Virginia Erkenbach

Einen Raum für sich allein

Virginia Woolfs Zitat „A woman must have money and a room of her own if she is to write fiction“ aus ihrem Essay „A Room of One’s Own“ ist ein berühmtes Statement, das weit über die Literatur hinausreicht. Es drückt die Notwendigkeit aus, dass Frauen Raum, sowohl physisch als auch finanziell, benötigen, um ihr volles Potenzial zu entfalten. Diese Worte sind zu einem Symbol für die Befreiung der Frauen geworden, nicht nur im Schreiben, sondern in allen Bereichen des Lebens. Sie erinnern uns daran, dass Selbstbestimmung und Unabhängigkeit grundlegende Bedürfnisse sind, die Frauen ermöglichen, ihre Träume zu verfolgen und ihre Stimmen zu erheben. Woolfs Zitat erinnert daran, dass jede Frau das Recht hat, ihren eigenen Raum zu beanspruchen und ihre Geschichte zu erzählen.

Ich habe diesen Raum. Ich erzähle Geschichten. Ich habe eine Schreibhütte und sie ist mir der liebste Ort der Welt. Doch dieser Raum ist nur gegeben, wenn andere ihn respektieren. Erwachsenen kann man das erklären, mache verstehen es, bei Kindern ist es schwieriger. Auch bei einem selbst. Wie kann man sich guten Gewissens von den sozialen Zwängen die Familie und Freunde einem auferlegen zurückziehen? Wir geht man „zur Arbeit“, wenn man doch im garten in der Hütte ist? Es ist schwer und schlechtes Gewissen stört Konzentration und Kreativität. Die Bedürfnisse der anderen schränken unsere Freiheit ein.

Ein Auto für sich allein

Hier in den Highlands gehört zur Freiheit der eigenen Entscheidungen und zur Unabhängigkeit von den Entscheidungen anderer ein Auto. Es nimmt eine zentrale Bedeutung ein, die weit über die bloße Fortbewegung hinausgeht. Es ist nicht nur ein Transportmittel, sondern auch ein Symbol für Unabhängigkeit und Flexibilität. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist Vorankommen schwierig bis unmöglich. Soziale Kontakte, Veranstaltungen, Weiterbildung, Versorgung, nichts geht ohne Auto, die Liste ist endlos. In den letzten Jahren habe ich das Auto des Mannes benutzt und das ging problemlos, da er für die Arbeit einen Dienstwagen nimmt. Den kann er allerdings nicht privat nutzen und ich darf nicht mitfahren. Aber ein Auto für uns zwei sollte reichen, dachten wir. Nun, wir lagen falsch, denn das Auto wird z.B. benötigt, wann immer der Mann zum Babysitten erklärt wird, was inzwischen sehr häufig und meist sehr spontan geschieht. Dann sind alle meine Pläne hinfällig: kein eigenes Auto, kein eigener Raum, keine eigenen Entscheidungen. Ich muss recherchieren, Deadlines einhalten, Marketingpläne bei Neuveröffentlichungen erfüllen. Um die Kontrolle über mein Leben und mein Schreiben zurückzugewinnen, brauche ich ein Auto.

Zum Zug kommen

Ich schaue mich um und prüfe Optionen. Dann entscheide ich mich für die nächsten zwei Monate für einen Mietwagen, den ich in Inverness am Flughafen abholen kann. Leider gibt es keine billigen mehr. Die Kleinwagen sind alle weg. Es ist Saison und die Touristen fahren die Fiat 500s im Angebot. Also gehe ich eine Klasse höher. Aber wie komme ich zur Abholung? Mit dem Bus (2x umsteigen) sind es £27 für eine Fahrt, mit dem Zug (1x umsteigen) nur £17. Ich nehme also den Zug und der Mann fährt mich am Morgen um 9 Uhr nach Kyle of Lochalsh. Ich muss zwar 3 Stunden warten aber die Sonne scheint, wir gehen gemeinsam frühstücken und ich genieße den warmen Vormittag mit Blick aufs Meer.

Die Zugreise von Kyle of Lochalsh nach Inverness bietet eine atemberaubende Fahrt durch einige der schönsten Landschaften Schottlands. Die Strecke führt entlang der Nordwestküste Schottlands und bietet spektakuläre Ausblicke auf majestätische Berge, ruhige Seen und weites Moor. Die Tickets stecken über dem Sitz fest und der Zug ist sauber, die Toiletten funktionieren und er ist höchstens zu einem Drittel besetzt.

Die Reise beginnt in Kyle of Lochalsh, einem Hafenort am Ufer des Loch Alsh, von wo aus der Zug gemütlich durch die Highlands fährt, wenn er nicht gerade an einem der vielen Bahnhöfe hält. Manche sind immer im Programm, an anderen wird nur gehalten, wenn man Bescheid gibt oder jemand am Bahnsteig steht. Während der Fahrt hat man herrliche Blick auf die Insel Skye. Die Strecke führt weiter durch die raue und unberührte Landschaft der Highlands.

In Inverness habe ich eine Weile Aufenthalt, bis der nächste Zug mich Richtung Flughafen mitnimmt. Man verlässt den Bahnsteig und geht auch nicht auf den nächsten, bevor die elektronischen Zugangssperren es zulassen. Alle Züge sind pünktlich, keiner drängt auf dem Bahnsteig und man kann sich mit einen leckeren Kaffee die Zeit vertreiben. Um 15:45 Uhr komme ich am Flughafen an und habe nun eine Wanderung rund ums Rollfeld vor mir, bevor ich am Flughafen den Wagen abholen kann. Dort haben die Damen mit den schönen Fingernägeln etwas Mühe mit meiner Buchung, aber zu dritt schaffen sie es schließlich und um 16:30 Uhr bin ich für die kkpmmenden zwei Monate stolze Fahrerin eines MG.

Auf der Heimfahrt scheint die Sonne. Ich bin frei und unabhängig und sende, bevor ich Gas gebe, respektvolle Grüße an an meine Schwester im Geiste: I feel what you mean, Virginia Woolf!

Panda-Rettung

„Sollen wir einen Prosecco aufmachen und das neue Auto feiern?“

Der Mann scheint mir ein wenig nachdenklich, vielleicht heitert ihn das auf. Er reagiert gar nicht, weil er so tief in Gedanken versunken ist, dass er mich nicht hört.

„Vielleicht war das doch keine so gute Idee mit dem Parkplatz im Industriegebiet“, sagt er in nachdenklichem Ton. 

Meine Rede, denke ich und schweige.

„Die haben bestimmt Überwachungskameras. Wenn da ein fremdes Auto steht, rufen die vielleicht die Polizei“, überlegt er weiter.

„An einem Sonntag? Das denke ich nicht“, versuche ich ihn zu beruhigen. Doch der Panda auf dem Parkplatz lässt ihm keine Ruhe und er tigert nervös durchs Haus.

