erscheinen. Ich fahre absichtlich immer etwas früher los, damit ich vor dem Kurs noch im Auto sitzen und aufs Meer hinausblicken kann. Es gibt nichts Besseres, um den Kopf frei zu bekommen.

Gestern war einer dieser besonderen Tage. Der Himmel war den ganzen Nachmittag über klar gewesen, und als die Sonne langsam unterging, brannte der Horizont in warmem Gold und tiefem Orange. Wir hatten uns gerade in dem kleinen Café versammelt, in dem unser Kurs stattfindet, als einer von uns aus dem Fenster schaute und abrupt verstummte. „Seht euch das an!“ Keine Sekunde später sprangen wir alle auf, ließen unsere Teetassen stehen und rannten hinaus. Mit gezückten Handys und Kameras standen wir auf dem Parkplatz und hielten diesen magischen Moment fest. Das Meer lag still da, als wolle es den Himmel spiegeln, und die Silhouetten der Berge zeichneten sich gestochen scharf vor dem leuchtenden Abendrot ab.

Zurück im Café, leicht fröstelnd von der kühler werdenden Luft, setzte sich die lockere Runde fort. Der Gälisch-Kurs – ein sogenannter „Srupag“ (gälisch: Srùpag, ausgesprochen sruu-pak), ein geselliger Treff mit Gesprächen auf Gälisch – besteht aus einer bunten Mischung von Menschen. Das Wort bedeutet eigentlich eine kleine Tasse Tee oder Kaffee und steht sinnbildlich für eine entspannte Runde, in der man miteinander plaudert. Einige sind fest entschlossen, die Sprache fließend zu beherrschen, andere wollen einfach nur ein wenig plaudern und die Klangmelodie der Sprache aufsaugen. Ich bin irgendwo dazwischen. Als ich das erste Mal erwähnte, dass ich Autorin bin, gab es neugierige Blicke und ein paar bewundernde „Oh“s. Die Reaktionen reichen von ehrlichem Interesse bis zu scherzhaften Kommentaren wie: „Schreibst du dann auch auf Gälisch?“ oder „Gibt es Morde in deinen Büchern? Hoffentlich nicht hier in Sabhal Mòr!“

Natürlich morde ich auch im College! In Band 2 meiner Reihe, Nightfall on Skye, gibt es ein Verbrechen direkt dort, und das sorgte prompt für neue Diskussionen. Eine der Teilnehmerinnen hatte mein Buch sogar im Auto liegen! Als sie es kurzerhand hereingebracht und stolz herumgezeigt hat, hätte ich beinahe vor Freude gequiekt. Es war einer dieser Momente, in denen ich so richtig gemerkt habe, dass meine Geschichten ihren Weg zu den Menschen finden.

Es ist eine besondere Gemeinschaft, die sich hier trifft – Menschen, die ihre Liebe zur gälischen Sprache teilen und dabei Geschichten austauschen, die oft genauso faszinierend sind wie die Landschaft um uns herum. Nach dem gestrigen Sonnenuntergang und dem spontanen Foto-Shooting war der Kurs gefühlt noch lebendiger als sonst. Vielleicht, weil wir uns alle bewusst waren, wie kostbar diese kleinen Momente sind, in denen die Welt stillzustehen scheint und sich die schottischen Highlands von ihrer spektakulärsten Seite zeigen.

Die Sieben Männer von Glenmoriston: Ein Stück schottischer Geschichte

Die Highlands bergen so viele Geschichten – einige sind voller Romantik, andere von Tragik gezeichnet. Doch eine, die mich besonders fasziniert, ist die der Sieben Männer von Glenmoriston.

Die Stille im Corrie Dho ist beinahe greifbar. Zwischen den sanften Hügeln, die Glenmoriston von Glen Affric trennen, liegt dieses breite, fruchtbare Tal – unscheinbar und doch Schauplatz einer bemerkenswerten Episode der schottischen Geschichte. Hier, in den entlegenen Seitentälern des Corrie Dho, fanden einst sieben Männer Zuflucht, die nach der Schlacht von Culloden beschlossen hatten, niemals zu kapitulieren. Sie waren Nachbarn, die zusammenhielten, während andere in der Region ihre Waffen niederlegten. Ihr Versteck, eine Höhle, die als Uamh Ruaraidh na Seilg – die Höhle von Roderick dem Jäger – bekannt ist, bot ihnen Schutz vor den englischen Soldaten.

