Letzte Woche habe ich darüber geschrieben, wie der Mann gerne mit allen möglichen Leuten redet, auch mit wildfremden Menschen. Da ist der Schotte gar nicht scheu. Selbiges gilt im Übrigen auch für wildfremde Menschen, die mit ihm reden wollen. Er ist immer bereit und offen für ein Gespräch. Das funktioniert in den Highlands ganz gut aber hier in Deutschland erlebt nun der Highlander seine Abenteuer.
Wir machen einen Ausflug. Ich bin zwar nach der Knie-OP immer noch gehandicapt aber mit einer Kühltasche voller Eispacks und der sicheren Gewissheit von Beinfreiheit im geräumigen Mietwagen wagen wir uns raus aus dem Haus. Wir fahren an den Bodensee.
Der Mann fährt. Ich lege das Bein hoch und gebe Navigationsanweisungen. Das tut die Frauenstimme im Navi auch, sogar auf Englisch, aber die ignoriert er.
Die Sonne scheint den Winter weg, es fühlt sich großartig an, mal aus dem Haus zu kommen und als das Blau des Sees zum ersten Mal vor uns auftaucht, überkommt uns ein echtes Urlaubsgefühl. Ich möchte das Gesicht in die Sonne halten, Eis essen und an der Promenade bummeln. Nur leider ist es nichts mit bummeln, das kann das Knie noch nicht. Aber zum Gesicht in die Sonne halten und lecker am See zu Mittag essen (natürlich zu Touristenpreisen) reicht es.
Der Ober ist schlecht gelaunt, weil wir die ersten Gäste sind und uns ganz weit weg von seinem warmen Ruheplätzchen hinsetzen. Wir wollen ganz nah am Wasser sein, er will seine Ruhe haben. Der Mann ißt Lachs, so wie er es in Schottland auch tut. Ich esse Salat, so wie ich es in Schottland nie tue, weil drei Blätter Eisberg mit einer halben Tomate, einer Scheibe Gurke mit Schale und einem Plastiktütchen Mayonnaise für mich nicht als Salat zählt. Für den Mann zählt alles als Salat, was grün ist und muss sofort an den äußersten Rand des Tellers gelegt werden, damit man auch ja nicht Gefahr läuft, es aus Versehen zu essen.
Nach dem Essen besteigt der Mann den Aussichtsturm an der Mole. Ich lege das Knie hoch und genieße die Sonne. Als wir dann gemeinsam wieder Richtung Auto gehen (er geht, ich hinke) kommt uns ein Mann mit Hut, weiß geschminktem Gesicht und Charlie Chaplin Kostüm entgegen. Er biegt dies schlangenartigen Luftballons zu Herzen und hält Ausschau nach Touristen.
Bevor ich den Mann aus der Gefahrenzone ziehen kann, hat ihn Mister Chaplin schon erwischt. Der Mann lächelt die seltsame Gestalt freundlich an, in der Erwartung, von ihm angesprochen zu werden. Mister Chaplin reicht ihm statt dessen einen laminierten Zettel auf dem steht, dass er nicht sprechen kann und man ihm bitte Luftballons abkaufen sol. Der Mann lächelt freundlich, weil er ja nicht versteht, was auf dem Zettel steht, den ihm der Chaplin gereicht hat. Und so ersteht der Mann unfreiwillig zwei Luftballonherzen für frisch Verliebte und ich bezahle zwei Euro, weil der Mann kein Kleingeld hat.
Der geschäftstüchtige Charlie Chaplin zieht zufrieden weiter auf der Suche nach weiteren Touristen, die er überrumpeln kann und ich erkläre dem Mann, was es mit dem deutschen Ausdruck „über den Tisch ziehen“ auf sich hat.
Ich habe dem Mann hoch und heilig versprechen müssen, das Foto zum Chaplin-Debakel nicht zu veröffentlichen. Aber die Versuchung ist groß. Wie er da steht! Mit einem beschämtem Lächeln und sanfter Verwirrtheit darüber, wie er zu diesen beiden Luftballonherzen gekommen ist, mit treuem Hundeblick und strahlt er die Verlassenheit eines vergessenen Buben im Kinderparadies aus, was in klarem Gegensatz zu dem leicht angerauten Bart und den langen Haaren steht.
Das ist mindestens genauso komisch, wie Charlie Chaplin in seinen besten Zeiten.