Kein Cappuccino für Boris Johnson

„Ich mache mich jetzt auf den Rückweg. In etwa 6 Stunden bin ich zu Hause.“ Ich drücke senden und starte den Motor.

Es ist Sonntagnachmittag und Saison, es wird also viel Verkehr sein aber Google Maps sagt, die Strecke ist weitgehend frei. Ich war ein Wochenende allein unterwegs, weil Verwandte des Mannes länger zu Besuch geblieben waren, als angekündigt. Die Übernachtung für unser zweites Wochenende in den Borders war aber bereits gebucht und wir hätten das Zimmer bezahlen müssen, ohne es zu nutzen. Das schien uns nicht die beste Lösung also hatten wir beschlossen, dass der Mann zu Hause die Stellung hält während ich alleine in die Borders fahre, um zu recherchieren. Blöd aber nicht zu ändern.

Deshalb war ich also allein unterwegs, rund 500 Kilometer nach Süden am Samstag und rund 500 Kilometer wieder zurück am Sonntag.

Dumfries Coast (1)

Ich hatte Glasgow hinter mir gelassen und war bereits aus Dumbarton raus, hatte am Lomondgate Roundabout bei Costas einen großen Cappuccino geholt und war auf der Toilette gewesen. Ich war gerüstet für die Highlands und alle Abenteuer, die da auf einen warten.

Am übernächsten Kreisverkehr plötzlich ein langer Rückstau, die Straße nach Loch Lomond abgeriegelt, ein Polizeifahrzeug mit Blaulicht blockiert den Weg, ein Polizist im Kreisverkehr dient als Erklärer.

„Sorry, die A82 ist bei Luss gesperrt. Wissen sie, wie sie umfahren müssen?“

„Ja, kein Problem!“ sage ich. Zumindest trifft das ungefähr zu aber ich habe sowohl Karte als auch Telefon und Ladekabel im Auto, ich werde also keine Probleme bekommen. Zumal – ich muss einfach nur allen anderen hinterher fahren. Die A82 ist die Hauptverkehrsader nach Norden, wenn man im Westen des Landes unterwegs ist.

Google Maps hatte nur von einem Unfall und 15 Minuten Zeitverzögerung gesprochen. Die Straße ist  bei Luss sehr gut ausgebaut, da kann man einen Unfall eigentlich umfahren. Wenn die Polizei aber die Straße komplett sperrt, dass hat es Tote gegeben. Und das dauert meist mindestens einen halben Tag, bis sie die Straße wieder für den Verkehr freigeben wird.

Ich texte dem Mann, aktiviere meine Position auf Google Maps und teile sie mit ihm. So kann er immer sehen, wo ich gerade bin.

Ich fliege auf der westlichen Umfahrung, die Straße ist super ausgebaut. Warum fahre ich hier eigentlich nicht öfter? Schließlich ist der enge obere Abschnitt der A82 am Loch Lomond immer schlecht zu fahren, weil die entgegenkommenden Busse und LKW fast nicht aneinander vorbei kommen.

Dann sehe ich die ersten Schilder (MOD) und es wird mir klar, warum die Straße hier so hervorragend ausgebaut ist. Das MOD ist das Verteidigungsministerium und ich fahre geradewegs auf Faslane zu, den Flottenhafen der Marine, in dem die Atom U-Boote cAuto mit Bootsanhänger verursacht Stausitzen, die und wer weiß was noch alles. Passend zum Thema wird das Wetter plötzlich dunkel und regnerisch und selbst Gare Loch, der Meeresarm an dem ich nun vorbei fahre, wirkt düster und bedrohlich. Was hier unter der Wasseroberfläche liegt, hat die Macht zur totalen Zerstörung. Ich würde am liebsten so schnell wie möglich an dem Stützpunkt vorbei fahren aber ein entgegenkommendes Auto mit Bootsanhänger blockiert den gesamten Verkehr. Der Fahrer hat schließlich ein Einsehen und fährt soweit das auf der engen Straße geht links ran. Damit kann der Verkehr auf meine Spur an ihm vorbei aber der Verkehr auf seiner steht.

Und genau ist das Problem für die nächsten Stunden (Google liegt leider völlig falsch mit der Prognose). Der umgeleitete Verkehr (die meisten werden über die östliche Umfahrungsroute geleitet aber manche eben über die im Westen) kommt auf dem engen Teilabschnitt entlang des Gare Loch nicht aneinander vorbei, normale Autos ja aber Busse, Bootsanhänger oder Camper nein. Und es gibt viele Busse, Bootsanhänger und Camper an einem Sommersonntag rund um Loch Lomond. Und weit und breit gibt es so gut wie keine Ausweichbuchten oder Parkplätze. Es gibt kein Entkommen.

Das stop and go zieht sich über Stunden, bis sich mein operierter Meniskus beschwerte. Ich sehne mich nach meinem deutschen Auto mit Automatik. Ansonsten vertreibe ich mir die Wartezeit, bis es wieder weiter geht mit Instagram Posts und Serien, die ich auf das Tablett heruntergeladen habe. Ich bin entspannt. Die meisten Menschen sehen allerdings ziemlich genervt aus in ihren Autos. Kein Wunder, es geht ja auch kaum voran.

Auf deutschen Autobahnen ist das mit dem Ferienverkehr sicher auch nicht anders Auto wendet im Staudenke ich und entspanne. Schließlich habe ich allen Grund, nicht gestresst zu sein, ich habe Café und Schokolade und brauche keine Toilette. In diesem Monsterstau gibt es bestimmt einige, die nicht so glücklich sind. Manche versuchen sogar zu wenden, um ihr Glück in der anderen Richtung zu suchen. Und ich schaffe es noch vor Sonnenuntergang nach Hause.

