Boris

Meine Schreibhütte ist ein Geschenk, aus vielerlei Gründen. Wer Fotos davon auf meinen Social Media Accounts gesehen hat, wird das nachempfinden können. Die Berge, das Meer, der Wind; gelegentlich kommt draußen vor der Tür eine Maus vorbei oder ein Zaunkönig macht einen flüchtigen Besuch.

shed view at night @nme Abeteuer Highlands

Und dann kommt der Tag, an dem draußen ein viel größeres Tier seinen Auftritt hat: Boris.

Ich sitze am Schreibtisch und arbeite an meinem ersten Krimi. Es ist ein trüber Wintermorgen, dunkel und kalt liegt das Meer vor mir. In meiner Hütte aber ist es muckelig warm. Der Mann ist unten am Wasser, um Fotos zu machen. Da ist er täglich, an den Wochenenden oft über Stunden, sein Happy Place.

Ping! Eine WhatsApp Nachricht.

Schatz, hast Du den Seehund gesehen? Ich glaube, mit dem stimmt was nicht.

Warum? Schreibe ich zurück. Mir ist nichts aufgefallen. Ich bin mitten im Morden.

Ich stehe schon über eine halbe Stunde hier, aber er bewegt sich nicht von der Stellen. Und er kommt so komisch senkrecht aus dem Wasser und taucht genauso gerade wieder unter. Als ob er mit den Flossen unten am Grund festhängt.

Oha, denke ich. Wenn der Mann derart ausführlich schreibt, dann macht er sich Sorgen. Ich blicke aus dem Fenster und kann den Kopf des Seehunds im linken unteren Quadrat des Sprossenfensters sehen. Sehr gut, so habe einen Anhaltspunkt, ob er sich fortbewegt oder an derselben Stelle bleibt. Hoffentlich ist das Tier nicht in Not.

Ich schreibe und schaue, und schaue und schaue, immer mehr abgelenkt von dem möglichen Drama, das sich da unter Wasser abspielt und wir nicht erkennen können. Der Mann hat Recht. Der Seehundkopf taucht senkrecht auf, so als würde man ihn an einer Schnur aus dem Wasser ziehen. Sonst kommen die Köpfe eher in einer gleitenden Bewegung an die Oberfläche und dann sehen sie sich meist auch um. Wie ein Mensch, der die Umgebung prüft, ob er sicher ist. Dieser Seehund tut nichts dergleichen. Er benimmt sich, als hinge er im Wasser.

seal in distress @ERM Ewan Roy MacGregor

Jetzt, wo sich vor mir derartige Dramen abspielen, kann ich mich nicht mehr aufs Schreiben konzentrieren. Ich klappe das MacBook zu und schlüpfe in die Gummistiefel. Schnell gehe ich hinunter zu Strand. Der Seehund ist gerade untergetaucht. Die Stelle scheint ganz nah. Ob man vielleicht sogar hin waten kann?

Der Mann und ich debattieren, was zu tun ist. Hin waten gut und schön, aber was dann? Der Meeresboden fällt bald stark ab, wahrscheinlich müsste man den Rest schwimmen. Das Wasser hat 8° Celsius. Und dann? Was, wenn dem Seehund nicht klar ist, dass ich seine Rettung bin? Er könnte ja auch vermuten, dass ich ihn angreifen möchte. Oder generell in Panik um sich beißen. Sind Seehunde gefährlich? Die sehen so nett aus.

Der Mann findet, sie sehen eher gefährlich aus. Er weiß, das ich Greenpeace Mitglied bin und möglicherweise zu spektakulären Aktionen neige.

Google ist mein Freund, denke ich und mache mich an die Recherche.

Wie gut, wenn man eine Journalistin im Haus hat, denkt der Mann und beobachtet weiter.

Der schottische Tierschutzbund RSPCA hat alles auf der Seite, was man wissen muss. Einschließlich Telefonnummern, die man in einem Notfall anrufen kann. Ich checke die Sektion „verletzte Wildtiere“ und finde folgende Information:

Seien Sie vorsichtig, wenn Sie sich wilden Tieren nähern, da sie aus Angst kratzen und beißen können – besonders wenn sie verletzt sind. Wenn es nach dem Beobachten aus sicherer Entfernung möglich ist, das verletzte Tier zu einem nahe gelegenen Tierarzt oder Wildtierpfleger zu bringen, rufen Sie zuerst an, um sicherzustellen, dass das Tier untersucht und behandelt werden kann.