Beim Abendessen erklärt er dann, das er am Sonntag mit dem Bus nach Inverness fährt und das Auto umparkt. Sogar bei Kwickfit will er vorbei, weil die sonntags aufhaben und vielleicht einen gebrauchten Reifen draufmachen können.

Ich wollte eigentlich wandern gehen, bringe es aber nicht über mich, den Mann mit dem Bus nach Inverness fahren zu lassen. Ich würde das problemlos machen, er kann es nicht. Ich beschließe, das nicht verstehen zu müssen und ihn hinzzukutschieren. Ich kann ja auch rund um Inverness wandern, während er Reifen aufpumpt, Auto umparkt und Gebrauchtreifen aufziehen lässt.

Sonntagmorgen fahren wir zuerst zu MacDonalds. Ich für Kaffee, er für Kaffee und Frühstücksburger. Dann fahre ich ins Industriegebiet. Der Panda ist noch da, eine Möwe hat einen riesigen weißen Schiss auf dem Dach hinterlassen.

Splash, denke ich und grinse innerlich. Dann winke ich ihm zu und fahre wieder aus der Stadt raus, die an einem Sonntagmorgen sehr verlassen wirkt. Ganz in die Wildnis will ich nicht, weil ich dann keinen Empfang habe und er mich nicht erreichen kann. Deshalb wandere ich einfach die am Berg gelegene Straße nach Abriachan entlang. Am Loch Ness ist der Empfang gut, das sollte kein Problem sein.

Abriachan Loch Ness @nme Abenteuer Highlands

Es ist ein ziemlich windiger und kalter Tag. Obwohl ich an einer Straße entlang laufe, fühlt es sich einsam und abgelegen an. Erstaunlich, wo doch Luftlinie eine Handvoll Kilometer weiter unten die Autos auf der A82 Stoßstange an Stoßstange unterwegs sind. Ich genieße es, mich in der kühlen Luft zu bewegen, Tannenwälder wechseln sich mit Heideflächen ab, ein paar vereinzelte Häuser hier und da. Immer wieder checke ich mein Handy. Was der Mann wohl macht?

Abriachan Loch Ness @nme Abenteuer Highlands

Nach drei Stunden bin ich wieder zurück an meinem Auto. Der Mann hat sich noch immer nicht gemeldet. Ich schicke ihm eine Nachricht und fahre los.

Bin auf dem Weg zurück nach Inverness. Wo steckst du?

Die Antwort kommt umgehend.

Bin gerade auf den Parkplatz des Autohändlers gefahren.

Das hätte wir auch gestern machen können, aber dann hätte ich nicht diesen schönen Spaziergang oberhalb von Loch Ness gemacht.

Der Mann sieht erschöpft aus. Er hat zwei Stunden bei dem Reifenladen verbracht. Anscheinend in einer irrsinnig langen Warteschlange. Was die Schotten sonntags so machen! Jetzt steht der Panda unschuldig auf dem Parkplatz des Händlers und der Mann fühlt sich besser, weil er am Vorabend das Geld für den Gebrauchtwagen überwiesen hat. Der Deal ist somit gemacht.

Auf dem Heimweg erkläre ich, dass wir definitiv heute Prosecco trinken müssen. Er nickt und grinst.

Mittwochs ist es dann so weit. Wir holen das neue Auto ab und begeben uns zum dritten Mal innerhalb von fünf Tagen in die Hauptstadt der Highlands. Der Mann macht früher Schluss und ist am Nachmittag abfahrbereit. Dreimal in die Hauptstadt, das hätte man auch effektiver lösen können grummle ich. So richtig viel Zeit zum Ausspannen hatte ich weder 2021 noch 2022, sonst würde ich jetzt nicht noch meinen Resturlaub nehmen. Ich beschließ, es positiv zu sehen. Ein Großteil der Strecke ist landschaftlich wunderschön und mein Auto hat nun wirklich allen Schnickschnack, mit dem man längere Fahrten angenehm machen kann. Dazu lockt der Ausblick auf einen Barista Kaffee. Happy Holidays!

Auf dem Parkplatz werfe ich den Panda einen letzten wehmütigen Blick zu. Er hat mich begleitet in all meinen Jahren in den Highlands. Jetzt hat ein neuer Abschnitt begonnen.

Der Panda auf der Intensivstation

Der Panda liegt in seinen letzten Zügen. Damit ist kein knuffiges Tier gemeint, der Satz bezieht sich auf das Auto. Der Mann hat einen Dienstwagen und benutzt den kleinen nur, wenn er muss. Ich gurke die meiste Zeit mit der Rostlaube durch die Gegend, außer ich habe meinen eigenen Wagen aus Deutschland mitgebracht.

An einem sonnigen Tag im April bin ich unterwegs nach Glen Strathfarrar. Ich will den Großteil des Tages dort verbringen, etwas Wandern, Friedhöfe erkunden, eine Fahrt durch die Natur genießen. Der Panda lebt noch, sozusagen, keucht aber ziemlich. Mehrere Warnleuchten erzählen mir von diversen Problemen, doch der Mann will mit einem neuen Auto noch warten und den Panda fahren, bis er tot ist. Eine Entscheidung, die viele hier treffen, man sieht die Autoleichen oft in den verwilderten Gärten vor sich hin rosten. Fortbewegungsmittle jener, die zu hoch gepokert haben und es nicht mehr rechtzeitig zum Autohändler geschafft haben. Der Mann ist zuversichtlich, dass es uns nicht so geht und wir noch viel Zeit haben.

Ich fahre also los und kümmere mich nicht um die Leuchten. Ein entspannter Tag liegt vor mir, ich habe Urlaub und in der letzten Zeit viel gearbeitet. Tag für Tag merke ich, wie der Stress immer mehr von mir abfällt und ich ein wenig ruhiger werde, mehr Natur und andere Gedanken aufnehmen kann, weil der Kopf freier ist.

Rhododendron und Schmetterling @nme Abenteuer Highlands

Gerade fahre ich den letzten Anstieg hinauf, bevor mich die Straße nach Strathglass führt, von wo aus Glen Strathfarrar abzweigt. Als ein seltsames rotes Lämpchen aufleuchtet, das mir erst mal nichts sagt. Bei der nächsten Gelegenheit halte ich an und erkunde seine Bedeutung im Bordhandbuch. Es ist das ABS. Nicht gut. Ales, was mit bremsen zu tun hat, sollte funktionieren. Ich fahre wieder ein paar Meter und teste die Bremsen. Alles fein.

Okay, denke ich, Vielleicht einfach nur ein Fall von nervösen Lampen. Dan erreiche ich den Kamm des Hügels und die gut ausgebaute Straße geht bergab. An der nächsten Kurve sieht die Lage schon anders aus. Ich bremse leicht und das Auto klingt, als würde jemand mit einem Vorschlaghammer gegen die Radkappen hauen.

der alte Pamnda @ERM

In einer Haltebucht bringe ich den Wagen zum Stehen und überlege. Zuhause ist knapp zwei Stunden entfernt. Da komme ich so nicht mehr hin. Die nächste Werkstatt ist vermutlich in Dingwall. Auch das ist ein gute Stück weg. Ich rufe am besten den ADAC. Prüfend sehe ich mich um. Ich habe alles, was ich brauche. Die ADAC-Karte, eine Thermoskanne Kaffee, Sandwiches, Müsliriegel, eine Flasche Wasser und ein Telefon mit vollem Akku. Fein!

