Es ist Sommer, wenn auch nicht unbedingt erkennbar an der Temperatur aber immer erkennbar am „Füllgrad“ der Highlands. Im Juli ist es voll, überall, in den Hotels, den B&Bs, auf den Straße, voll, voll, voll. Ich bleibe soweit es geht zu Hause und bewege mich allenfalls vom Haus zur Schreibhütte und zurück. Mit dem operierten Knie ist joggen und wandern ohnehin noch nicht drin. Die Bewegung fehlt mir aber nicht der Trubel, der derzeit da draußen herrscht. Es ist als wäre die ganze Welt in Schottland.
Heute aber fühlte ich mich wagemutig und habe den Mann auf eine Dienstreise begleitet. Das klingt irgendwie hochtrabender wenn man es schreibt. Sagen wir, ich habe den Mann auf eine Dienstfahrt begleitet: nach Kinlochewe, Plockton und Kyle of Lochalsh, drei zentrale Anlaufstellen für Touristen an der Westküste der Highlands. Wenn man lange genug wartet, dann schafft man auch ein Foto ohne Verkehr.
Der Verkehr ist nervenaufreibend, ständig bremst irgendwo einer unvermittelt, weil er ein Fotomotiv zu erkennen glaubt oder er macht ganz bewusst langsam, weil er schließlich im Urlaub ist.
Der Mann ist leicht genervt, kein Wunder, der macht das Montags bis Freitags mit. Und er weiß, es dauert noch ein paar Monate, bis es wieder stiller wird. Ich wäre noch viel genervter an seiner Stelle.
A pro pos stiller.
Während der Mann ein paar Dinge erledigt, suche ich mir eine stille Bank, um zu lesen. Es ist sonnig und warm heute, ausnahmsweise mal. Ganz Europa leidet unter der Hitzewelle und wir haben jeden Abend die Heizung an. Aber heute brennt die Sonne und es ist trotz Wind fast schon zu warm, um in der Sonne zu sitzen. Ich aber genieße es und fühle förmlich, wie ich Vitamin D tanke. Ich halte mein Gesicht in die Sonne. Schottland ist wunderbar!
Dann, wie aus dem Nichts, ein Dutzend Amerikanerinnen mit Handgepäck. sie kommen von oben und rollen bergab. Lautstark, mit Stimmen wie aus einer amerikanischen Sitcom, unnatürlich schrill und laut. Da geht sie hin, die Idylle und ich frage mich, wo diese US Invasion herkommt.
Zug! Es fällt mit schnell ein. Gerade eben ist der kleine Regionalzug (zwei Waggons) vorbeigerattert. Da sind sie wohl ausgestiegen.
„Oh look at the view!“ stellen mindestens sieben von ihnen lautstark und nacheinander fest. Wunderbare Aussicht. Ich krame in meiner Handtasche und suche die Ohrstöpsel.
„Girls, let’s take a picture.“ Die Mädels zücken ihre Handys und versuchen sich sinnvoll aufzustellen. Ich stelle fest, dass ich die Ohrstöpsel vergessen habe.
Weitere giecksende Begeisterungsstürme, die Damen aus Übersee sind resistent gegenüber meinen Ignorierungsversuchen.
Irgendwann trollen sie sich bergab mit ihren Handgepäckkoffern.
Stille. Wunderbare Stille. Nur der Wind, die Bäume und ich….
Ein deutsches Auto hält neben mir. Ein Kennzeichen aus Rheinland-Pfalz. Eine Frau in den Sechzigern steigt aus und kommt herüber.
„What a lovely view.“ sagt sie.
„Ja. Wunderbar.“ Sage ich, damit sie weiß, dass ich auch Deutsche bin. Ich habe ja kein Kennzeichen, das mich verrät.
Sie geht wieder zurück zum Auto. Habe ich sie erschreckt? Nein, sie hat ihren Mann geholt.
„Stört es sie, wenn wir ihnen Gesellschaft leisten?“ fragt sie, diesmal auf Deutsch.
„Nein, natürlich nicht.“ Sage ich und wir genießen gemeinsam. Sie trinken ihren Kaffe, essen ihre Blätterteigtaschen und wir plaudern, über die beste Route, den Verkehr, ihren Urlaub und Camping. Und irgendwie ist es richtig nett (und nein, das meine ich nicht blöd sondern genauso wie ich es schreibe), mal wieder Deutsch zu reden.
Nach einer Viertelstunde verabschieden sie sich, es gibt ja noch so viel zu sehen.