Ich stehe an einer Anhöhe, von der aus ich das Tal überblicken kann. Der Wind pfeift durch die Gräser, und es ist leicht vorstellbar, wie sich die Sieben Männer in diesem rauen Gelände bewegten, es nutzten, um sich zu verbergen und immer wieder kleine Nadelstiche gegen die verhassten Truppen zu setzen, die ihr Land verwüsteten. Guerillakrieger wider Willen, angetrieben von ihrer Loyalität zu ihrem Land und ihrem Hass auf die Besatzer.

Bonnie Prince Charlie und die Sieben Männer

Im Juli 1746 erreichte Bonnie Prince Charlie erneut das schottische Festland und begab sich auf eine gefährliche Reise durch die Highlands. Die Strapazen forderten ihren Tribut: nass, hungrig und erschöpft gelangte der Prinz am 29. Juli nach Glenmoriston. Sein Führer, ein Mann aus Glengarry, kannte das Versteck der Sieben Männer und schlug vor, dort Unterschlupf zu suchen. Trotz des Risikos nahmen die Männer ihn auf – nicht aus politischen Gründen, sondern aus einem tief verwurzelten Ehrenkodex heraus. Ein jeder von ihnen hätte mit einem Verrat das Kopfgeld von 30.000 Pfund kassieren können. Doch keiner tat es.

Ich frage mich, wie es gewesen sein muss, mit dem meistgesuchten Mann der Highlands in einer Höhle zu hausen. Mitten im Nichts, aufeinander angewiesen, stets in Gefahr, entdeckt zu werden. Die Männer versorgten den Prinzen so gut sie konnten. Einer von ihnen lief sogar nach Fort Augustus, um Brot und Zeitungen zu besorgen – und kehrte mit einem besonderen Geschenk zurück: einem Stück Ingwerkuchen, der kostbarsten Leckerei, die er für den Prinzen auftreiben konnte. Eine kleine Geste, die in ihrer Schlichtheit berührend ist. Ein Moment von Menschlichkeit inmitten von Verfolgung und Unsicherheit.

Nach drei Tagen verlegten sie ihr Versteck in die benachbarte Höhle von Corrie Sgrainge – das „Corrie of Gloom“. Dort blieben sie weitere vier Tage, bevor sie ihre Reise in Richtung Poolewe fortsetzten. Doch die erhofften französischen Schiffe waren bereits weitergesegelt. Und so kehrten sie schließlich nach Glenmoriston zurück, immer auf der Flucht, immer in Bewegung.

Ein unbeugsamer Geist

Ein Laird begegnete später zwei der Sieben Männer und stellte ihnen neugierige Fragen. Wo sie sich verbargen, wovon sie lebten. Doch anstatt zuzugeben, dass sie noch immer im Widerstand waren, gaben sie eine ebenso kluge wie herausfordernde Antwort: „Da die Feinde das Land plünderten, war es nur recht und billig, sich einen Teil der Beute zu nehmen, anstatt alles den Rotröcken zu überlassen.“

Ich spüre fast, wie mir ein Lächeln über die Lippen huscht. Die Tapferkeit, die List und der ungebrochene Stolz dieser Männer beeindrucken mich. Hier, in diesen einsamen Highlands, schrieben sie ein Stück Geschichte – nicht mit Waffen, sondern mit ihrer unbeugsamen Entschlossenheit. Und während ich durch das raue Land wandere, wird mir klar: Es ist nicht nur die spektakuläre Landschaft, die die Highlands so faszinierend macht. Es sind die Geschichten derer, die hier lebten – und kämpften. Heute ist hier, auf Ceannacroc Estate, alles gut in Schuss und bepflanzt, aus den Flüssen zieht man Energie – ein stilles Echo der Vergangenheit, das in die Zukunft reicht.