Der ADAC nimmt den Fall auf und sagt mir, dass sie den Fall an die schottischen Kollegen weitergeben werden. Von denen wird mich dann jemand kontaktieren. Ich soll das Telefon anlassen und in der Nähe des Autos bleiben. Allerdings dauert es eine ganze Weile, bis mein Telefon wieder klingelt. Die Frau am anderen Ende der Leitung klingt nicht schottisch. Freundlich nimmt sie alle meine Daten auf. Das Kennzeichen? Puh. Ich muss aussteigen. Das kann ich nicht auswendig. Sie sagt, es kann ein bis zwei Stunden dauern, bis Hilfe kommt.

Kein Problem, sage ich. Ich habe wirklich alles, was ich brauche. Dazu bin ich im Wald, was es einfacher macht, wenn man den Kaffee, den man getrunken hat, wieder loswerden möchte.

Nach zwei Stunden ist noch immer keiner in Sicht. Ich rufe die Nummer zurück, unter der mich die Frau vom AA angerufen hatte. Es gibt einen Fehler im System, weil das Kennzeichen nicht stimmt. Was ich für ein großes I gehalten habe, ist offensichtlich eine 1, aber die schreibt man im Vereinigten Königreich ja nur als Strich.

Hab ich auch Schokolade dabei? Ich könnte jetzt Zucker vertragen.

Eine Stunde später, ich höre gerade der True Crime Podcast Sprechen wir über Mord, da sehe ich einen gelben Transporter den Anstieg zu mir hochfahren. Das muss er sein! Und ja, er biegt auf den Parkplatz ab, auf dem ich stehe und lässt kurz die orangefarbene Warnleuchte aufblinken.

Es steigt ein junger Mann aus, der in seinem Leben wohl etwas zu viel Schokolade gegessen hat. Er ist sehr freundlich und sehr gesprächig. Um diese Jahreszeit bleiben nicht viele liegen. Da ist er froh, wenn es etwas zu tun gibt. Dann vertieft er sich in das Handbuch und holt diverse Analysegeräte aus deinem Auto. Er lässt sich die Symptome beschrieben und kommt nach einer gewissen Zeit zu den schottischsten aller Lösungen: alles in Ordnung, das System hat einen Hau. Es meldet einen Fehler im ABS und das Auto reagiert, obwohl es nicht müsste. Wenn er das ABS ganz ausstellt, passiert das nicht mehr. Dazu zieht er den Stecker und ich soll demnächst in die Werkstatt, um es richten zu lassen.

Ich nicke. Es in der Werkstatt richten zu lassen war nicht Teil des Plans, den Panda sterben zu lassen. Nun soll ich das Ergebnis testen. Ich starte den Wagen und bremse den Berg runter und wieder raus.

Alles fein.

„Kaffee?“ frage ich. Ich habe noch was in der Thermoskanne.

„Nein danke“, sagt er. „Habe gerade zu Mittag gegessen.“

Dann plaudern wir noch ein wenig über das Wetter und die Pannen, die er während der Saison so hat. Klingt sehr international und abwechslungsreich. Er macht jedenfalls den Eindruck eines Mannes, der mit sich und der Welt zufrieden ist. Das ist bei mir nicht anders. In Deutschland hätte mich eine Panne gestresst. Aber hier, mit Zeit, Verpflegung und einem netten Retter ist das einfach ein weiteres Abenteuer Highlands, das zu einem guten Ende gefunden hat.

Mit einem Blick auf die Zeit beschließe ich, den Ausflug abzubrechen und direkt wieder nach Hause zu fahren. Der Tag neigt sich dem Ende entgegen, ich habe beim Abendessen viel zu erzählen.

Ein Jahr später lebt der Panda immer noch, ist aber auf der Intensivstation. Das fällt nur nicht so auf, weil ich dieses Mal mit meinem deutschen Wagen nach Schottland gefahren und nicht geflogen bin. Der Panda wird nicht genutzt. Will man ihn benutzen, zum Beispiel weil man die Auffahrt braucht, dann sitzen die Bremsen fest. Die lösen sich irgendwann, oft aber braucht es Gewalt. Der Mann beschließt, es braucht ein neues Auto und sieht sich im Internet nach Gebrauchten um. Er entscheidet sich für einen Dacia, weil er hofft, beim Händler einen guten Preis für den sterbenden Panda zu bekommen.

Mir ist alles recht, solange der Panda nur vom Hof kommt, denn meine Angst ist, dass er für immer bleibt, wenn er erst gar nicht mehr fährt. Im Nachbarort hat einer vier tote Autos vor dem Haus und der Mann findet das gar nicht komisch. Ich habe also Grund, mir Sorgen zu machen.

Keys

Es war einer dieser wunderbaren Sommertage, die mit strahlendem Sonnenschein und einem stahlblauen, wolkenlosen Himmel nach draußen locken. Wie immer um diese Jahreszeit, war ich früh wach und voller Drang, die Schönheit der schottischen Highlands zu erleben. Es war Wochenende und ich musste nicht arbeiten.

Um halb sechs Uhr sitze ich im Auto. Die Sonne steht bereits recht hoch, die Tage beginnen früh um diese Jahreszeit. Noch ist es frisch, aber nicht kühl, definitiv ein Tag für Dreiviertelhosen und T-Shirt. Sonnenbrille nicht zu vergessen. So oft kann man die nicht tragen, ohne deplatziert auszusehen.

walking througfh gorse @nme Abenteuer Highlands

Ich bin unterwegs zu einer Wanderung. Unterwegs halte ich am Eilean Donan Castle und werfe den Glasmüll in die Container auf dem Parkplatz der Gemeindehalle. Die ersten Touristen machen bereits Fotos, einer startet seine Drohne. Ja, im Vereinigten Königreich darf man Drohnen fliegen, obwohl eine Straße daneben liegt, und man darf an einem Sonntagmorgen um kurz nach sechs Flaschen in den Glascontainer werfen. Das sollte man mal im Schwarzwald versuchen!

Ich lächle und fahre weiter bis zum Parkplatz des Estates, den bewirtschafteten Großgrundbesitz. Ein Estate kann Wald-, Viehwirtschaft oder Jagd betreiben. Der Besitzer hat alles, Wald, Rotwild, Schafe und Hochlandkühe und vor allem eine sehr lange, geteerte Straße und im Anschluss einen guten Schotterweg. Man kann wandern, ohne sich durch Matschwüsten zu kämpfen und ohne jeden Schritt auf glitschigem Untergrund vorsichtig abwägen zu müssen. So kann man sich viel besser auf die Natur und seine Gedanken konzentrieren. Ist vielleicht nicht ganz so aufregend, aber mir gefällt’s.

