Kalender

Kürzlich habe ich im Drogeriemarkt einen Kalender gekauft. Das ist eigentlich nicht weiter berichtenswert, definitiv aber betrachtenswert.

Der Kalenderkauf ist eine im Prinzip völlig unnötige Aktion, denn ich habe ja schon einen. Grundschüler haben ihn gestaltet, sehr süß.

Dennoch, ich will diesen anderen Kalender unbedingt. Ich recherchiere, wo man ihn erwerben kann. Er wird an sämtlichen Tankstellen der Region und in der Drogerie in nächst größeren Ort, der etwa eine halbe Stunde Autofahrt entfernt liegt, verkauft.

Wildziegen Das klingt ungefährlicher, als es ist im Winter. Ich muss nämlich erst einer haarigen Horde Wildziegen ausweichen, die sich zum Lunch im Ort zusammen gerottet haben. Es gibt wohl nicht mehr viel zu fressen oben in den Bergen. Und in dem kleinen Fiat Panda fühlt man sich nicht ganz so unüberwindlich, wie man es zur eigenen Beruhigung gerne möchte.

Ich überstehe den Moment unverletzt und mit der Souveränität eines afrikanischen Wildhüters mit jahrzehntelanger Safarierfahrung und mache mich auf den Weg zu meinem Kalender.

Ein Stapel liegt direkt an der Kasse aus, im Sonderangebot, 50% Rabatt. Das kann doch nur an der Tatsache liegen, daß der Januar fast schon zu Ende ist. Oder sollte etwa der Kalender nicht den gewünschten Absatz gefunden haben?

Ich kann es mir nicht vorstellen, denn was die „Spielerfrauen“ des Shinty Clubs Kinlochshiel da aus der Handtasche gezaubert haben, ist allererste Liga!

Kinlochshiel Shinty Club (1)

Netterweise bakommt man in der Drogerie mit dem Kalender auch einen neutalen, weißen Umschlag, in den er gesteckt wird.  Ganz unauffällig.

Ich fahre stolz mit meinem Sonderangebotsschnäppchen nach Hause, wo der Mann nicht gerade begeistert ist von der Idee, den Kalender in die Küche zu hängen.

Naja, er mag eher Fußball.

Auf dem Laufenden

Was mache ich den ganzen Tag wenn ich nicht koche, putze oder schreibe? Ich laufe. Nicht ist herrlicher als entlang des Lochs der massiven Bergkette der Five Sisters entgegen zu laufen, den salzigen Geruch des Meers in der Nase.

Es gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten. Aus dem Haus und rechts die Straße entlang oder aus dem Haus und links die Straße entlang. Beide Strecken sind relativ flach. Cross country ist  für Jene, die mit Gummistiefeln laufen können.

 Shiel Bridge Cattle Grid

Eine Laufeinheit am Loch hat immer einen zoologischen Lerneffekt – erstaunlich, was einem da so begegnen kann: Möwen, Reiher, Rehe, Dachse, Otter, Schwäne, Marder, Kühe, Schafe, Wildziegen, Gänse, Enten und mit Glück auch Schweinswale. Die meisten Tiere schenken mir weiter keine Beachtung. Der Reiher fliegt schimpfend davon, Rehe rennen scheu und schnell ins grüne Dickicht. Die Wildziegen tun gar nichtsnund das ist gut so. Sie haben Hörner, die gut und gerne die Länge meiner Arme haben. Es heißt sie seien ganz friedlich. Ich hoffe die Wildziegen wissen das auch. Die Ziegen sind eine alteingesessene Herde, die es immerhin zu einem eigenen Verkehrsschild gebracht hat. Vor allem deshalb, weil sie stur stehen bleiben wo sie sind. Wenn sie einmal beschlossen haben, auf der Straße zu stehen, dann hilft auch im Auto alles hupen nichts. Schottische Ziegen können ganz schön bockig sein.

Anfangs bin ich gelaufen, um den Körper und Geist fit zu halten und die Natur zu bewundern. Das tue ich immer noch aber seit ich hier zeitweise lebe, laufe ich noch aus einem ganz anderen Grund: ich laufen um auf dem Laufenden zu sein, denn nichts ist so informativ wie eine kleine Laufeinheit entlang des Lochs.

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Stufe eins und damit niedrigster Level des Informationsflusses ist das einfache Zuwinken, aus dem Garten, dem Fenster, dem Auto oder dem Boot. Damit weiß man Jean ist wieder da, dem alten Donald geht es gut und die Kinder haben Schulferien. Zu Stufe eins gehört ausserdem das Wahrnehmen wichtiger Details wie die Fortschritte eines Anbaus hier, den neuen Pflanzen im Garten da oder die neue Bank von Linda, die Jeff aus Treibholz zusammen gebaut hat. Mit einem kleinen Herz aus Sandstein in der Mitte.

Dann gibt es Stufe zwei: intensiver Informationsfluss. Er ist nur durch bilaterale Kommunikation erreichbar. Und je mehr Menschen man kennt, umso mehr erfährt man. Das können kleine lustige Dige sein. Margrets Hühner zum Beispiel lieben Flöhe, deshalb sammelt Margret bei Ebbe Algen. Und ihre Hühner picken euphorisch die hüpfenden Jumping Jacks. Cath und Tom haben Besuch von ihrem Sohn aus Kanada, der ihnen beim Verkauf des Hauses helfen soll, nun aber krank im Bett liegt. John die Post war in Urlaub, Flusskreuzfahrt in Holland. All inclusive. Den Rotlichtbezirk in Amsterdam hat er nicht besucht, auf dringendes Anraten seiner Frau. John der Installateur hat ein neues Lieblingsgetränk seit er eine Woche mit Bruce von der Forstverwaltung mit dem Boot unterwegs war – beide trinken seither Kaffee Whisky. Den Urlaub kann man sich gut vorstellen.

Die ultimative Stufe drei sind bahnbrechende Neuigkeiten. Auch die gibt es sozusagen im Vorbeilaufen. Krankheiten, Todesfälle, Trennungen. Im Winter traf ich kurz nach meinem Wendepunkt auf der LinksausdemHaus-Strecke Stella, ebenfalls am Laufen. Stella berichtete mehr oder weniger unaufgefordert von ihrer Trennung von Paul, ihrem Auszug und ihrem neuen Leben auf der anderen Lochseite. Dann trenten sich unsere Wege wieder. Ich war noch Mitten im gedanklichen Sortierprozess dieser für mich überraschenden Neuigkeit, da traf ich auf Paul im Auto, der mir sofort und unaufgefordert berichtete, dass er sich nicht hatte trennen wollen, nicht genau wisse warum Stella überhaupt ausgezogen war und selbst erst mal hier bleiben und abwarten wolle. Mehr war nicht zu erfahren, weil dann die Autos hinter uns zu hupen begannen, Sie kamen auf der einspurigen Strasse nicht vorbei.  Touristen. Einheimische würden still warten, bis alles Nötige besprochen war. Kurz vor Ende meiner Enheit traf ich auf eine der älteren weisen Frauen am Loch. Sie wusste natürlich alles. Paul und Stella hatten sich viele Jahre gekannt, bevor sie ein Paar wurden. Er war Hausmeister und sie Lehrerin an einer Schule in England gewesen. Sie trennten sich damals von ihren jeweiligen Partnern und begannen ein neues Leben in Schottland. Das war nun auch zu Ende. Und das Haus stand zum Verkauf.

Laufen hat sich als fantastisches Mittel erwisen, auf den Laufenden zu sein. Nur meine Laufzeiten haben sich, seit ich hier am Loch immer mehr Menschen kenne, fatal verschlechtert.