Der Goldschatz von Loch Arkaig

Der Mythos des Jakobitengoldes und die Wanderung zum Invermallie Bothy

Die Highlands sind Heimat für zahllose Geschichten von Helden und Verrätern. Viele Legenden und Mythen habe die Zeit überdauert. Eine der faszinierendsten Geschichten ist die des Jakobitengoldes, das angeblich am Loch Arkaig versteckt wurde. Diese Legende zieht nicht nur Geschichtsinteressierte, sondern auch Wanderer und Abenteurer an, die die Schönheit der schottischen Wildnis erleben möchten. Eine Wanderung zum Invermallie Bothy bietet eine perfekte Gelegenheit, sich in diese faszinierende Geschichte zu vertiefen. Ich war unterwegs, weil ich ein paar Wetbefotos für das neue Buch machen wollte. Das hat zwar keine Verbindung zum Goldschatz, aber zu Achnacarry und Loch Arkaig.

Die Toten von Avernish – Highland Crime – DI Robert Campbells 3. Fall gibt es as eBook und Taschenbuch bei Amazon.

Der Jakobitenschatz am Loch Arkaig

Die Geschichte des Jakobitengoldes beginnt im 18. Jahrhundert, als die Jakobiten unter der Führung von Charles Edward Stuart, auch bekannt als Bonnie Prince Charlie, versuchten, den britischen Thron zurückzuerobern. Nach der Niederlage in der Schlacht von Culloden im Jahr 1746 floh Bonnie Prince Charlie und versteckte sich einige Zeit in den Highlands, bevor er schließlich nach Frankreich flüchtete.

Es wird gesagt, dass während dieser chaotischen Zeit eine große Menge Gold, das zu spät von französischen Unterstützern zur Finanzierung des Aufstands geschickt wurde, am Loch Arkaig versteckt wurde. Der Schatz soll damals einen Wert von 400.000 Pfund gehabt haben – heute wären das mehrere Millionen. Viele haben seitdem versucht, den Schatz zu finden, doch bis heute bleibt sein Verbleib ein Rätsel. Diese Legende hat die Fantasie von Generationen beflügelt und zieht noch immer Schatzsucher und Geschichtsforscher an.

Loch Arkaig

Die Wanderung zum Invermallie Bothy

Für diejenigen, die die Landschaft genießen und gleichzeitig in die Geschichte eintauchen möchten, ist die Wanderung zum Invermallie Bothy ideal. Das Bothy, eine einfache Hütte, die Wanderern kostenlos Unterkunft bietet, liegt malerisch am Ufer von Loch Arkaig und bietet einen perfekten Ausgangspunkt für Erkundungen.

Die Wanderung beginnt am Chia-Aig, einem Wasserfall, der auch in meinem neuen Krimi eine Role spielt. Der Weg zum Bothy ist gut markiert und führt etwa 10 Kilometer entlang der Nordseite von Loch Arkaig. Die Route ist weitgehend flach, der Weg gut ausgebaut. Bis auf das letzte Stück. Dort, so heißt es in der Wegbeschreibung, kann es etwas matschig werden. Matschig???

Wanderwege unter Wasser

Merke: Wenn der schottische Wandergührer sagt, es kann matschig werden bedeutet das, dass das Seepferdchen nicht ausreicht. Man braucht mindestens den Freischwimmer!

Invermallie Bothy

Das Invermallie Bothy selbst ist ein einfacher, aber gemütlicher Zufluchtsort für müde Wanderer. Es gibt einen Kamin, einfache Schlafplätze und eine Quelle in der Nähe für frisches Wasser. Hier kann man die Ruhe der Wildnis genießen und sich in die Vergangenheit zurückversetzen.

Viel spannender als das Bothy fand ich ein verlassenes Haus unterwegs, das irgendwie nach russischer Datscha aussieht. Was denkt ihr?

Datscha Loch Arkaig

Vom Gold des Prinzen habe ich leider keine Spur gefunden.

Morgennebel am See

Aber was haltet ihr davon, wenn Issy sich in Band 4 oder 5 auf die Suche macht? Schreibt es mir in die Kommentare!