Ich bin mit meinem deutschen Auto nach Schottland gekommen und stelle es auf dem Parkplatz ab. Happy wandere los, die Zufahrt hinauf zu den Wirtschaftsgebäuden, an der großen Halle vorbei, wo das Vieh sortiert wird und weiter entlang dem Fluss und der Weiden. Schafe überall, rechts, links, vor mir und hinter mir. Nach einer halben Stunde, habe ich die Schafe und das geteerte Stück Straße hinter mir gelassen. Nun führt der Weg durch eine große Herde Hochlandkühe, die ich (Nellie, the Kid) vor nicht allzu langer Zeit unfreiwillig vor mir hergetrieben habe. Inzwischen kennen sie mich, glaube ich und ich gehe tapfer durch die Herde durch.

Highland Cow staring at me @nme Abenteuer Highlands

Dann wird es einsamer, vereinzelt lugt ein Hirsch vom Hügel, Habichte kreisen, oder ein Bussard, ich bin mir da nicht so sicher, aber der Vogel unterstreicht unabhängig von der Gattung das Gefühl von Einsamkeit und wilder Natur.

Iron Lodge view
@nme Abenteuer Highlands

Nach neun Kilometern habe ich mein Ziel erreicht, ein kleines Loch. Hier setze ich mich auf meinen Lieblingsstein mit Blick aufs Wasser und weiter ins Tal. Ein schöner stiller Ort. In meiner Thermostasse habe ich meinen Morgenkaffee dabei und den genießen ich in vollen und durstigen Zügen. Um mich herum nur Vogelgezwitscher, der Wind und das Murmeln der Bergbäche. Friedlicher geht es nicht. In meinem Rucksack habe ich auch noch ein Sandwich und einen Müsliriegel, aber nach dem Kaffee bin ich nicht mehr hungrig. Außerdem esse ich nicht so gerne, wenn ich noch weiter laufe. Ich bin ja mit Stöcken unterwegs und das recht schnell. Frühstücken kann ich auch noch am Auto, denke ich. Dann ist es zwar schon Mittag, wird mir aber umso mehr schmecken.

Ich reiße mich von meinem Lieblingssitzplatz los und mache mich auf dem Rückweg. Langsam wird es heiß. Rechts und links duftet der wilde Ginster. Ich könnte nicht zufriedener sein. Insgesamt bin ich etwas über vier Stunden unterwegs und komme hungrig ans Auto. Ich packe die Stöcke in dem Kofferraum, lege meinen kleinen Rucksack und das Handy auf die Beifahrerseite und will gerade einsteigen, da fällt mir ein, dass ich mich noch nicht gedehnt habe.

Also dehne ich akribisch Beine und Arme. Derart entspannt brauche ich jetzt dringend Frühstück. Mein Magen knurrt. Ich öffne die Autotür …

Ich versuche die Autotür zu öffnen.

Wieso geht diese VERD***TE Autotür nicht auf?

Mein Schlüssel liegt auf der Beifahrersitz, mein Essen liegt auf dem Beifahrersitz, mein Handy liegt auf dem Beifahrersitz und ich stehe wie ein Idiot davor und komme nicht ran.

Mein schöner deutscher Mittelklassewagen hat mich ausgesperrt!

Wie kann das sein. Der Schlüssel ist doch programmiert, dass der Mechanismus nicht schließt, solange er im Auto ist. Ich bin mir sehr sicher, dass man mir das beim Händler so gesagt hatte. Ich war immer sehr sorglos damit umgegangen deswegen. Bisher hatte es sich auch nie von alleine geschlossen. Bisher!

Da stehe ich nun, ungefähr eine Dreiviertelstunde Autofahrt von zu Hause entfernt, ohne Telefon und ohne Auto. Das zu laufen schaffe ich nicht mehr, ich bin gerade knapp 20 Kilometer gewandert. Und selbst wenn mir das gelingt, was dann? Der Zweitschlüssel liegt zu Hause in Deutschland. Bis der mit der Post hier wäre, dauert es Tage und auch wenn ich eine Zeit ohne eigenes Auto auskäme, mein Telefon ist noch drin und ich arbeite remote. Die Zugänge funktionieren nur über Zweifaktor-Authentifizierung über mein Handy. Ich könnte nicht arbeiten.

Was soll ich tun? Das Fenster einschlagen? Der Wagen ist erst wenige Monate alt! Das kann doch nicht die Lösung sein. Und der Mann? Der vermisst mich erst am Abend. Er ist selbst unterwegs, wird sich wohl wundern, warum ich keine Nachrichten beantworte, aber da er weiß, wie schlecht der Empfang hier ist, wird er sich erst mal keine Sorgen machen. Bis das so weit ist, vergehen noch einige Stunden. Ich bin auf mich selbst gestellt.

sheep @nme Abenteuer Highlands

Ich denke nach. Wenn ich zurück zu den Häusern gehe, kann ich vielleicht jemanden finden, der für mich den ADAC anruft. Die haben bestimmt Mittel und Wege, ein Auto zu öffnen und anschließend den Alarm zum Schweigen zu bringen. Meine ADAC-Karte ist natürlich ebenfalls im Auto eingeschlossen, aber die werden mich auch so im System finden. Guter Plan, denke ich und mache mich auf den Weg zurück zu den Gebäuden. Ein weiterer Kilometer, auf den meine müden Beine gerne verzichtet hätten.

Als ich am Morgen vorbeigekommen bin, waren überall Männer in Autos unterwegs gewesen. Nun ist alles wie ausgestorben. Mittagszeit. Ich kann niemanden entdecken. Also gehe ich zu einem der Häuser. Spielzeug liegt im Garten verstreut. Vor der Tür stehen ein paar klobige Arbeitsstiefel. Scheint, als wäre jemand zuhause. Ich klopfe und warte. Die Tür öffnet sich und ein schlanker Mann Ende Zwanzig öffnet die Tür. In der Hand hält er eine dampfende Tasse.

„Hallo, entschuldige bitte die Störung. Ich stehe vorne auf dem Parkplatz und habe mich ausgeschlossen. Leider ist auch mein Handy im Auto. Wärst du so nett, den AA für mich zu kontaktieren?“

Der AA ist der ADAC im Vereinigten Königreich. Die würde man von Deutschland ohnehin bitten, die Hilfe durchzuführen.

„Gar kein Problem“, sagt er und stellt seine Tasse ab. „Passiert mir dauernd. Das erledigen Donald und Davy für ein paar Pfund. In meinen brechen die auch immer ein. Das kostet nicht viel, kann aber ein paar Kratzer im Lack verursachen.“

Ich bin müde, hungrig und ratlos und Kratzer sind mir gerade völlig egal. Wenn man hier den Automobilclub nicht ruft, dann eben Donald und Davy.

„Ich bin übrigens Nellie“, sage ich.

„Harris“, antwortet er. Er gehört zu den Generation, in der alle Schotten Inselnamen tragen.