Wenn Sie eines dieser Tiere verletzt sehen, halten Sie einen sicheren Abstand, fassen Sie es nicht an und transportieren Sie es nicht:

Reh

Seehund

Wildschwein

Otter

Dachs

Fuchs

Schlange

Raubvögel (einschließlich Eulen)

Schwan

Gans

Reiher

Möwe

Ich stelle mir vor, wie der Mann und ich gemeinsam versuchen, ein Wildschwein in den Fiat Panda zu bekommen und muss grinsen.

Draußen taucht wieder der grauen Kopf den unglücklichen Tiers auf. Zeit für die Rettungskräfte, denke ich, rufe an und schildere den Notfall. Die Frau am anderen Ende der Leitung ist sehr nett, fragt nach und lässt mich erklären.

„Gehen Sie auf keinen Fall näher an das Tier heran. Seehunde sind gefährlich und haben scharfe Zähne. Ein ausgewachsenes Tier kann bis zu 300 Pfund wiegen und über einen Biss üble Krankheiten übertragen“, sagt die freundliche Schottin.

Oha, denke ich. Gut, dass ich nicht rausgewatet bin.

Ich gebe ihr unseren Post Code und sie checkt den Computer.

„Wir können Ihnen einen wildlife officer schicken. Das sind freiwillige Wildpfleger. Aber ich weiß nicht, ob ich sie an einem Sonntag gleich erreiche. Ich versuche es. Falls ja, kann sie in einer halben Stunde bei Ihnen sein“ erklärt die Frau vom Tierschutzbund.

„Und was macht die Wildpflegerin dann?“ möchte ich wissen. Wie will die ein derart schweres Tier transportieren?

„Oh, sie transportiert das Tier nicht“, erklärt die Tierschützerin am Telefon. „Sie hat eine Decke dabei. Die wirft sie dann über das Tier.“

Okay, denke ich. Wie kommt sie mit ihrer Decke zum Seehund? Und was passiert, nachdem sie sie Decke über ihn geworfen hat? Ich bin verwirrt.

Die nette Dame am anderen Ende erklärt: „Wir brauchen noch ein Boot, um näher an das Tier heranzukommen und einen Taucher, der sich dem Tier nähert und es möglicherweise losschneidet.“

Verstehe, die Decke kommt erst an Land zum Einsatz. Ich hatte vor meinem inneren Auge schon einen Deckenweitwurfwettbewerb am Strand gesehen. Ein bisschen wie mit den Ringen am Jahrmarkt. Und der arme Seehund mittendrin.

Der RSPCA kann eine Taucherin organisieren, aber die kommt aus Portree. Das sind neunzig Minuten, wenn die Straßen frei sind. Hoffentlich hält das Tier so lange durch. Das Wasser steigt, die Flut kommt. Was, wenn es ihm nicht mehr gelingt, die Nase über der Oberfläche zu halten. Dann stirbt das Tier. Man hört ja immer wieder davon. Wale, die qualvoll verenden, weil sie sich in Netzen verfangen haben und so. Wir müssen uns beeilen!

Die Taucherin ist vom BDML, dem British Divers Marine Life Rescue, auch sie ist auf freiwilliger Basis unterwegs aber ausgebildet für solche Fälle. Wahnsinn!

Fehlt nur noch das Boot. Inzwischen hat mir die Frau vom RSCPA (gibt es eigentlich auch Männer bei der Rettung von Seehunden?) die Nummer der Taucherin und die der Deckenwerferin geschickt. Ich lege eine WhatsApp Gruppe seal in distress an und poste die Bilder, die der Mann gemacht hat. Alle sind unterwegs. Und noch haben wir kein Boot. Unseres ist im Winterschlaf und nicht seetauglich. Es ist Anfang Februar, um diese Jahreszeit hat hier kaum jemand sein Boot im Wasser. Außer der Fischer im Nachbarort, der hier ihm Loch seine Reusen ausgelegt hat. Ich habe keine Nummer von ihm, aber von seiner Lebensgefährtin. Die rufe ich an. Nur leider, wie ich tags darauf feststelle, geht sie sonntags nicht ans Telefon. Sie ist Künstlerin, wahrscheinlich zieht sie sich da zurück.

Woher ein Boot kriegen? Der Mann weiß auch keinen Rat.