Die wilden Ziegen von Glenshiel: Eine Familiengeschichte

Wer durch Glenshiel reist, wird oft von den zähen, langhaarigen Ziegen überrascht, die sich sicher auf den steilen Hängen bewegen und fast eins mit der wilden Landschaft der Highlands wirken. Seit Jahren ranken sich Geschichten um ihre Herkunft – manche behaupten, sie stammten aus der Zeit der Jakobiten oder seien Überbleibsel der Highland Clearances. Doch so spannend diese Legenden auch sind, die wahre Geschichte der Ziegen von Glenshiel ist viel greifbarer – und mit dem Schicksal einer ganz bestimmten Familie verbunden.

picture @Ewan Roy MacGregor

Woher kommen die Ziegen in Glenshiel

Die Geschichte beginnt am Eas nan Arm, dem Wasserfall unterhalb des historischen Schlachtfelds von Glenshiel. Hier lebte einst Alexandrina (Ina) MacRae, die in Ault a’Chruinn geboren und aufgewachsen war. Sie heiratete einen Stewart aus Tomdoun, und gemeinsam lebten sie in der Nähe des Wasserfalls, während ihr Mann für den Rat arbeitete und Straßen durch das abgelegene Hochland baute – eine harte, aber notwendige Arbeit.

Doch wie so viele Highland-Familien standen auch sie vor wirtschaftlichen Herausforderungen. Als die Bauarbeiten abgeschlossen waren, gab es keine Arbeit mehr in der Gegend, und die Familie zog nach Edinburgh, wo Ina’s Mann eine Anstellung bei der Eisenbahn fand.

Der Abschied von den Ziegen

Ein Umzug in die Stadt war eine Sache, das Mitnehmen des Viehs eine andere. In jenen Tagen hatten Schafe und Rinder einen klaren wirtschaftlichen Wert – sie konnten verkauft oder mitgenommen werden. Ziegen hingegen? Die wurden kaum geschätzt. Sie galten als wenig nützlich und wurden nicht wie anderes Vieh gehandelt. Und so blieb der Familie keine andere Wahl, als ihre Ziegen zurückzulassen.

Das geschah noch vor dem Bau des Cluanie-Damms, der später die Landschaft der Region veränderte. Ihr Haus stand noch einige Zeit, doch 1967 wurde es abgerissen. Heute ist nur noch die Stelle zu erkennen, an der es einst stand – zum Glück existieren noch Fotos, die seine Erinnerung bewahren. Doch während das Haus verschwand, blieben die Ziegen.

Donald John Macmillan: Glen Shiel, Kintail – A history (2020)

Überleben in der Wildnis

Trotz ihres plötzlichen Schicksals bewiesen die Ziegen bemerkenswerten Überlebenswillen. Sie passten sich dem rauen Terrain an, ernährten sich von Heidekraut, Farnen und allem, was die Natur hergab. Über Jahrzehnte hinweg wuchs ihre Population, und sie wurden zu einem festen Bestandteil der Landschaft.

Heute glauben viele, dass diese Ziegen aus einer weit entfernten Vergangenheit stammen, dass sie vielleicht Nachfahren von Tieren sind, die mit den Jakobiten oder den vertriebenen Clans in Verbindung standen. Doch ihre Geschichte ist viel persönlicher – sie sind das Erbe einer Familie, die gezwungen war, weiterzuziehen, und der Tiere, die zurückbleiben mussten.

Und doch hat Ina sie nie vergessen. Jedes Mal, wenn sie zurückkam und die Ziegen sah, lächelte sie und sagte: „Das sind meine.“

picture: Ewan Roy MacGregor

Ein herzliches Dankeschön an Inas Verwandte für ihre Gastfreundschaft und dafür, dass sie diese Familiengeschichte geteilt hat – damit die wahre Herkunft der Ziegen von Glenshiel nicht in Vergessenheit gerät.

Der Goatfell-Mord: Schottland’s dunkles Geheimnis

Die Isle of Arran ist berühmt für ihre landschaftliche Vielfalt. Die Mischung aus zerklüfteten Granitbergen im Norden und sanften grünen Tälern im Süden zieht Touristen aus der ganzen Welt an. Doch neben dieser natürlichen Schönheit birgt Arran auch dunklere Kapitel. Eines davon ist der berüchtigte Goatfell-Mord, ein Ereignis, das 1889 das friedliche Leben der Insel bis ins Mark erschütterte. Nicht zuletzt, weil die Ermordung eines englischen Touristen eine Bedrohung für die Wirtschaft der schottischen Urlaubsinsel hätte darstellen können. Doch es kam anders und anstatt dass die Besucher die Insel mieden, kamen sie in Strömen, um den Tatort mit eigenen Augen zusehen.