Harris zückt sein Handy und ruft Davy an. Nachdem er ihm den Fall geschildet hat, reicht er mir das Telefon weiter. Davy erklärt auch mir nochmal, dass sie vorsichtig sind, aber es Kratzer geben kann.

„Das ist okay“, sage ich und mache mir mehr Sorgen wegen der Alarmanlage. Doch die ist für ihn offensichtlich kein Problem. Ich bedanke mich und lege auf.

„Und?“ fragt Harris.

„Er hat noch Kundschaft, aber dann kommt er. Er sagt es ist kein Problem“ erläutere ich.

„Dann fahr ich dich schnell ans Auto vor. Ich muss leider auch wieder los, aber auf dem Rückweg schaue ich nach, ob alles geklappt hat. Okay?“

„Danke, Harris!“

Und dann. Bin ich wieder am Auto. Der Parkplatz ist eine ordentlich geteerte Fläche von rund zehn auf zwanzig Meter, eine Seite ist mit einer halbhohen Mauer umfasst, auf der anderen führt eine Böschung hinunter zu den Weiden. Dort steht auch eine kleine Bank. Genug Platz zum Sitzen habe ich schon mal, denke ich. Mein Magen knurrt laut. Hätte ich doch nur gefrühstückt! Wenigstens ist es warm und falls es kühler wird, habe ich noch mein Hoody, das ist zugegeben eher dünn, aber besser als nur das T-Shirt.

Ich warte. Wieviel Kundschaft Donald und Davy wohl haben? Ich habe keine Uhr. Wir spät es wohl ist? So ohne Handy ist man ganz schön verloren. Also sitze ich da und denke. Wie lange es wohl dauert, bis man verhungert? Zuerst verdurstet man wohl. Ich sehe mich um. Hier ist ein kleiner Bach. Das Schicksal wird mich also nicht ereilen. Wann Donald und Davy wohl kommen?

Irgendwann taucht ein Mann um die Sechzig auf. Der muss zu den Auto gehören, dass außer meinem auf dem Parkplatz steht. Da er noch nicht da war als ich geparkt hatte, muss er wohl später gekommen sein und wohl eine andere Route genommen haben. Sonst hätte ich ihn ja getroffen. Ich wünschte, wir hätten den ADAC angerufen. Dann hätte der Mann jetzt nochmal anrufen und nachfragen können. So aber habe ich weder einen richtigen Firmennamen noch eine Telefonnummer von Donald und Davy. Ich weiß aber, wo die Werkstadt ist. Ich erkläre den Wanderer mein Problem und er weiß auch, wo die Werkstatt ist. Der nette Engländer ist übers Wochenende zu Besuch und gerne bereit, auf dem Heimweg in der Werkstatt vorbeizufahren und Donald und Davy daran zu erinnern, dass eine inzwischen sehr hungrige Frau auf Rettung wartet.

Ich sehe seinem Auto hinterher und fühle mich sehr alleine. Inzwischen ist es fünfzehn Uhr. Wann kommen sie endlich?

Als sie dann eine Weile später endlich auftauchen, könnte ich weinen vor Glück. Endlich!

Donald und Davy sind im selben Alter wie Harris, wahrscheinlich waren die zusammen auf der Schule. Sie steigen aus und erklären mir, was sie vorhaben. Donald wird Keile in die Beifahrertür treiben. Dann wird Davy versuchen, mit einem Stück Draht auf den Schlüssel zu drücken, der auf dem Beifahrersitz liegt. Dann würde sich die Tür öffnen.

Ich nicke. Es ist inzwischen 16:35 Uhr und ich habe Sorge, dass ich vor lauter Hunger Halluzinationen habe. Die Prozedur dauert. Die Keile wollen nicht richtig sitzen, der Draht gibt zu sehr nach, ich, die Geduldlosigkeit in Person, muss zusehen und warten. Und warten. Warten. Langsam wird es kalt. Ich ziehe meinen Hoody an und friere trotzdem. Die beiden sind noch immer im T-Shirt unterwegs. Schotten. Anderes Temperaturgefühl.

Dann beschließt Donald, dass er einen festeren Draht braucht. Sie sehen im Auto nach. Sie haben keinen. Oh nein! Bitte lass sie nicht wieder wegfahren, um einen dickeren Draht zu holen. Das wäre Donald gar nicht in den Sinn gekommen, er nimmt eine Drahtschere und geht zum nächsten Zaun, um dort ein passendes Stück rauszuschneiden. Dann versucht er es wieder.

Beep, beep.

Die Tür ist auf!

Die Tür ist auf!!!

DIE TÜR IST AUF!!!

Ich habe Tränen in den Augen und würde die beiden am liebsten umarmen.

Schnell mache ich alle Türen auf und nicht wieder zu. Sicher ist sicher. Dann nehme ich die Schlüssel an mich, um sie nie wieder loszulassen.

Donald und Davy schauen zufrieden und nicht sonderlich beunruhigt über die Tatsache, das ich auch kein Bargeld dabei habe, um sie zu bezahlen. Ich bekomme die Bankdaten und soll überweisen. So viel Vertrauen haben sie. Obwohl mein Auto ein deutsches Kennzeichen hat.

„Was schulde ich euch?“

Die beiden sind eine gute halbe Stunde hierher gefahren und haben weit über eine Stunde versucht, das Auto zu öffnen. Ich habe keine Vorstellung, was sie verlangen und es ist mir auch gar nicht in den Sinn gekommen, davor danach zu fragen. Der ADAC wäre für mich als Mitglied ja kostenlos gewesen.

Davy schaut unsicher. Donald wagt sich langsam aus der Deckung und fragt vorsichtig.

„Sind Vierzig Pfund okay?“

„Ja“, sage ich erleichtert. „Vierzig Pfund sind okay. Ich überweise sie euch, sobald ich zuhause bin.“

Ich setze mich hinters Steuer und drinke einen großen Schluck Wasser. Dann falle ich über meine Sandwiches und den Müsliriegel her.

Wie konnte das passieren. Ich krame nach dem Bordhandbuch. Da steht es. Das Fahrzeug wird nicht abgeschlossen, solange der Schlüssel im Kofferraum liegt.

IM KOFFERRRAUM?

Wer legt denn seinen Schlüssel in der Kofferraum?

Ich jedenfalls nicht.

Dan steige ich aus und prüfe die Beifahrertür. Die Gummidichtung ist beschädigt, es sind Kratzer im Lack und die Tür schließt nicht mehr bündig. Das wird teurer als vierzig Pfund. Viel teurer. Ob der ADAC das auch so gelöst hätte?

Was solls, denke ich. Ich kann es jetzt nicht mehr ändern. Ich nehme mein Telefon und prüfe die Nachrichten.

Der Mann hat vor zehn Minuten geschrieben. Schatz, bei dir alles okay? Ich hab den ganzen Tag nichts von dir gehört?