„Was ist mit der Fischfarm?“ frage ich. „Die haben doch mehrere dieser schnellen Boote.“

„Ja“, bestätigt der Mann. „Die arbeiten auch an einem Sonntag. Aber ob gerade die einen Seehund retten wollen? Die Seehunde attackieren die Lachse. Ich nehme an, die Jungs von der Fischfarm sind nicht gut auf sie zu sprechen.“

Dann muss ich sie eben davon überzeugen, denke ich. Die Jungs von der Fischfarm (obwohl ausgewachsene Männer hier nur als fish farm boys bekannt) sind unsere einzige Hoffnung, wenn wir den Seehund retten wollen.

Gerade taucht seine Schnauze wieder aus dem Wasser auf. Ich stelle mir fest, wie die Flosse in Takelage oder alten Seilen festhängt, vielleicht ist er ja auch verletzt. Ich hole den Schlüssel und fahre zur Fischfarm. Dort angekommen ist alles wie ausgestorben. Wo sind denn alle? Die arbeiten doch sonst immer sonntags. Normalerweise stehen um die zehn Auto auf dem Parkplatz, außer einem grünen Range Rover ist der heute leer. Einer ist also da. Aber wo. Ich hoffe er ist nicht draußen an den Netzen, da kann ich ihn nicht erreichen.

Ich klopfe an beiden Türen am Haus. Kein Laut, keiner macht auf. Ich lächle dümmlich in die Sicherheitskamera. Keine Reaktion. Ich schaue mich um. Auf der anderen Seite der Straße, da wo die ganzen Maschinen und Gabelstapler stehen, ist eine große Lagerhalle. Vielleicht ist da jemand.

„Hallo? Ist da jemand?“

Habe ich tatsächlich den Horrorfilm Satz gerufen?

Die Tür geht auf und ein Bilderbuchfischer tritt heraus. Etwa ein Meter achtzig groß, schlank, weiße Harre, weißer Bart, wie frisch aus der Werbung für wasserdichte Funktionskleidung. Er trägt gelbe HellyHansen Hosen über einem Norwegerpullover und eine blaue Stickmütze. Fast schon zu perfekt, um wahr zu sein, denke ich.

Als er spricht, muss ich mir ein Lächeln verkneifen. Mit leiser Stimme, die so gar nicht zu dem Seemannslook passt, und in sehr gewähltem Englisch, frägt er mich höflich nach meinen Begehr. Er lächelt freundlich und ich erkläre ihm den Notfall.

„Ich habe auch Fotos“, sage ich. Nicht dass er denkt, ich habe das alles erfunden.

„Darf ich die mal sehen?“

Das muss der höflichste Fischer/Fischfarmarbeiter Schottlands sein.

Ich nicke und zeige ihm die Fotos aus meine Handy. Jetzt nickt auch er.

„Habe ich mir gedacht“, sagt er. „Das ist Boris.“

„Boris?“ echoe ich etwas ratlos. Meint er wie Boris Johnson?

„Ja, genau wie der. Und er hat eine kleine Freundin, die heißt Nicola, wie Nicola Sturgeon“, ergänzt er.

Die Jungs von der Fischfarm haben den Seehunden Namen von Politikern gegeben!

„Ich bin übrigens Alan“, durchbricht seine zarte Stimme meine Gedanken und auch ich stelle mich vor.

„Du musst die keine Sorgen machen, Nellie. Das macht Boris immer so. Er bleibt oft für eine Weile an einer Stelle und schaut, ob sich eine Gelegenheit bietet. Wir haben im Moment keine Fische in den Tanks. Die neuen kommen erst in ein paar Tagen. Deshalb sind hier auch keine anderen Mitarbeiter. Wahrscheinlich ist er einfach nur hungrig und will gefüttert werden. Die Jungs hier füttern ihn, obwohl sie das nicht sollten. Und nun wartet er darauf, dass ihr ihm was gebt. Aber ich komme gerne mit und schau es mir an.“

„Mit dem Boot? Es sind nur wenige Meilen bis zu uns. Ich erkläre ihm, wo wir sind.“

„Nein, es ist zu windig. Da kann ich nicht alleine raus und es ist niemand da, der mich retten könnte, wenn was passiert. Die offenen Boote sind nicht ungefährlich. Aber ich bin mir sicher, das wir kein Boot brauchen. Das ist nur Boris, der Hunger hat.“

Okay, denke ich. Haben wir hier eine Riesenpanik wegen nichts veranstaltet? Oh je.