Goatfell von High Corrie aus

Der Goatfell-Mord und die Welt des Verbrechens im späten 19. Jahrhundert

In London senkte sich zur gleichen Zeit der Nebel über Whitechapel und die Stadt hielt den Atem an, denn die Polizei jagte dort einen Mörder, der sich selbst „Jack the Ripper“ nannte. Seine grausamen Taten hatten das öffentliche Interesse an Kriminalfällen entfacht wie nie zuvor – und die Medien begannen, Täter nicht nur zu jagen, sondern sie fast wie düstere Berühmtheiten zu inszenieren. Jack the Ripper trug selbst dazu bei, indem er (oder jemand unter seinem Namen) Briefe an die Polizei und die Presse schrieb – ein Versuch, sich in die Geschichte einzugraben.

Diese Zeit war geprägt von einem Wandel in der Kriminalistik. 1887, zwei Jahre vor dem Mord auf Goatfell, erschien A Study in Scarlet und mit ihm Sherlock Holmes, der erste Detektiv, der systematisch forensische Spuren auswertete. Holmes‘ Methoden waren revolutionär, und obwohl sie in der Literatur entstanden, begannen sie, das Denken der realen Ermittler zu beeinflussen.

Indizien am Tatort (@ChatGPT)

In dieser Zeit entstanden auch die ersten weiblichen Detektive – sowohl in der Realität als auch in der Literatur. Bereits in den 1860er-Jahren waren erste Romane über „Lady Detectives“ erschienen, fiktive Ermittlerinnen, die sich in einer von Männern dominierten Welt behaupten mussten. Ein Konzept, das mutig und visionär war, wenn man bedenkt, dass es in der realen Welt kaum weibliche Polizistinnen oder Ermittlerinnen gab.

Während die Goatfell-Ermittlungen 1889 noch von traditioneller Polizeiarbeit geprägt waren, wurde der Fall doch von einer Welt beeinflusst, die sich rasant veränderte. Die wachsende Faszination für wahre Verbrechen – sei es durch Zeitungen oder Penny Dreadfuls – führte dazu, dass Mörder wie Jack the Ripper oder William Palmer als regelrechte Berühmtheiten in die Annalen des Verbrechens eingingen. Manche Täter suchten diesen zweifelhaften Ruhm, andere versanken in Vergessenheit.

Der Goatfell-Mord war vielleicht nicht so berüchtigt wie die Taten in Whitechapel, doch ist er nicht nur Teil der lokalen Folklore, sondern auch ein faszinierender Fall für Krimiautoren – mich eingeschlossen.

Ein harmloser Aufstieg?

An einem heißen Julitag (15.7.1889) traf Edwin Robert Rose, ein 32-jähriger Tourist aus London, in Brodick ein. Rose, ein Handelsreisender mit einem Faible für Abenteuer, war mit dem Dampfschiff „Ivanhoe“ angereist. Er wollte gemeinsam mit John Laurie, einen schottischen Musterhersteller aus Glasgow, den er auf der Insel Bute kennengelernt hatte, Arran erkuunden. Laurie, der als Einzelgänger und manchmal ruppig beschrieben wurde, hatte eine etwas undurchsichtige Vergangenheit.

Rose quartierte sich bei Laurie ein und sie beschlossen, gemeinsam den Goatfell zu erklimmen, ein beliebtes Ziel für Touristen und Einheimische. Die beiden wurden von anderen Wanderern beobachtet, wie sie Richtung Gipfel gingen.

Als die Sonne langsam über dem Goatfell unterging, wurde Laurie gesehen, wie er allein zurückkam. seine Kleidung wies keine Blutspuren auf. Er wirkte erschöpft. Laurie verließ die gemeinsame Unterkunft und die Insel mit der ersten Fähre des darauffolgenden Tages. Er trug die Kleidung des Mordopfers und prellte die Zeche. Von Rose keine Spur. Er war verschwunden.