Erst einige Wochen später traue ich mich wieder auf dieselbe Wanderung. Den Autoschlüssel hüte ich wie einen Schatz. Es fehlt nicht viel und ich hätte ihn während der gesamten Tour in der Hand behalten. So etwas passiert mir kein zweites Mal. Ich bin gut eine halbe Stunde unterwegs, da kommt ein Pickup auf mich zu. Ein älterer Farmer, mit dem ich gelegentlich geplaudert habe. Er hält an und lässt die Scheibe runter.

„Schöner Tag heute“, sagt er.

„Oh ja, könnte nicht besser sein“, erwidere ich.

Er schaut mich prüfend an, um dann mit todernster Stimme zu sagen:

„Und? Hast du deine Schlüssel?“

Iron Lodge @nme Abenteuer Highlands

Abenteuer Highlands 3 – Ja hört das denn nie auf!

Nach den ersten Erfahrungen mit den Highlands habe ich das erste Buch geschrieben: Abenteuer Highlands – mein etwas anderes Leben im schottischen Hochland. Damals noch ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass es vielleicht mehrere geben könnte. 

Die Jahre gingen ins Land und die Abenteuer wurden nicht weniger. Deshalb, und weil ich immer wieder gefragt wurde, ob es nicht bald einen zweiten Teil von Abenteuer Highlands gäbe, habe ich ihn geschrieben. Abenteuer Highlands 2.0 – zwischen Schwarzwald und Schottland – alles, was ein Doppelleben in zwei Ländern aufregend und erzählenswert macht. 

Nun ist Abenteuer Highlands offiziell eine Serie und der nächste Band Abenteuer Highlands 3 – Ja hört das denn nie auf! seit Oktober 2023 als Taschenbuch und eBook bei Amazon verfügbar. 

Nellie Merthe Erkenbach

Die Kurzschlacht von Prestonpans

Schottische Schlachten, wie in der Tat viele andere Schlachte auch, brannten sich aus mehreren Gründen in das Gedächtnis ihrer Nation ein:  wegen der vielen Verluste, die auf einer oder beiden Seiten erlitten wurden, wegen der Heldentaten Einzelner oder der Dauer, in der sie wüteten. Prestonpans war eine der kürzesten Schlachten in der Geschichte Schottlands, sie dauerte nur knappe 10 Minuten.

Es war der 21. September 1745. Prince Charles war gekommen, das Land zu regieren und es von der englischen Herrschaft zu befreien. Gerade hatte er die Hauptstadt, Edinburgh, eingenommen, wo man den (so hoffte man) künftigen König der Schotten euphorisch feierte.

Keine guten Nachrichten für die Engländer und ihren General Sir John Cope, denn der führte eine Truppe Soldaten an, die wenig Erfahrung hatte im Kriegsgeschäft. Dennoch musste er eingreifen und marschierte gen Edinburgh.

Küstenlinie East Lothian

Auf dem Weg dorthin lagerten sie in Haddington, was den Jakobiten in Edinburgh nicht verborgen blieb. Am Abend hielt Charles Edward Stuart Kriegsrat. Man wollte Cope und seine Truppen schon auf ihrem Weg nach Edinburgh zur Schlacht zwingen und sie nicht erst in der Hauptstadt erwarten. Die Schotten marschierten los, und als General Cope das vernahm, ging er auf einem Feld, das auf der einen Seite von einem unzugänglichen Moor geschützt war, in Stellung, um den schottischen Rebellenprinzen und dessen Männer zu erwarten. Hier sollte die Schlacht von Prestonpans geschlagen werden.

Prestonpans Friedhof

Cope kommandierte 2000 Männer und verfügte über Artillerie. Die Rebellen bezogen auf einer Erhebung Stellung, von der aus sie das Camp des General Cope gut übersehen konnten. Sie hatten nur wenig Musketen, keine Artillerie, nur ihre Breitschwerter und die dirks, die typischen Messer der Highlander. Es blieb ihnen also keine andere Möglichkeit, als frontal anzugreifen. Der Abend kam, der nächste Morgen würde Sieg, Tod oder Gefangenschaft bringen.

An diesem Abend meldete sich der junge Robert Anderson zu Wort. Er kam aus Whitburgh und kannte sich in der Gegend gut aus. Er wusste, es gab einen Pfad durch das Moor, auf dem man die englischen Truppen würde erreichen können, ohne dass man sie dort erwarten würde. Es war dunkel und vom Meer her zog dichter Nebel über das Moor. Robert Anderson führte die Highlander bei Nacht und Nebel durch das Moor, in kleinen Gruppen auf dem schmalen Pfad, eine potenziell tödliche Route, doch Anderson hielt was er versprochen hatte und führte die Männer sicher ans Ziel.

Wolken über dem Forth of Forth

Als die ersten Sonnenstrahlen den Nebel auflösten, standen die Schotten überraschend an der Ostflanke der englischen Truppen. Die Artillerie blickte direkt in die aufgehende Sonne und war damit ihrer Stärke beraubt. Cope saß in der Falle und mit ihm seine Männer. Nach 10 Minuten waren 150 Mann der Regierungstruppen tot oder verwundet, einige flohen, der Rest wurde gefangengenommen. Die Highlander hatten nicht nur einen großen Sieg für die Moral errungen, sie hatten auch Waffen und Munition erbeutet. Und sie hatten an Ansehen gewonnen, denn nun sah man auch in London, dass die Highlander nicht nur wilde Einzelkämpfer, sondern vielmehr auch kluge Strategen waren.

Cope selbst entkam mit ein paar seiner Männer und brachte seinen Vorgesetzten die Nachricht seiner Niederlage persönlich. In den nachfolgenden Jahrhunderten waren spöttische Gedichte und Lieder über General Cope eine beliebte Art, sich an die Schlacht von Prestonpans zu erinnern.

Hey, Johnnie Cope are ye wauking yet? Hey Johnnie Cope, bist du schon wach? ist bis heute ein sehr beliebtes Lied mit einprägsamer Melodie. So ziemlich jede schottische Band hat das Lied irgendwann einmal aufgenommen, so auch die Corries und die Tannahill Weavers.

Einige der in der Schlacht von Prestonpans gefallenen Soldaten wurden auf dem Friedhof in Prestonpans begraben. Leider sind einige der alten Grabsteine zerstört worden. Eine bleibt jedoch, die von John Stuart von Phisgul, der im Regiment von Generalleutnant Peregrine Lascelles gegen die Jakobiten gekämpft hatte.

Hier liegen die Überreste on John Stuart of Phisgul, ein Galloway Gentleman and Captain in Lassel’sRegiment. Ein Mann von wahrer Tapferkeit, der ehrenhaft starb in Verteidigung seines Königs und seines Landes sowie der heiligen und bürgerlichen Freiheit, bis er gegen Ende der Schlacht auf dem Gebiet von Preston am 21. September 1745 von vier Highlandern barbarisch ermordet wurde.

