Achtung! Es wird eng hier!

Meine Wanderung von Achnashellach zum Easan Dorcha und Coulin Pass

Die schottischen Highlands, ein Ort von wilder Schönheit und ungebändigter Natur, bieten Wanderern unzählige Möglichkeiten, sich in der Weite der Landschaft zu verlieren. Die Wanderung von Achnashellach zum Coulin Pass ist eine Route, die nicht nur mit atemberaubenden Ausblicken belohnt, sondern auch mit einer Herausforderung für Körper und Geist aufwartet. Stichwort Ironie, aber dazu gleich mehr.

path from Achnashellach towards Easan Dorcha

Die Reise beginnt in Achnashellach

Unsere Tour beginnt im malerischen Dorf Achnashellach, das in den nördlichen Highlands Schottlands liegt. Von hier aus führt der Weg durch eine Landschaft von überwältigender Schönheit, geprägt von grünen Tälern, schroffen Bergen und klaren Bächen. Die Luft ist erfüllt vom Duft wilder Blumen und dem Gesang der Vögel. So, stelle ich mir vor, wirbt der Reiseveranstalter für seine geführte E-Mountainbike-Tour und so ist es auch weitgehend, sieht man mal von dem malerischen-Dorf-Teil ab. Achnashellach ist nicht mehr als ein Bahnhof im Nirgendwo. Aber ein schöner. Man kann aussteigen und direkt losradeln.

Easan Dorcha, the dark waterfall
Nightfall on Skye
Highland Crime
Campbell & Hartmann 2

Der Aufstieg zum Easan Dorcha

Der erste Teil meiner Wanderung führt uns zum Easan Dorcha, einem nicht allzu großen, dunklen Wasserfall (wie der Name besagt), der dennoch beeindruckt, weil er sich malerisch ins Tal stürzt, umgeben von uralten Pinien und leuchtendgrünen Birken. Der Weg schlängelt sich durch dichte Wälder und über steinige Pfade, während ich langsam an Höhe gewinne. Der Anstieg ist anspruchsvoll, aber die Aussicht auf den Wasserfall entschädigt für alle Mühen, denke ich. Bis mir die Gruppe Mountainbiker entgegenkommt. Es ist, als wäre in einem Cross-Country-Weltcup auf der Rennstrecke gelandet. Nur, dass es sich hier nicht um Profis handelt, sondern um Hobbyfahrer, die verzweifelt ihre Bikes den schmalen Bergpfad hinaufschieben oder in Zeitlupe einen halben Meter hinter sich bringen. Ich stelle mich in den Matsch neben den Pfad und warte. Der Weg ist schmal und man kommt nicht aneinander vorbei. Es dauert guten zehn Minuten, bis alle an mir vorbeigekämpft haben. Eine Trennung zwischen Wegen für Mountainbiker und Fußgänger, wie wir sie im Schwarzwald haben, gibt es in Schottland nicht. Zumindest ist mir keiner bekannt. Auf der Wanderroute aber herrscht Verkehr wie auf der A8 bei Pforzheim. Das ist neu.

narrow mountain path

Über den Coulin Pass

Nachdem ich die Biker-Horde und Easan Dorcha hinter mir gelassen haben, führt der Weg weiter den Coulin Pass hinauf. Dieser Abschnitt ist mit einem breiten Weg gesegnet, doch nun ist kein Hobbyradler weit und breit zu sehen. Dafür die unendlich große Weite des schottischen Hochlands, kaum ein Baum. In der Ferne die Berge von Torridon, nichts als Licht, Luft und Weite. Und ein Schild: Danger. Confined Space. Eine Warnung vor zu wenig Raum in der Mitte der unendlichen Weite? Mein erster Gedanke: Ironie. Doch den nehme ich wieder zurück. Wohl eher Health & Safety. Das allumfassende Sicherheitsdenken im Vereinigten Königreich für alle Lagen des täglichen Lebens. Auch an Orten, wo man zwei Stunden wandern muss, um überhaupt hinzukommen. Egal, dies ist ein Estate und hier wird gearbeitet. Hätten sie mal lieber ein Radfahrer-Warnschild hingestellt als in der endlosen Weite des Hochlands eine Warnung vor zu wenig Platz.

Achtung! Es wird eng hier!