Die schockierende Entdeckung

Am 25. Juli, zehn Tage nach der Wanderung, wurde Rose’ Leiche unter einem großen Felsbrocken im abgelegenen Glen Sannox gefunden. Er war schwer misshandelt worden – die tödlichen Verletzungen stammten offenbar von Schlägen mit einem schweren Gegenstand.
Ein wenig abseits des Steinhaufens, der ihre Leiche bedeckte, fanden die Ermittler weitere Gegenstände, die Fragen aufwarfen. Ein Messer, ein einzelner Knopf, ein Stift – alles scheinbar zufällig verstreut, aber seltsam präsent. Besonders auffällig war jedoch eine Tweed-Kappe, die ordentlich und in vier Teile gefaltet und unter einem Stein platziert worden war. Man hatte Edwin Rose auf dem Bauch liegend begraben.

Als wäre das nicht genug, stieß man einige Tage später in der Nähe auch auf eine Flasche Laudanum. Laudanum – ein starkes Opiumpräparat, damals weit verbreitet, aber nicht unbedingt etwas, das man bei einer Wanderung mit sich führte.
Roses Körper war nicht hastig verscharrt worden, wie man es vielleicht von jemandem erwarten würde, der in Panik handelte oder auf der Flucht war. Stattdessen hatte jemand 40 Steine um den schweren Steinblock herum sortiert, die den Körper letztendlich versteckten. Es schien sorgfältig und respektvoll arrangiert, eine bewusste, methodische Handlung, nicht die eines Menschen unter Zeitdruck.

John Laurie war der letzte war, der Rose lebend gesehen hatte. Er erklärte vor Gericht, er habe Edwin Rose lebend am Gipfel des Goatfell zurückgelassen und ihn danach nicht mehr gesehen. Doch Fragen blieben: Warum trug Laurie Roses Kleidung? Warum floh er nach Glasgow? Wenn es ein Unfall war, warum meldete er ihn nicht?

Die Verhandlung in Glasgow

Am 15. November 1889, nur vier Monate nach der Tat, endete der Prozess um den Goatfell-Mord mit einem Urteil, das Schottland erschütterte: Laurie wurde zum Tode verurteilt.

Die Theorie, dass Rose gestürzt war, blieb umstritten. Es gab keine Risse in seiner Kleidung, keine klaren Spuren an seinen genagelten Schuhen, die einen Sturz hätten bewiesen können. Gleichzeitig konnte die Anklage nicht nachweisen, dass Rose ermordet worden war. Es fehlten Zeugen, eine Mordwaffe oder Blutspuren an Lauries Kleidung. Es gab keine eindeutigen Beweise, die Laurie am Tatort verorteten.  Die Verteidigung argumentierte, dass Laurie Rose lebend am Gipfel zurückgelassen hatte. Doch die Jury war gespalten. Acht Mitglieder stimmten für „schuldig“, sieben für „not proven“. Nach schottischem Recht kann ein Strafprozess mit einem von drei möglichen Urteilen enden: einer Verurteilung („guilty“) oder einem von zwei Freisprüchen („not proven“ und „not guilty“). Das war ein klares Zeichen für die Unsicherheit im Fall. Trotzdem fiel das Urteil: Tod durch den Strang, angesetzt für den Morgen des 30. Novembers. Wegen einer Stimme. 

Laurie nahm das Urteil mit unerwarteter Ruhe und fast schon teilnahmslos auf. Er stand auf, blickte ins Publikum und erklärte: „Meine Damen und Herren, ich bin unschuldig.“ Später beschrieb er, wie er sich von der Situation losgelöst fühlte, als würde all das jemand anderem widerfahren.

In den Tagen nach dem Urteil zeigte er kaum Anzeichen von Angst. Er aß und trank wie gewohnt, achtete auf seine Kleidung und blieb gefasst. Viele störten sich an seiner Gelassenheit, doch Laurie vertraute darauf, dass bei einem so knappen Jury-Urteil keine Hinrichtung stattfinden würde. Er hatte keinen Grund, derart optimistisch zu sein. Die Öffentlichkeit war gespalten: Einige hielten ihn für schuldig, andere glaubten an seine Unschuld.

