Wähle deine Worte weise

Sommerzeit

„Oh, Schatz“, sage ich mit Blick auf den Kalender in meinem Telefon. „Das hätte ich fast verpasst. Am Wochenende beginnt die Sommerzeit.“

Der Mann runzelt ebenso misstrauisch wie spöttisch die Stirn.

„Ist März nicht ein bisschen früh für Sommer?“

Ich habe es wieder gemacht! Mal schnell so daher gesagt und nicht nachgedacht. Wenn mir das passiert, ist der Mann sofort mit einer Korrektur am Start.

Sommerzeit ist nicht summertime, sondern daylight saving time. Nur wenige nutzen das Wort summertime. Weiß ich eigentlich. Wieso sage ich es dann nicht? Ich war mit meinen Gedanken schon wieder zwei Ecken weiter.

„Wichtig ist ja nicht, ob die Bezeichnung das Wort Sommer beinhaltet oder nicht. Wichtig ist, dass die Uhren umgestellt werden!“ merke ich an.

Ich, die ich mit Wörtern meinen Unterhalt verdiene als Journalistin und Autorin, sollte etwas feinfühliger in meiner Wortwahl sein. Präziser. Denn hinter den Wörter stecken oft ganze Konzepte, die man mitdenken muss.

Für mich steht weder das Umstellen der Uhr noch der Prozess der Zeitumstellung eine Rolle bei der Sommerzeit. Für mich bedeutet die Umstellung Sommer, Licht und lange Tage. Für den Mann das praktische Umstellen der analogen Uhren, der Energiesparaspekt und die Implikationen, die das für sein Morgenfoto hat, bevor er zur Arbeit fährt. Zwei Konzepte eben.

Noch liegt Schnee auf dem Bergen, deshalb ist mir das Wort Sommer wahrscheinlich so wichtig. Der Winter zieht sich gefühlt ewig hin. Es ist Zeit für Wärme und Licht. Und gerne auch fürs Energiesparen. Horrend, was wir diesen Winter für Strom und Heizung bezahlt haben.

Viellicht ist daylight saving time ja doch kein so seltsames Konzept.

Also gut, ich gebe dem Mann recht. Aber nur hier und ganz leise. Ihr haltet dicht, oder?

Und außerdem: Es ist nie zu früh für Sommer! März hin oder her!

Das Monster vom Odal Pass

Eines der Bücher, die ich in letzter Zeit verschlungen habe, ist die Neuauflage von John Gregorson Campbells Klassiker The Gaelic Otherworld. Das Original stammt aus dem Jahr 1900. Campbell war viele Jahre Pfarrer auf der Insel Tiree und einer der herausragenden Sammler alter Mythen und Legenden der gälischen Kultur.

John Gregorson Campbell The Gaelic Otherworld

Natürlich haben mich ganz besonders die Gruselgeschichten von den Orten interessiert, an denen ich schon öfter bin, wie zum Beispiel der Odal Pass auf der Insel Skye.

Glenelg Ferry

Nimmt man die kleine Fähre von Glenelg nach Kylerhea, dann fährt man auf einer der ältesten Straßen der Insel Skye Richtung Norden. Diese Single Track Road windet sich in steilen und schmalen Kurven hinauf zum Odal Pass und mündet nach ein paar Meilen am kleinen Flughafen in die A87. Sie war eine der ersten öffentlichen Straßen auf der Insel.

In den Sommermonaten ist sie wegen der vielen Touristen, die das Erlebnis der kurzen Fährfahrt genießen wollen, oft voll und frustrierend zu fahren. Außerhalb der Saison oder während der Corona Pandemie fährt die Fähren nicht und es wird sehr ruhig.

Dieser Teil der Insel ist ohnehin ruhiger, es gibt kaum Häuser hier, weshalb ich sie im Winter auch schon von der Skye Seite kommend häufiger gewandert bin, denn die Straße wird geräumt und man vermeidet die Eisflächen und den knöcheltiefen Matsch der eigentlichen Wanderwege. Im  Winter ist die Straße einsam und verlassen. Hätte ich vom Monster vom Odal Pass gewusst, ich hätte mich wohl nicht einfach hingesetzt, die Aussicht genossen und mein Sandwich verspeist.

view from Odal Pass

Angeblich konnte das Monster in allen möglichen Formen in Erscheinung treten, als Mann, als Mann mit nur einem Bein, als Hund oder als ein anderes Tier. Manchmal soll die Erscheinung fürchterliche Schreie ausgestoßen haben, so dass die Arbeiter, die die Straße bauten, in Panik aus ihren Hütten flüchteten.

Allerdings wäre ich wohl sicher gewesen vor dem Monster, es erschien nämlich nur nachts und nur so lange, bis man eines Morgens einen Mann tot am Rande der Straße fand. Er hatte zwei seitliche Wunden am Körper gehabt und eine am Bein. Seine Hände bedeckten die Wunden, als habe er das Blut stoppen wollen.

Und was schrieb Campbell dazu?

„It was considered impossible these wounds could have been inflicted by human agency. „

Es wurde als unmöglich angesehen, dass ihm diese Wunden durch eine menschliche Macht zugefügt worden waren.

Das Monster vom Odal Pass hatte zugeschlagen.

towards Broadford

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Sommerhitze

Ich will Regen!!!

Nie hätte ich geglaubt, daß ich dieses Wort benutze, wenn ich über Schottland schreibe aber ich kann nicht anders – es ist heiß (!) in den Highlands. Richtig heiß. So heiß, dass alles irgendwie still steht und der Schweiß von der Stirn läuft, sobald man das Haus verlässt.

beach

Wir haben seit einer Woche an die 30 Grad und mein letztes Restchen Sonnenmilch Faktor 15 (in den vergangenen Jahren mehr eine sommerliche Geste als eine Notwendigkeit) schwindet. Ich sitze im Garten und lese, unfähig mich mehr zu bewegen, als es für das umblätttern einer Buchseite notwendig ist. Seit Tagen steht die Welt still, weil Schottland heißer ist als normal.

beachIch lese. Mehr geht nicht in der Hitze. Manchmal, wenn das Gefühl zu kochen überhand nimmt, dann ziehe ich meine rosa Gummieschuhe (es gab keine andere Farbe!) an und balanciere über Kiesel und Kelp (Seetang) zum Wasser. Das ist wie gewohnt eiskalt aber auch voller Unterwasserpflanzen und -getier. Ich begrüße die Qualle, die hier seit neuestem ihr durchsichtiges Unwesen treibt und tauche kurz unter. Herrlich erfrischend.

Während ich am Strand sitze und trockne, springen die Lachse. Denen ist bestimmt auch warm. Ein komischen Grunzen kündigt die Schweinswale an, noch bevor man sie sieht. Die finden es gerade sehr angenehm im Meer, ihre schmalen Finnen durchschneiden die Wasseroberfläche genau da, wo ich eben noch im Wasser kühlte. Ein letztes Grunzen und sie sind wieder weg. Schwein gehabt!Schweinswal

Am Strand ist nie ein Mensch. Trotz der Hitze. Kein Eiscafé, keine Strandbude, keiner verkauft Kokosnüsse oder Strandtücher. Kein Magnum Mandel! Nur ich und eine Großfamilie Graugänse.

Es ist Sommer in Schottland – so viel wie noch nie seit ich hier bin.

Fürs Wochenende haben sie Regen angekündigt. Viel Regen. Und sinkende Temperaturen.

Endlich!