Ich sitze noch ein wenig und genieße die Stille. Man wird ein wenig zum Eigenbrötler, wenn man nur in seiner Schreibhütte sitzt und vor sich hinschreibt, denke ich. Manchmal muss man einfach raus und mit Fremden reden. Ganz besonders dann, wenn man das Glück hat, in diesem wunderbaren Land nicht fremd zu sein.
Guten Morgen Nellie,
Heute mal mit einer sehr angenehmen Bindehautentzündung seit zwei Tagen. Das ist ja bescheiden, man irrt wie ein Blinder durch die Wohnung, bricht sich dabei nachts fast die Nase als man gegen eine geöffnete Tür läuft. Und – das Schlimmste – man kann ja so gut wie nichts lesen. Auf die Straße möchte ich mich auch nicht wagen zum spazieren gehen, nicht dass mich ein Fahrradfahrer umfährt. Meine Kochergebnisse ähneln momentan der Produktion von Holzkohle – Ich kann mich nur nach dem Geruchssinn orientieren, der allerdings auch durch einen leichten Heuschnupfen eingeschränkt ist. Ich hoffe dass man mir orthographische und grammatikalische Unzulänglichkeit and verzeiht, da die Diktierfunktion – ähnlich wie bei schottischen Dialekten – der bayerischen Sprache nicht immer so mächtig ist. Und da ich alles nur verschwommen sehe ist eine nachträgliche Korrektur sehr mühselig
Zumindest war ich in der Lage die letzten Tage ordentlich Sport zu machen, der Arzt war völlig verwundert, dass alles schon schmerzfrei und so gut verheilt ist (dauert normalerweise gut zwei Monate und knapp über fünf Wochen findet er doch außergewöhnlich schnell) und so hat er mir die Erlaubnis gegeben wieder aktiv zu sein. Meine Muskelkater nach zu urteilen sind Gott sei dank nicht alle Muskeln verschwunden (oder gibt es auch einen Fettkater???).
Danke für Deine heutige Geschichte, seit ich kein klassischer Tourist mir bin, geht es mir ähnlich wie dem Mann, dass wenn ich durch die Gegend fahre diese nervigen Touristen sehr oft unvermittelt bremsen oder durch die Gegend schleichen ohne mal den Rückspiegel zu benutzen. Und die bekannten Hotspots wo ist ja sehr reichlich davon gibt dann völlig überlaufen sind. Nix mehr mit Ruhe und Entspannung. Inzwischen genieße ich auch mehr die Zeit zwischen Oktober und April um wirklich zur Ruhe zu kommen. Wie du schon schreibst, je mehr man mit diesem Land verwächst, desto mehr hat man die gleichen Probleme wie die Menschen, die dort geboren sind.
Liebe Nellie ich möchte Dir auch an dieser Stelle mal dafür danken, dass Du inzwischen so regelmäßig (also so gut wie jede Woche) uns Lesern diese wundervollen Geschichten schenkst. Wie man ja aus Deinen früheren Blogs erkennt, war das ja eher sporadisch. Ich finde es schön, dass Du Dir jede Woche Deine wertvolle Zeit nimmst, um uns an Deinem Leben teilhaben zu lassen. Da wird fast jeder Sonntag zu Weihnachten😉.
Liebe Grüße und einen nicht zu kühlen Sonntag
Andi
Lieber Andi,
Du bist ja derzeit nicht gerade vom Glück verfolgt! Dann hoffe ich, dass du diese Antwort jetzt auch lesen kannst und wünsch dir gute Besserung. Dass du schon wieder Sport machen kannst ist tatsächlich unglaublich!
Ich versuche in der Tat, euch alle auf dem Blog regelmäßig auf dem Laufenden zu halten. Vielleicht klappt es bis Weihnachten nicht immer an jedem Sonntag, langweilige Geschichten will ich ja auch nicht schreiben aber da du ja so viel schreibst kann ich nicht hinten anstehen. 😉
Vielen lieben Dank für deinen ausführlichen Beitrag, er ist wie immer sehr willkommen!
Liebe Grüße,
Nellie
Naja, nachdem ich schon die ersten 50 Jahre hinter mir habe kann ich mir nicht ewig Zeit lassen um gesund zu werden. Man kann auch die Vorlesefunktion – wenn man nichts sieht – nutzen☺️.
Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass du auch in der Lage wärst „langweilige“ Geschichten zu schreiben ( ich vermute Du wärst sogar in der Lage eine Bedienungsanleitung spannend und humorvoll zu gestalten), aber vor allem hoffe ich, dass du dich nicht zu sehr unter Druck gesetzt fühlst, weil wir uns jeden Sonntag darauf freuen.
So, jetzt mache ich die nächste Spülung mit Honig Wasser. Soll ja antibakteriell wirken.
Liebe Grüße
Andi