Bei meinem Besuch auf dem Friedhof traf eich eine ausgesprochen liebenswerte ältere Dame, die mit großer Hingabe säuberte, pflanzte und goss. Ihr Sohn (sehr scheu und verschlossen) half ihr, wenig später kam ihr Mann, um sie abzuholen. Sie führte mich stolz zu dem Grab des gefallenen Captains, stolz, weil der Grabstein ihr persönlicher Bezug zur berühmten schottischen Schlacht war.

„Machen Sie das Tor gut zu.“ sagte sie, bevor sie zu ihrem Mann ins Auto stieg und mich allein lies mit ihrem Friedhof.

„Und bringen Sie das nächste Mal eine Drohne mit, da sieht man alles besser!“ rief der Gatte mir aus dem Auto zu. Er war offensichtlich nicht minder stolz darauf, Teil der schottischen Geschichte zu sein.

So ist das eben mit Friedhöfen in Schottland. Sie lassen einen nicht mehr los, weil sie die Verbindung sind zwischen persönlichem Erfahren und dem Erbe einer ganzen Nation. Egal ob man Schottin ist oder Deutsche.

Schottlandreise während Corona – Zügig zum Ziel

Nach dem Mietwagen-Aus stelle ich die gesamte Reise nach Schottland in Frage. Soll ich nicht vielleicht doch lieber mit dem Auto fahren? Braucht es eine Planänderung? 

Ich könnte ja den Eurotunnel nehmen, da kann man im Auto sitzen bleiben. Aber der hat inzwischen auch die Preise angezogen und so richtig ist der auch nicht im Einklang mit den Einreiseregeln. Ich muss schließlich 14 Tage in Selbstisolation und auf direktem Weg von der Grenze zu meinem Bestimmungsort. Das sind von der Südküste Englands aus knappe 1000 Kilometer und von zu Hause bis zum Ärmelkanal nochmal knapp 700. Das schaffe ich nicht ohne Schlaf und Schlaf in einem Hotel beißt sich irgendwie mit direktem Weg und nur an einem Ort aufhalten. Streng genommen müsste ich durchfahren oder im Auto übernachten.

Der Mann runzelt die Stirn als ich ihm das erzähle. Im Auto übernachten sieht die Polizei auf der Insel generell nicht gerne, unabhängig von Corona. Also irgendwie ist das alles nicht so super.

Dann also Zug, eingesperrt mit vielen anderen Menschen, die alle dieselbe Luft atmen. Genau wie im Flieger, aber da wird sie ja angeblich alle 3 Minuten ausgetauscht. Im ICE kann man kein Fenster aufmachen.

Allerdings gibt es eine sehr gute Verbindung mit nur 2x umsteigen direkt zum Flughafen in Amsterdam. Und die Preise in der 1. Klasse sind mit 90,- € wirklich gut. Da kann man eigentlich nicht nein sagen. Ich hoffe, dass die Züge nicht zu voll sein werden. Zusammengepfercht mit vielen anderen möchte ich nämlich nicht sein. Schon gar nicht über 6 Stunden. Aber es scheint mir die sinnvollste Lösung im Moment. Schließlich ist fast nichts mehr so, wie es vor Corona war.

Ich buche also einen Zug, um zügig zum Ziel zu kommen. Sparpreis. Wenn was dazwischenkommt, bekomme ich mein Geld nicht zurück. Egal. Es kommt nichts dazwischen.

Es kommt ganz bestimmt nichts dazwischen!

Morgen: Ich bin vorbereitet!

Schottlandreise während Corona – Ein Königreich für ein Auto

Eine Reiseplanung beginnt man am Besten mit einer logischen Überlegung: Fährt man eine Strecke von A nach B aber (auf absehbare Zeit) nicht wieder zurück von B nach A, dann nimmt man sich am besten einen Mietwagen, holt ihn bei A und gibt ihn bei B wieder ab.

Das Leben kann so einfach sein mit As und Bs. Leider ist die Realität aber eine ganz andere. Die Reisebeschränkungen sind aufgehoben, langsam wachen die Flughäfen auf aber die Autovermietungen schlummern leider noch im tiefsten Tiefschlaf.

Ich versuche SIXT. Nach langem Rumspielen auf dem Online Formular stelle ich irgendwann fest, dass die Abgabe in den Niederlanden generell nicht möglich ist. Na ja, hätte man auch direkt sagen können, statt Kunden x-mal verschiedene Abhol- und Abgabevarianten durchspielen zu lassen.

Mit fällt AVIS ein. Da habe ich eine Nummer von der Filiale in der Nähe. Nicht die von der Zentrale. Ich will Beratung, denn auch auf diesem Online-Formular komme ich irgendwie nicht weiter. Die Abholung am Sonntag scheint ein Problem zu sein. Ich bin aber auch gerne bereit, die Abholung an einer anderen Filiale zu machen, aber die, die laut Eintrag sonntags auf haben, kann man nicht buchen. Ich versuche es old-school mit dem Telefon.

Autovermietung

Einen Moment bitte. Es ist gleich ein Mitarbeiter für sie da.

Ich mache mir einen Kaffee und gieße die Pflanzen.

Einen Moment bitte. Es ist gleich ein Mitarbeiter für sie da.

Ich leere den Mülleimer und putze den Badezimmerspiegel.

Leider sind all unsere Mitarbeiter in einem Kundengespräch. Bitte hinterlassen sie eine Nachricht nach dem Piepton, wir rufen sie so schnell wie möglich zurück.

Ich hole Luft und warte auf den Piepton. Stattdessen kommt eine weitere Ansage:

Sie haben die maximale Anzahl der Nachrichten erreicht. Auf Wiederhören.

Okay, streiche AVIS, versuche Europcar.

Autovermietung

Auch hier gestehe ich mir nach einer gefühlten Ewigkeit mein Scheitern bei der Online Buchung ein. Anscheinend muss man ein Auto freitags abholen, wenn es montags haben will. Die vier Tage kosten so um die 500,- €.

Es muss doch irgendwo eine Filiale geben, die am Wochenende auf hat. Ich ziehe wieder den Telefon-Joker und diesmal habe ich tatsächlich jemanden am Apparat. Wegen Covid-19 sind alle Autovermietungen in meiner Region nur stundenweise besetzt. Es bleibt bei Freitag und fast 500,- €. Und ich müsste mit dem Taxi hinfahren, was ein weiterer Fünfziger wäre, mit öffentlichen Verkehrsmitteln kann ich die Mietwagenstation nicht erreichen.

Morvern from Sleat

Ich werd‘ irre! Ich will nach Schottland!

Morgen: Zügig zum Ziel

Schottlandreise während Corona – Ich habe einen Plan

Es war alles schon gebucht gewesen. Mitte Mai wollte ich wie immer zurück nach Schottland fliegen. Ich hatte Ende Januar dem Mann tschüss gesagt gehabt und war in den Flieger nach Deutschland gestiegen. Doch ganz so leicht wie es all die Jahre zuvor mit der Fernbeziehung im Ausland war, sollte es 2020 nicht mehr werden. Das Virus hat uns einen gehörigen Strich durch die Beziehungsrechnung gemacht.

