Cowboys habe ich immer schon gemocht und ich sitze auch nie auf die Harley ohne meine Cowboystiefel. Mit Pferden hab‘ ich es jetzt eher nicht so, aber das Gefühl, ein echter Cowboy zu sein, kann sich schließlich auch auf zwei Rädern einstellen. Zu Fuß ist das dann schon deutlich seltener schwieriger, hey, in Schottland geht das auch. Natürlich. Hier geht alles.
Vor kurzem war ich Cowboy wider Willen. Ich habe es auch extra für euch dokumentiert. Und hier ist die Geschichte.
Ich war mal wieder zum Wandern unterwegs, im monatelangen schottischen Lockdown die einzig mögliche Freizeitbeschäftigung. Nachdem ich unbeschadet mehrere Herden Schafe und Rotwild durchschritten hatte, näherte ich mich langsam dem Müdigkeitspunkt, an dem ich eigentlich hätte umdrehen wollen. Doch ich war im Januar schon einmal hier gewesen und nach sieben Kilometern wieder umgedreht und das Tal wieder zurück gegangen, um später auf Google Maps festzustellen, dass ich einen recht großen See (Loch) knapp verpasst hatte. Das Loch wollte ich dieses Mal unbedingt sehen.
Eine Frau, ein Ziel. Tapfer weiter, sage ich mir und schwinge die Nordic Walking Stöcke. Vor mir springt ein Reh über den gut ausgebauten Feldweg, der zu einem straff und proper geführten Estate gehört, also auf dem Gelände eines Großgrundbesitzers mit Vieh- und Waldwirtschaft. Hinter mir höre ich den Kuckuck rufen, sonst ist es still.

Hinter der nächsten Biegung steht unvermutet eine Herde Hochlandrinder, vielleicht 15 Kühe, die größte blickt mir angespannt entgegen. Es gibt hier weit und breit keinen Zaun und ich muss mitten durch diese zotteligen Schwergewichte mit Hörnern, die hinter einem Zaun deutlich süßer anmuten. Ohne Zaun kommen die spitzen, langen Hörner bedrohlich zur Geltung. Ich bleibe stehen und hadere: weitergehen bis zum See oder umkehren, wie ein Feigling?
Mein Cowboy-Gefühl ist plötzlich gänzlich abhandengekommen. Mag an den Wanderschuhen liegen, oder an der Horde Ungetüme, die mich unter langen Fellfransen anstarren, ohne sich zu bewegen. Die Sekunden ziehen sich in unwirkliche Längen. Das ist der Showdown. Nicht Cowboy gegen Cowboy, sondern Frau (und Möchtegern-Cowboy) gegen Kuh. Ein wahrhaft episches Duell um Leben und Tod. Naja, zumindest fühlt es sich so an. Ich kann fast die Musik hören…
Die größte Kuh schaut mir direkt in die Augen und …. ergreift die Flucht und alle anderen folgen ihr in wilder Panik. Und da bin ich, Nellie the Kid, und treibe die wilden Hochlandrinder vor mir her wie einst John Wayne am Rio Grande.



Nur leider ist die Herde ziemlich einfältig und flieht auf dem Weg, auf dem ich gehe. Einmal brechen sie seitlich ins Moor aus und ich versuche an ihnen vorbei zu laufen. Doch die Panik treibt sie wieder zurück auf den Weg und hinauf, den nun immer steiler werdenden Pfad Richtung Bergsee. Ich treibe sie unfreiwillig immer weiter das Tal hinauf. Ihre Leiber dampfen nach der heißen Jagd in der schottischen Frühlingskälte.
Was wohl die estate worker dazu sagen, wenn sie Morgen ihre Kühe nicht mehr wieder finden? Ich beschließe, umzudrehen. Nicht dass sie noch wie die Lemminge ins Wasser springen, wenn die „wilde Posse“ den See erreicht.

Zurück wandere ich dann doch etwas aufrechter als auf dem Hinweg. Nellie, The Kid eben. Ein echter Cowboy treibt sein Vieh auch ohne Pferd oder Hund durch die Berge, ganz allein nur mit lässiger Willensstärke.
Ich glaube, heute Nachmittag koche ich im Garten in einer großen blauen Kanne Kaffee auf dem Lagerfeuer und denke zurück an meine Abenteuer in der gnadenlosen Prärie des schottischen Hochlands. Dann ziehe ich mir meinen Cowboyhut tiefer ins Gesicht und gehe zufrieden zurück ins Haus.
Im schottischen Abendregen können andere Cowboys unter freiem Himmel schlafen. Nellie, The Kid zieht Zentralheizungen vor.
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Es ist schon ein Weilchen her, dass ich Abenteuer Highlands – mein etwas anderes Leben im schottischen Hochland geschrieben und nach dem Rückzieher des Verlags wegen Einstellung der Reihe, in der das Buch erscheinen sollte, schließlich im Selbstverlag veröffentlicht habe. Seither habe ich zwei weitere Bücher geschrieben, eigentlich drei: Riding Towards Shadows, das 2018 erschienen ist und Schottland für stille Stunden, das 2020 veröffentlicht wird. Das gibt es 2021 auch auf Englisch und wird Scotland for Quiet Moments heißen. Wer also gedacht hat, ich sitze in meiner wunderbaren Schreibhütte, schaue aufs Meer und tue nichts, der liegt völlig falsch. Allen Stromausfällen und Sturmschäden zum Trotz: Ich habe weitergeschrieben und hier ist er nun, der zweite Teil von Abenteuer Highlands: Abenteuer Highlands 2.0 – zwischen Schwarzwald und Schottland.
Guten Morgen Nellie,
Bei den Schafen ist es ja in der Regel so, dass die flüchten wenn jemand ankommt. Anscheinend ist das allerdings nicht allen Schafen bekannt, bei Carnasserie Castle gibt es eine Herde mit einem schwarzen Bock als Leithammel, der jagt einsame Wanderer. Zu meiner großen Freude habe ich vor zwei Wochen festgestellt, dass er es nicht nur auf mich abgesehen hatte , als mir Hilfe rufend – von einer Herde Schafe mit schwarzem Bock allen voran verfolgt – zwei englische Wanderer entgegen rannten.
Ich werde ihn wohl jetzt Rambo nennen.
Dann wünsche ich dir weiterhin spannende Wanderungen
Andy