Am nächsten Tag besucht Prime Minister Boris Johnson Faslane, um sich über das Prozedere im Falle eines nuklearen Angriffs zu informieren. Natürlich wird er per Helikopter eingeflogen, was bedeutend schneller und unproblematischer ist  aber ich wette keinen Cappuccino von Costa beinhaltet, denn die haben zwar einen drive-thru aber keinen Heli-Landeplatz. Wahrscheinlich mag Boris Johnson ja gar keinen Cappuchino, der Europa Verweigerer genießt sicher viel lieber echt „britischen Tee“ aus Assam, China oder Ceylon.

Fremde

SchreibhütteEs ist Sommer, wenn auch nicht unbedingt erkennbar an der Temperatur aber immer erkennbar am „Füllgrad“ der Highlands. Im Juli ist es voll, überall, in den Hotels, den B&Bs, auf den Straße, voll, voll, voll. Ich bleibe soweit es geht zu Hause und bewege mich allenfalls vom Haus zur Schreibhütte und zurück. Mit dem operierten Knie ist joggen und wandern ohnehin noch nicht drin. Die Bewegung fehlt mir aber nicht der Trubel, der derzeit da draußen herrscht. Es ist als wäre die ganze Welt in Schottland.

Heute aber fühlte ich mich wagemutig und habe den Mann auf eine Dienstreise begleitet. Das klingt irgendwie hochtrabender wenn man es schreibt. Sagen wir, ich habe den Mann auf eine Dienstfahrt begleitet: nach Kinlochewe, Plockton und Kyle of Lochalsh, drei zentrale Anlaufstellen für Touristen an der Westküste der Highlands. Wenn man lange genug wartet, dann schafft man auch ein Foto ohne Verkehr.

Der Verkehr ist nervenaufreibend, ständig bremst irgendwo einer unvermittelt, weil er ein Fotomotiv zu erkennen glaubt oder er macht ganz bewusst langsam, weil er schließlich im Urlaub ist.

Der Mann ist leicht genervt, kein Wunder, der macht das Montags bis Freitags mit. Und er weiß, es dauert noch ein paar Monate, bis es wieder stiller wird. Ich wäre noch viel genervter an seiner Stelle.

A pro pos stiller.

BankWährend der Mann ein paar Dinge erledigt, suche ich mir eine stille Bank, um zu lesen. Es ist sonnig und warm heute, ausnahmsweise mal. Ganz Europa leidet unter der Hitzewelle und wir haben jeden Abend die Heizung an. Aber heute brennt die Sonne und es ist trotz Wind fast schon zu warm, um in der Sonne zu sitzen. Ich aber genieße es und fühle förmlich, wie ich Vitamin D tanke. Ich halte mein Gesicht in die Sonne. Schottland ist wunderbar!

railway Plockton

Dann, wie aus dem Nichts, ein Dutzend Amerikanerinnen mit Handgepäck. sie kommen von oben und rollen bergab. Lautstark, mit Stimmen wie aus einer amerikanischen Sitcom, unnatürlich schrill und laut. Da geht sie hin, die Idylle und ich frage mich, wo diese US Invasion herkommt.

Zug! Es fällt mit schnell ein. Gerade eben ist der kleine Regionalzug (zwei Waggons) vorbeigerattert. Da sind sie wohl ausgestiegen.

Plockton„Oh look at the view!“ stellen mindestens sieben von ihnen lautstark und nacheinander fest. Wunderbare Aussicht. Ich krame in meiner Handtasche und suche die Ohrstöpsel.

„Girls, let’s take a picture.“ Die Mädels zücken ihre Handys und versuchen sich sinnvoll aufzustellen. Ich stelle fest, dass ich die Ohrstöpsel vergessen habe.

Weitere giecksende Begeisterungsstürme, die Damen aus Übersee sind resistent gegenüber meinen Ignorierungsversuchen.

Irgendwann trollen sie sich bergab mit ihren Handgepäckkoffern.

Stille. Wunderbare Stille. Nur der Wind, die Bäume und ich….

Ein deutsches Auto hält neben mir. Ein Kennzeichen aus Rheinland-Pfalz. Eine Frau in den Sechzigern steigt aus und kommt herüber.

„What a lovely view.“ sagt sie.

„Ja. Wunderbar.“ Sage ich, damit sie weiß, dass ich auch Deutsche bin. Ich habe ja kein Kennzeichen, das mich verrät.

Sie geht wieder zurück zum Auto. Habe ich sie erschreckt? Nein, sie hat ihren Mann geholt.

„Stört es sie, wenn wir ihnen Gesellschaft leisten?“ fragt sie, diesmal auf Deutsch.

„Nein, natürlich nicht.“ Sage ich und wir genießen gemeinsam. Sie trinken ihren Kaffe, essen ihre Blätterteigtaschen und wir plaudern, über die beste Route, den Verkehr, ihren Urlaub und Camping. Und irgendwie ist es richtig nett (und nein, das meine ich nicht blöd sondern genauso wie ich es schreibe), mal wieder Deutsch zu reden.

Nach einer Viertelstunde verabschieden sie sich, es gibt ja noch so viel zu sehen.

Ich sitze noch ein wenig und genieße die Stille. Man wird ein wenig zum Eigenbrötler, wenn man nur in seiner Schreibhütte sitzt und vor sich hinschreibt, denke ich. Manchmal muss man einfach raus und mit Fremden reden. Ganz besonders dann, wenn man das Glück hat, in diesem wunderbaren Land nicht fremd zu sein.