Als im März die ersten Schreckensmeldungen aus Italien eintreffen, mache ich mich zur vorzeitigen Abreise bereit, sitze ein Wochenende auf meinem Koffer und glühenden Kohlen, um dann montags wieder auszupacken. Der Chef will, dass ich bleibe, keiner kann absehen, wie sich die Situation entwickelt. Journalisten werden als systemrelevant eingestuft und gebraucht. Ergo: kein Urlaub. Ich bleibe. Wenige Tage später tritt die Reisewarnung in Kraft.

Als die Meldung durchsickert, dass Mitte Juni das Reisen wieder möglich sein wird, beginne ich zu planen. Bis Ende Juni bin ich in ein Corona Projekt eingebunden. Über die Sommermonate wird dann erwartet, dass die Mitarbeiter Urlaub nehmen. Gerne Chef! Aber nur, wenn ich nach Schottland reinkomme. Das Schlimmste, was mir jetzt passieren kann ist, dass ich Urlaub nehmen muss, ohne ihn in Schottland beim Mann verbringen zu können. Das würde nämlich bedeuten, dass aus der Gleichung Urlaubszeit = Beziehungszeit nichts wird und die Beziehungszeit 2020 sich dem Faktor 0 nähert.

Ich muss unter allen Umständen irgendwie nach Schottland! Ich muss einfach!

Also mache ich einen Plan.

Ab 15. Juni sollen die Grenzen wieder auf sein. Ich buche einen Flug und reise zum Mann. Mein ursprünglicher Flug im Mai war ausgefallen und Easyjet hatte angekündigt, die Kosten zu erstatten. Was sie allerdings noch immer nicht getan haben. Umbuchen wäre auch schwierig, es gibt keine Flüge, auf die man umbuchen könnte.

Bei der Reise will ich ganz besonders darauf achten, sie so sicher und kontaktarm wie möglich zu gestalten. Damit kommt eine Anreise mit dem Auto nicht in Frage, denn auch wenn man auf den ersten Blick im eigenen Auto kontaktarm unterwegs ist, ändert sich das beim weiteren Nachdenken. An Autobahnraststätten, an den Mautstellen in Frankreich, bei der Übernachtung in einem Hotel (bei 1.600 km Fahrstrecke nötig) und auf der Fähre, überall Menschen. Außerdem müsste man so durch England nach Schottland einreisen. Kein kluger Plan, während des Lockdowns wurden zahlreiche Engländer an der Grenze zu Schottland abgewiesen. Warum sollten sie eine Deutsche reinlassen?

Bleibt also nur Flug, möglichst einer ohne Zwischenlandung an einem der internationalen Drehkreuze Amsterdam, London oder Paris.

Eigentlich ganz einfach…….

 

Morgen: Finde einen Flug

dringende Bedürfnisse

Gestern war der Tag der dringenden Bedürfnisse.

Ich hatte seit Tagen das dringende Bedürfnis nach einem kleinen Ausflug: rumfahren, Landschaft genießen, fotografieren. Einfach mal raus und Schottland erleben. Das Wettergrau hatte mich bis gestern im Haus gehalten und noch in der Früh sah es eher trüb als ausflugsverlockend aus.

towards Applecross (1)Pünktlich zur Abfahrt aber kommt die Sonne aus den Wolken hervor, als wolle sie mich aus dem Haus locken in die grandiose Weite des schottischen Hochlands. Ich mache mich auf, ohne gefrühstückt zu haben. Ich habe nur einen Kaffee in der Warmhaltetasse, ich will zum Spar in Lochcarron, da gibt es die leckersten pieces weit und breit. Zwei Brötchen, eins mit Ei und Speck und eins mit Mayonnaisenei und Zwiebel im Gepäck, mache ich mich nach auf Applecross.

towards Applecross (5)

Es hat frische 8 Grad aber ich beschließe, daß es sicher ist, die Paßstraße zu nehmen. Die Umfahrung dauert gut eine Stunde länger. Der Bealach na Ba hat es in sich und die Warnhinweise sind nicht nur zum Spaß da. Wer also das dringende Bedürfnis nach Abenteuer hat….

towards Applecross (7)Sicher oben angekommen, hat es nur noch 4,5 Grad und das Auto blinkt Glättewarnungen. Doch die Straßen sind ok. Was für eine atemberaubende Gegend, weit und breit nur Einsamkeit und Steinwüste. Die schlichte aber überwältigende Größe der Torridon Berge. Weit und breit nichts, kein Baum und kein Strauch.

Kein Baum und kein Strauch!

towards Applecross (4)

Der Kaffee fordert Tribut und da ist einem als Frau so ein Baum oder ein Strauch schon ganz recht. Wer weiß, ob in der großen Einsamkeit nicht ausgerechnet doch im falschen Moment ein Auto vorbei kommt.

towards Applecross (8)

toilet ApplecrossWeil es nicht mehr weit bis Applecross ist, bleibe ich trotz Druck tiefenentspannt. Die öffentliche Toilettendichte ist hoch in den Highlands. Wo es Menschen gibt, gibt es Toiletten und die sind immer so gepflegt, dass man auch ohne Bäume und Sträucher leben kann, falls man mal ein dringendes Bedürftnis entwickeln sollte.

Apropos!

towards Applecross (2)Ich habe inzwischen Mörderhunger, es ist Mittag und die Brötchen sind noch unberührt. Die Straßen sind einfach nicht zum Essen gemacht. Wärend ich in Deutschland im Auto alles Mögliche tue (essen, trinken, telefonieren, schminken) geben einem die Straßen hier keine Chance; rauf, runter, enge Haarnadelkurven, einspurige Streckenabschnitte mit Ausweichbuchten. Und Telefonsignal gibt es ohnehin selten eins.

Ich halte, kaue und genieße.

past Applecross (2)

Zurück fahre ich die lange aber passlose Strecke über Shieldaig und beschließe beim Co-op noch schnell ein paar Sachen zum Essen einzukaufen. Im Laden sind mehr Mitarbeiter, die Regale auffüllen, als Kunden. Der weitgehend haarlose Herr an der Kasse hat Zeit.

co-op KyleOb ich wüsste, wie viele Ebola Fälle es inzwischen im Land gäbe, will er wissen.

Während ich nach in meinem Hirn nach einer Antwort auf eine derart unerwartete Frage krame, erzählt er mir von seinem Leben. Er war mal Soldat. Und Koch. Und man müsse doch was tun wegen Ebola und so. Und überhaupt Viren, die sind vor allem auf dem Geld, meint er.

Ich bezahle mit Kreditkarte und versuche noch, all diese Informationen zu verarbeiten, da ist er auch schon beim Sinn des Lebens angekommen. Das ist nun wirklich ein wenig viel an der Supermarktkasse. Der freundliche Herr philosophiert ungerührt von meiner Sprachlosigkeit weiter. Er wollte wohl einfach mal über was anderes reden.

Schließlich war gestern der Tag der dringenden Bedürfnisse.Applecross