Ich schreibe der Taucherin und der Teppichfrau, das es vermutlich eine Entwarnung gibt, wir das aber noch einmal überprüfen wollen. Die Taucherin wollte gerade ins Auto steigen und losfahren. Die Teppichfrau ist gerade beim Mann am Strand angekommen. Wenig später treffen auch Alan und ich ein. Und Boris ist immer noch da. Dann schaut er Alan mit dunklen Augen an, senkt den Kopf und gleitet geschmeidig in den Wellen davon.

Voris the seal @ERM Ewan Roy MacGregor

Die Schweinebacke hat uns nur was vorgespielt!

Alan bleibt noch eine Weile und sucht mit seinem Fernglas das Meer ab. Die sehr nette Teppichfrau, die mit ihren grauen langen Haaren wie ein aus den Siebzigern entflohener Hippie aussieht, steigt wieder in ihr Auto und fährt nach Hause. Wir entschuldigen uns ausgiebig, aber sie will nichts davon hören.

„War nett, euch kennengelernt zu haben“, sagt sie und fährt davon. „Schönen Sonntag noch!“

Ich hätte gerne den Teppich gesehen. Dann verabschiedet sich auch Alan.

Der Mann und ich sind allein. Seal in distress! Von wegen!

Am nächsten Abend klopft es an unserer Küchentür. Ich öffne und aus dem Gartendunkel tritt Alan hervor.

„Hallo, ich wollte euch nur sagen, dass wir heute Boris gesehen haben. Es geht ihm gut.“

Dan dreht er sich um und geht freundlich winkend zurück zu seinem Auto.

Also mal ehrlich. Man möchte nie ein Tier in Not sehen, aber in Schottland verbindet es die Menschen und schafft neue Freundschaften. Und nun reden wir über Boris als gehöre er zur Familie.

„Hallo Schatz, ich habe Boris heute Morgen gesehen.“

„Ist das Boris da draußen?“

„Boris war heute da?“

Was Boris wohl über uns denkt?

Abenteuer Highlands 3 – Ja hört das denn nie auf!

Nach den ersten Erfahrungen mit den Highlands habe ich das erste Buch geschrieben: Abenteuer Highlands – mein etwas anderes Leben im schottischen Hochland. Damals noch ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass es vielleicht mehrere geben könnte. 

Die Jahre gingen ins Land und die Abenteuer wurden nicht weniger. Deshalb, und weil ich immer wieder gefragt wurde, ob es nicht bald einen zweiten Teil von Abenteuer Highlands gäbe, habe ich ihn geschrieben. Abenteuer Highlands 2.0 – zwischen Schwarzwald und Schottland – alles, was ein Doppelleben in zwei Ländern aufregend und erzählenswert macht. 

Nun ist Abenteuer Highlands offiziell eine Serie und der nächste Band in Arbeit: Abenteuer Highlands 3 – Ja hört das denn nie auf! Ende 2023 als Taschenbuch und eBook bei Amazon verfügbar. 

Nellie Merthe Erkenbach

gut und böse

Es ist die Zeit der Corona Krise und Schottland zum Zufluchtsort vieler geworden, die Angst haben sich da, wo sie leben, mit dem Virus anzustecken. Nicht jeder lebt so sicher wie wir hier in den Highlands, die jedem die Möglichkeit geben, Raum zu schaffen zwischen sich selbst und anderen Menschen.

Indian Summer scotland

An der Westküste und im Inneren der Highlands empfinde ich die Zahl derer, die sich hierher zurückziehen als sehr groß. Weil die meisten Campingplätze geschlossen haben, campen die Corona-Flüchtlinge wild und hinterlassen manchmal leider auch eine Verwüstung auf den Ausweichbuchten der Single Track Roads und an den anderen Stellplätzen. In Gegenden, in denen man tatsächlich auch auf etwas Grün sein Zelt aufschlagen kann, riecht es inzwischen oft unangenehm. Es gibt so gut wie keine öffentlichen Toiletten und die wilden Camper erledigen offensichtlich ihre Geschäfte direkt vor Ort.

wild campers

 