Warnschild Danger! Confined space

Nach 15km bin ich müde, aber zufrieden wieder zurück am Parkplatz. Keines der Autos hier hat eine Fahrradhalterung. Die Gruppe kann auch nicht per Zug gekommen sein, der passiert Achnashellach erst gegen 13 Uhr. Ein Tour-Veranstalter hat sie wohl rausgelassen und sammelt sie später wieder ein. Durch die e-Bikes sind die Highlands ein gutes Stück kleiner geworden. Vielleicht war es auch das, was das Schild sagen wollte: Achtung! Es wird eng hier!

Panorama Coulin Pass

Schilderwald und Mutterkühe

Es war einer dieser Momente, der Mut erfordert. Ich stand an einem cattle grid, diesem großen Rost im Straßenboden, über den das Vieh nicht läuft und das ein Gatter ersetzt, und lese auf dem Schild, dass es nicht sicher ist, dieses Feld zu betreten, weil hier Kühe kalben.

Three Lochs Walk

Hat der Bauer das nur für nervige Wanderer aufgehängt, die er nicht auf seiner Weide haben will?

In Schottland gibt es das Recht, sich frei zu bewegen, auch auf dem Privateigentum eines anderen, der Bauer kann also rechtlich nicht viel machen, wenn er keine Lust auf Wanderer hat.

Oder stimmt es wirklich, was das Schild sagt, das unter anderem noch „zu ihrer eigenen Sicherheit“ hinzufügt?  Das wiederum klingt gefährlich und ich frage mich, wann denn Kühe gemeinhin kalben. Dann könnte ich abschätzen, wie ernst ich das Schild zu nehmen gedenke.

Mein Recherche-Problem ist, mein Handy hat sich mit einem leeren Akku verabschiedet, gerade als es mit mitgeteilt hat, dass ich nun schon knapp zehn Kilometer gelaufen bin. Das knallrote Kuhschild schlägt vor, eine Alternativroute zu nehmen aber wie finden, ohne Telefon, die Karten nutzen nichts, ich bin auf einem neu angelegten Waldweg verloren gegangen, mit dem die Forstverwaltung beim Abholzen wohl den alten ersetzt hat. Mir bleibt nur die Alternative zurück, dann bin ich stolze 20 Kilometer unterwegs oder tapfer durch das Feld mit dem Mutterkühen.

Ich überlege, hinter dem cattle grid ist nur abgeholzte Fläche und von Kühen weit und breit keine Spur. Ich werde es versuchen. Mir war schon am Anfang meines Ausflugs aufgefallen, dass die Menschen hier im Südosten von Loch Ness überall Schilder hatten, die „privat“ und „kein Durchgang“ und „kein Zugang zum Wanderweg“ proklamierten. Hätten sie mal ein Schild aufgestellt, wo der Weg wirklich lang geht, hätte das wohl gereicht. Diesem Gedankengang folgend war ich geneigt, das Mutterkuh-Schild als überflüssige Warnung zu betrachten. Ein Schild aufzustellen, nur um Leute zu veräppeln, wäre hier durchaus vorstellbar, in Deutschland eher nicht.

Ich setzte also meinen Weg fort, der mich zuerst durch eine große abgeholzte Fläche führt, Baumstämme liegen rechts und links gestapelt. Ein weiteres Schild warnt davor, auf die aufgeschichteten Baumstämme zu klettern.

„Ach neh!“ denke ich. „Die mögen einfach Schilder hier.“

Kühe auf Weide

Der Weg macht eine Kurve und das Feld mit den Kühen liegt in einer Senke vor mir. Eine riesige mit gefährlich aussehenden Hörnern blickt auf und schaut mir direkt in die Augen. Neben ihr liegen friedlich drei Kälber. Ich zögere, gehe aber weiter. Ich sehe einen Zaun, da wo das Muttertier steht, es geht sogar direkt auf den Zaun zu, sieht aber immer wieder zu mir hin. Die Kälber folgen der Mutter. Und dann sehe ich, dass ein Stück von Zaun fehlt, durch das die Kuh, die aussieht als wäre mit ihr nicht zu spaßen, gerade forschen Schrittes durch schreitet während sie mich unablässig beobachtet.

da lagen sie noch friedlich rum

„Okay. Ich nehme das Schild jetzt ernst.“ sage ich halblaut und drehe wieder um. Dann eben die zehn Kilometer wieder zurück. Richtig sicher fühle ich mich erst, als ich wieder hinter dem cattle grid bin. Wer hätte gedacht, dass Wandern in den Highlands so gefährlich sein kann.

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