Edwin Rose und John Laurie (@ChatGPT)

Hoffnung trotz lebenslanger Haft

Zwei Tage vor seiner geplanten Hinrichtung erfuhr John Watson Laurie, dass sein Todesurteil in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt wurde, weil eine Kommision beschied, dass er wahnsinnig war. Eine Nachricht, die für ihn sowohl Erleichterung als auch Schock bedeutete – nur 48 Stunden vor der Vollstreckung erhielt er eine unerwartete zweite Chance. Doch was auf den ersten Blick wie ein Hoffnungsschimmer erschien, entwickelte sich zu einer jahrzehntelangen Odyssee hinter Gittern.

Lebenslange Haft bedeutete damals nicht zwangsläufig eine Haft bis zum Lebensende. Viele Gefangene wurden mit guter Führung vorzeitig entlassen, und Laurie hoffte, dass auch er von diesem System profitieren könnte. 1901, nach zwölf Jahren in Haft, versuchte er, durch eine Serie von Geständnissen und späteren Widerrufen seine Freilassung zu erreichen. Er bekannte sich des Mordes schuldig, nahm dieses Geständnis jedoch wieder zurück – eine verzweifelte Strategie, um Aufmerksamkeit zu erlangen und sein Schicksal zu beeinflussen.

Laurie glaubte, dass sein anhaltendes Bestehen auf seine Unschuld seine Situation verschlimmert hatte. Vielleicht, so hoffte er, könnte ein Geständnis eine Begnadigung nach sich ziehen. Doch als sich zeigte, dass seine Taktik keinen Erfolg brachte, zog er seine Aussagen zurück. Später behauptete er, er habe lediglich gesagt, was die Behörden hören wollten.

Ein Justizsystem ohne Erbarmen

Sein Verhalten machte ihn in den Augen der Öffentlichkeit jedoch nur noch unglaubwürdiger. Die Behörden schienen ihn als abschreckendes Beispiel nutzen zu wollen – während andere Straftäter, darunter der fünffache Mörder Joseph Calabrese, nach nur zehn Jahren entlassen wurden, blieb Laurie hinter Gittern.

Calabrese, ein Mann, der seine Frau und vier Kinder brutal mit einer Axt erschlagen hatte, wurde als jemand angesehen, der in einer tragischen Situation versagt hatte, während Laurie das Stigma des Wahnsinns anhaftete – trotz fehlender medizinischer Beweise. Dieser Unterschied in der Wahrnehmung führte dazu, dass Laurie nie die Gnade erfuhr, die anderen zuteil wurde.

Der längste Gefangene seiner Zeit

Laurie wurde damit zum Symbol für die Härte und Widersprüchlichkeit des damaligen Justizsystems. Kein anderer Insasse verbrachte so viele Jahre hinter Gittern wie er. Seine Briefe aus dem Jahr 1901 zeigen seine zunehmende Verzweiflung – unter anderem behauptete er, Edwin Rose habe ihn zuerst angegriffen und er habe sich lediglich verteidigt. Doch auch diese Version seiner Geschichte wurde nicht anerkannt.

Trotz wiederholter Bitten und verschiedener Strategien blieb Laurie bis zu seinem Tod im Gefängnis. 1930 erlitt er einen Schlaganfall, nach einem weiteren im März desselben Jahres war er bettlägerig, bis er am 4.

Ein ewiges Rätsel

Was Laurie zu seiner Tat trieb, bleibt bis heute Gegenstand von Spekulationen. War es pure Gier? Ein plötzlicher Streit, der außer Kontrolle geriet? Oder eine tiefere psychologische Zerrissenheit? Der Fall hat bis heute nichts von seiner Faszination verloren, und die Mischung aus einem Mord, einer fragwürdigen Verhandlung und der dramatischen Kulisse der Insel Arran bietet Stoff für endlose Diskussionen – und Inspiration für Autoren.

Für mich ist der Goatfell-Mord nicht nur ein Stück schottischer Kriminalgeschichte, sondern auch ein Fenster in die Abgründe menschlicher Emotionen und Entscheidungen. Deshalb habe ich darüber geschrieben. Soll DI Robert Campbell den Fall lösen.

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