Ganz besonders ist mir das am Loch Loch Duntelchaig aufgefallen, wo normalerweise viele Angler den Tag verbringen. Nun sind die Camper da und man riecht sie. Ich kam an einem dieser aufgemotzten Opel Corsa mit auswärtigem Kennzeichen vorbei, da räkelte sich gerade ein junger Kerl im Versuch aufzuwachen. Um das Auto herum lagen ein halbes Dutzend Plastiktüten voll mit Müll. Prima dachte ich. Wenigstens nehmen sie ihren Müll mit. Als ich am Nachmittag nochmals vorbei komme sehen ich einen großen verbeulten Camper mit Kanu auf dem Dach an der Stelle parken. Im Cockpit hat der Fahrer eine Reihe knöcherne Tierschädel gelegt, die hat er wohl gefunden. Am Beifahrersitz lehnt eine große Schaufel. Wahrscheinlich seine mobile Toilette. Sieht alles in allem mehr nach Aussteiger als nach Camper aus.

Loch Duntelchaig

 

Ein groß gewachsener Endzwanziger mit langen Rasta Haaren klaubt die Tüten zusammen, die die jugendlichen Engländer zurückgelassen haben. Sie hatten wohl keinen Bock mehr auf Entsorgung.

„Räumst du anderer Leute Müll weg?“ frage ich den Rastamann.

Er nickt: „Dieses Land ist viel zu schön, um es so zu verschandeln. Ich muss sowieso noch zum Supermarkt. Da werfe ich es ein.“

„Du willst gar nicht hier campen?“

„Nein, ich wollte nur sauber machen,“ sagt er und sein australischer Akzent ist unüberhörbar.

Als ich ein paar Minuten später mit dem Auto nochmal an derselben Stelle vorbei komme, spielen drei Kinder da, wo eben noch der Müll lag. Ihre Eltern schauen zufrieden hinaus aufs Wasser.

Loch Duntelchaig

 

 

 

 

 

 

 

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Schottland Foto Challenge – Schnappschüsse von Ewan Roy MacGregor

Here are five photographs, which I call quick snatches. So called because there is a lot of luck involved, but also in being prepared. I carry a camera most of the time and I’m always ready to capture what comes into view or the unexpected. It is being prepared for the unexpected and reacting quickly that makes it a quick snatch. Sometimes it’s a terrible shot and sometimes it’s just luck.
These photographs were taken near or close by my home in the North west Highlands.

Slainte mhath, Ewan.

 

Hier sind fünf Fotos, die ich Schnappschüsse nenne, weil es dabei um viel Glück geht, aber auch darum, vorbereitet zu sein. Ich trage die meiste Zeit eine Kamera mit mir herum und bin immer bereit zu fotografieren, was ich sehe oder was unerwartet ist. Auf das Unerwartete vorbereitet zu sein und schnell zu reagieren ist, was es zu einem schnellen Schnappschuss macht. Manchmal ist es ein schreckliches Foto und manchmal ist es einfach nur Glück.

Diese Fotos wurden in der Nähe oder in der Nähe meines Hauses im Nordwesten der Highlands aufgenommen.

Slainte mhath, Ewan.

Die Schreibhüttenkatastrophe

Dieser Januar war wohl der schlechteste seit ich mein Abenteuer Highlands lebe. Wir hatten nie diese wunderbaren kalten Tage, die das Autofahren abenteuerlich, das Wandern oder Fotografieren aber einfach fantastisch machen. Dieses starke und doch blasse Licht des Winters und das strahlende Weiß vor unendlichem Blau.

Der Januar war einfach nur grau. Die Sonne hat sich mit ganz wenigen Ausnahmen vornehm zurückgehalten, es wurde gegen 9 Uhr am Morgen hell, dann folgte eine lange Grauphase, um gegen 16 Uhr wieder stockdunkel zu werden. Aber selbst an solchen Tagen kann man mal raus, es sei denn, der Wind hat so viel Spaß wie in diesem neuen Jahr. 2020 hat in Schottland mehr als stürmisch angefangen. Windstill war es eigentlich nie, er blies von der Bergen herunter, fast immer gepaart mit Regen oder Hagel. Die Tannen vor dem Haus schwanken bedrohlich, die schottische Flagge im Garten ist fast gänzlich zerfetzt, Tang und Treibholz aus dem Meer überschwemmen die Straße, Hagelkörner ruhen kalt in Graskuhlen, man möchte sich verkriechen und den Januar im Winterschlaf verbringen. Und draußen heult der Wind.

Man liest über Stürme, sieht es in den Nachrichten, aber auch wenn die Böen mit über 80 Stundenkilometer übers Haus hinwegfegen und die Hagelkörner im Kamin aufschlagen, man glaubt sich sicher. Die Katastrophen passieren den anderen, den Menschen im Fernsehen. Nicht hier, nicht uns.

Es ist der 13. Januar. Der Sturm hatte etwas nachgelassen und ich bin auf dem Weg durch den Garten zur Schreibhütte. In Gummistiefeln und mit der Winterjacke dick eingemummelt, der Regen kommt mit Macht von vorn und überall auf dem Weg liegen Äste und Zweige, über die ich erst mal steigen muss. Wir hatten am Wochenende Besuch gehabt und nun will ich endlich wieder ein bisschen schreiben, Zeit haben für mich, meine Gedanken und den wunderbaren Blick aufs Meer und die Berge.

Ich habe die Schreibhütte erreicht, mein Blick fällt auf den Boden. Da liegt meine Schreibtischlampe. Neben der Hütte! Wie kommt die dahin? Die Hütte war abgeschlossen und die Lampe stand auf dem Schreibtisch in der Hütte. War jemand eingebrochen? Ich bleibe stehen und kann nicht verstehen, was ich sehe. Ich schaue genauer hin.

Die Hütte steht nicht mehr da, wo sie vorher stand, sie ist um einige Zentimeter verschoben. Ich gehe zur Tür und schließe auf. Die Tür bekomme ich gerade so auf, denn irgendetwas hat die ganze Hütte um ein paar Zentimeter versetzt. Als hätte ein Riese sie hochgehoben und nicht mehr richtig wieder auf das Fundament gesetzt, das der Mann mit viel Aufwand betoniert hat.

Drinnen ist alles ein furchtbares Durcheinander. Erst langsam wird mir klar, was hier passiert ist. Der Sturm muss die gesamte Hütte um mehr als einen Meter angehoben haben. Die unteren Holzleisten sind abgesplittert und komplett vom Boden gelöst. Hier muss eine irrsinnige, unvorstellbare Kraft gewütet haben. Ich blicke ins Chaos und kann es nicht begreifen.

Eine Bö erfasst die entwurzelte Hütte und es knirscht bedenklich. Ich muss Hilfe holen, irgendwie müssen wir verhindern, dass meine Schreibhütte hinaus aufs Meer fliegt.

to be continued….

einsam mit Otter

Sandaig (25)Die schottischen Highlands sind aus vielerlei Gründen eine Herausforderung für das Seelenkostüm der Menschen; Wetter, Wildnis, Winterdunkel … die Liste zu bewältigenden Dinge ist lang.

Gerade im Winter, wenn es erst gegen 10 Uhr richtig hell wird (richtig hell ist hier relativ, denn bei Regen oder Nebel wird es den ganzen Tag nicht richtig hell) und mit dem Sonnenlicht auch schon kurz nach 15 Uhr wieder Schluß ist.

Dazu kommt die Einsamkeit, die viele Menschen nur schwer ertragen können, dieses Verschwinden in der Grösse der Naturgewalten.

Gavin Maxwell mit OtterOtter (7)Seit ich die Bücher von Gavin Maxwell gelesen habe, wollte ich den Ort sehen, der noch einsamer ist als der, an dem wir wohnen. Ja, das gibt es tatsächlich. Er schrieb, wie ich, er beobachtet Otter wie ich aber er tat alles noch viel intensiver. Viel intensiver!

Sandaig (49)

Ein paar Sonnenstunden Sonne ziehen mich nach draußen, durch den Schneematsch den Mam Ratagan hinauf und hinüber nach Glenelg und von dort Richtung Arnisdale. Eine kleine Wanderung von der Straße hinunter zum Meer und zur Sandaig Bucht, wohin Maxwell sich zurück gezogen hatte, um zu schreiben und der Welt abhanden zu kommen.

Sandaig (72)Was für ein traumhafter Ort. Winterwolken säumen den Horizont, die Gezeiten formen Sandwellen und Steine. Ein kleiner Fluß fliesst um das Grasland ins Meer. Eine Häuserruine rottet am Rand der Bucht vor sich hin. Sein Angestellter und Freund Jimmy Watt wohnte hier, er kochte für ihr und erledigte alle möglichen Aufgaben. Für ihn war Maxwell eine Art Vaterfigur.

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Maxwells Haus ist längst abgebrannt, nicht ist mehr übrig als ein Gedenkstein über der Asche des 1969 verstorbenen Schriftstellers. Ein paar Meter entfernt unter einer hohen Tanne liegt sein Otter Edal begraben. Besucher haben Muscheln und Steine an den Gedenktafeln hinterlassen.

Ein friedvoller, idyllischer Ort. Herrlich im Sommer, wenn die Tage endlos blau wie das Meer sind. Anders im Winter, wenn die Stürme vom Meer her über die Bucht ziehen. Bis zur nächsten menschlichen Siedlung ist es eine Dreiviertel Stunde Fußmarsch. Ist ihm diese Einsamkeit nie zuviel geworden? Er war ein Romantiker, oft melancholisch, immer intensiv fühlend, lebhaft und amüsant, empfindsam, manchmal schwierig. Ein Genie sagen die, die ihn gekannt haben. Seine Trilogie „Ring of Bright Water“ sucht definitiv ihresgleichen.

Sandaig (41)

Ob er einsam war, oder nur allein frage ich mich als ich hier an seinem Grab sitze und die Schönheit der Natur in mich aufsauge. Gibt es einen schöneren Ort auf der Welt?

Gavin Maxwell (1)Ich denke über Maxwell nach, er war ein faszinierender Mann, entstammte dem Adel, war homosexuell, bereiste den Irak und Marokko, arbeitete für den Britischen Geheimdienst im 2. Weltkrieg, fuhr Autorennen, war ein aussergewöhnlicher Schrifsteller (seine Bücher beeinflussten eine ganze Generation), er war voller Ideen aber er war auch depressiv und frustriert. Er mochte die Menschen wohl nicht besonders. Er liebte die Natur und seine Tiere. Sein Haus brannte 1968 ab, Otter Edal starb dabei. Alles war vorbei. Sein Camusfeàrna wie er es in den Büchern nannte, war nicht mehr. Ein Jahr später, 1969, starb auch Maxwell. Er hatte Krebs.

Sandaig (77)

Er ist noch immer hier. In der Natur und bei seinem Otter. Wahrscheinlich hat er es genau so gewollt.

Ich glaube er war nicht einsam, er war einfach nur gerne allein. Oder nicht gerne unter Menschen.

Und wo kann man das besser sein, als in den schottischen Highlands.

Eine großartige BBC-Dokumentation zu Gavin Maxwell.

https://www.youtube.com/watch?v=JP0IR2qWR50

 

 

 

Herbst in den Highlands

Herbst in den Highlands (6)

Ich bin wieder zurück! Wie wunderbar und großartig, das schreiben zu können.

Es ist Herbst und es ist schon eine Weile her, dass ich im Oktober in den Highlands war. Ich hatte vergessen, mit welch intensiven Farben sich die Natur ein letztes Mal aufbäumt, bevor sie sich zur Ruhe begibt.

Es ist kühl, oft hängen die Wolken tief, Nässe durchdringt alles. Aber immer wenn die Wolken für einen Moment aufreißen und die tief stehende Sonne ein intensives Licht wirft, dann leuchtet Schottland auf als wollte es sagen „Wo warst du? Wolltest du das hier wirklich verpassen?“

Herbst in den Highlands (5)Man muß das Licht in sich aufsaugen, so sehr man kann, es gibt nicht mehr sehr viel davon. Im Sommer ist es um fünf Uhr in der Früh schon taghell und wird auch gegen Mitternacht noch nicht wirklich dunkel. Nun ist es noch immer trüb Morgens beim aufstehen und zum Abendessen ist auch nicht mehr viel Tageslicht übrig. Bald gibt es noch viel weniger Licht und Wärme und es ist als wollten die Menschen und Tiere die Wärme und das Licht noch ein letztes Mal aufsaugen bevor der Winter kommt.

Herbst in den Highlands (1)Die Brombeeren sind reif und ich nehme immer eine Handvoll mit nach Hause fürs Frühstück, wenn ich laufen gehe. Im Sommer sind es wilde Himbeeren. Farn färbt die Hänge braun, die Berge scheinen sich ebenfalls ein letztes Mal zu räkeln, bevor der Schnee sie fest friert. Rote Blätter im Gebüsch, regenglänzende Felsen am Straßenrand, grüngoldene Laubbäume strahlen im Mittagslicht. Selten sind die Highlands schöner als jetzt.

DSC_0010Doch sind sie nicht nur schöner, sie sind auch ungemütlicher, denn nun kommen die Herbststürme. Starke Regenfälle und Sturmböen sind vorhergesagt. Selten sind die Highlands wilder als im Herbst und der nächste Stromausfall ist nicht weit weg. Egal, wir haben Feuerholz, Kerzen und genügend Schokolade.

Mehr braucht man nicht im Herbst in den Highlands.

wandern

Was macht man in diesem Paradies unberührter Natur? Man geht wandern.

Wandern, wandern, wandern.

Alle tun es. Männer, Frauen, Einheimische, Touristen. Alle.

In die Einsamkeit der gewaltigen Bergwelt eindringen, sie bezwingen, die Stille und die Kraft der Berge in sich aufsaugen. Der Triumph am Gipfel.

Glengarry

Glengarry

Die Cuillins, die Five Sisters, der West Highland Way… man hat die Qual der Wahl.

Jedes Jahr verunglückt eine ziemlich große Zahl Wanderer und Bergsteiger tödlich, sie stürzen von Klippen, werden von Lawinen begraben oder erfrieren mit verstauchtem Knöchel. Oft, weil sie nicht richtig ausgerüstet in die Berge aufbrechen oder sich zu viel zumuten.

Die richtige Ausrüstung. Hah! Da haben wir Deutschen doch ein Händchen für. Wanderkarten, Alpenverein, Westweg, wir können selbstverständlich auch Schottland!

Ich gehe sie Sache also Generalstabsmäßig an: ich recherchiere und packe alles was man braucht in einen Rucksack. Erste Hilfe Päckchen, klar. Notzelt, äh gut. Thermoschlauch, es hat 30 Grad aber seis drum. Kompaß, wo ist nochmal Norden? Ein Messer, ist das zur Verteidigung? Ein Feuerzeug, wo ich nicht mehr rauche und eine Taschenlampe. Und, und, und…

Wanderausrüstung

Wanderausrüstung

Recherche abgeschlossen, Rucksack gepackt. Es kann los gehen. Ich bin sicher.

Ich konsultiere die Karte, dann den Weg und stelle fest, daß die Schotten das mit der Beschilderung nicht so haben. Wer den Pfad nicht sieht oder fühlt, der hat schlechte Karten. Oder seinen Kompaß nicht im Griff. Äh, ja.

Ich (vorbereitet) kenne den Unterschied zwischen einem Graham (winziger Berg), einem Corbett (kleiner Berg) und einem Munro (ganz großer Berg) und meine Wadenmuskeln kennen ihn auch.

Wanderweg

Wanderweg

Ich bin ein Profi-Wanderer!

Die Falls of Glomach sind mein Ziel. Ein spektakulärer Wasserfall, der 113 Meter in die Tiefe stürzt. Eine Wanderung über 17 Kilometer, mit 600m Höhenunterschied. Puh. In der Hitzewelle, nur im ersten Drittel von Bäumen geschützt, dann gnadenlos schattenlos offene Fläche. Ein schweißtreibender Anstieg, der nie zu enden scheint. Hat man endlich den höchsten Punkt erreicht (530 Meter), geht es steil bergab zu dem kleinen Fluß, der sich in einen reißenden Wassserfall verwandelt. Man möchte sich hineinwerfen, trinken bis er leer ist. Tauchen und kühlen. Im Fluß, nicht im Wasserfall natürlich.

DSCF6432

Der ist überraschender Weise nicht zu sehen. Nur wer sich gefährlich nah an den ungesicherten Abgrund traut, kann einen Blick auf den oberen Teil erhaschen. Der eigentliche Wasserfall bleibt dem müden Wanderer völlig verborgen.

Falls of Glomach Bild ist nicht von mir!!!!

Falls of Glomach
Bild ist nicht von mir!!!!

Erschöpft und durstig erreichen wir am frühen Abend wieder unseren Ausgangspunkt. Ohne auch nur eine einzige Untensilie aus meinem Überlebensrucksack gebraucht zu haben. Ich weiß, was da noch reingehört: ein Erfahrungsbericht von der Wanderung.

Denn das nächste Mal wandere ich zu etwas, das ich sehen kann.