Meine Zeit in Schottland geht schon wieder zu Ende und es stehen noch so viele Dinge auf der Liste, die ich eigentlich tun wollte. Manches hab ich geschafft, eine Wanderung beispielsweise, eine, die ich schon immer mal machen wollte. Ich habe gerade ein Bergsteigerbuch gelesen.
Ich fühle mich vom Mount Everest, dem Kangchengzönga und dem Matterhorn inspiriert und beschließe, mich an die 15 Kilometer Glenelg-Ardintoul-Totaig zu machen. Ich habe immerhin einen Berg auf meiner Route und den Smythschen Geist (27 Bücher und noch mehr Gipfel) in mir.
Auch mein Berg ruft!
Ich fühle mich schon ganz elegisch.
“On a hill it is possible to sense the unity and continuity of life, a rhythm that sends men and worlds on their way (..) He who finds beauty on a hill finds also an answer to a thousand questions. “
Frank S. Smythe: A Mountain Vision; Hodder and Stoughton, 1941, P.6
Großartig, denke ich. Die Einheit des Seins, der Mensch, die Welten und die Schönheit der Berge und die Antwort auf tausend Fragen noch dazu.
Ich greife zum Telefon und bestelle den Bus.
Wenn der hier halten soll, dann muß man eine Anfrage stellen. Halt vor der Haustür gibt es nur auf Anfrage. Ich frage an (mindestens 21 Stunden im voraus) und der Bus hält. Ich bin der einzige Fahrgast, abgesehen von der älteren Dame mit den Einkaufstüten aber die schläft. Nach 20 Minuten und 3 Pfund 10 bin ich am Ausgangspunkt meiner Wanderung.
Ich kann es kaum erwarten, den „Rhythmus zu spüren, der Mensch und Welten auf den Weg schickt.“
Sanft schlängelt sich der Pfad durchs Ufergrün, blau stahlt die See und die Möwen schreien über den Felsen des Sound of Sleat.
Ich erreiche den Strand von Ardintoul nach etwa einer Stunde. In der salzigen Meerluft schmeckt mein Schinken mit Ei Sandwich noch viel beser. Ich lege mich ins Gras und fühle die Schönheit der Berge vor mir. Ich atme den Geist großer Bergstieger!
Noch bin ich auf Meereshöhe, fühle mich aber schon als hätte ich keine Fragen mehr, als wär ich Reinhold Messner und Louis Trenker in einer Person. Ich und der Berg!
Der Wanderführer rät in Ardintoul links halten, dann geht es in den Aufstieg. Ich finde die Weggabelung und halte mich links. Nach einer Weile erreiche ich das letzte Haus im Weiler. Ein alter Mann sieht mir entgegen. Er will mir bestimmt auf Gälisch einen guten Weg wünschen. Weit gefehlt, er ist Engländer und sagt mir, daß ich auf dem falschen Weg bin. Ich kann es mir nicht erklären. Seine Frau kommt dazu und beide beschreiben mir den richtigen Weg. Sie sagt es geht links am Wald entlang, Er sagt rechts. Beide sind sich einig, daß ich am besten die Abkürzung über den Hügel hinter dem Haus nehme. Ein wenig cross country und ich sei wieder auf dem richtigen Pfad. Ich folge dem Rat und mache mich auf ins Gelände.
Hinweis: Ein wenig cross country gibt es nicht in den Highlands!
Ich stolpere durch einen Bach, greife in Brennesseln und kratze mich an einem Dornenbusch, völlig erschöpft erreiche ich schließlich etwas, das ein Pfad sein könnte. Könnte aber auch einfach nur ein Schafweg sein. Oder Einbildung. Ich gehe ihn eine Weile und entdecke schließlich ein Schild. Ich bin auf dem richtigen Weg.
Hinweis: Ein Weg ist immer relativ in den schottischen Highlands!
Binsen, Steine, Schotter, Äste – der Weg lässt Raum für Interpretationsfreiheit: Kann ein Weg sein, kann aber auch nicht. Unsicher interpretiere ich mich bergauf. Da fällt es mir wieder ein, daß ich eine Wanderbeschreiburg meiner Strecke gelesen habe, in der ein freundlicher älterer Mann einem zu früh abgebogenen Wanderer eine komplett falsche Wegbeschreibung gegeben hatte und den Wanderer damit bis an den Rand der Erschöpfung trieb……
Hinweis: Wegweiser sind Vertrauenssache in den schottischen Highlands!
Was einstmals Wald war, ist nun hässliche, abgeforstete Baumwüste. Kahlschlag gibt es überall und mit dem Wiederaufforsten haben sie es nicht so hier. Ich komme mir vor wie Mad Max auf Bergtour und denke mir: „Schlimmer kann es nicht kommen.“
Hinweis: Es kann immer schlimmer kommen in den schottischen Highlands!
Dem Freitod nahe, erklimme ich nach einer weiteren Stunde den vorläufigen Gipfel, nun beginnt der Restwald, den sie wohl wegen der schwere Zugäglichkeit nicht abgeholzt haben. Dicht gepflanzt hält er Wind und Sonne vom Boden ab. Das Ergebnis lässt sich leicht an meinen Schuhen ablesen.
Ich denke über Moorleichen und Sinklöcher nach und frage mich, wie man das hier einen Weg nennen kann.
Hinweis: Schlammbäder sind kostenlos in den Highlands!
Ich rutsche den Hang entlang und denke mir: „Schlimmer kann es nicht kommen.“
Der weiche Boden hat den zu dicht gepflanzten Bäumen wenig Halt zu bieten. Kaum habe ich es aus dem schlimmsten Schlamm geschafft, muß ich über massige Baumstämme klettern, von denen keiner weiß, ob sie nicht noch weiter abrutschen, wenn ich drüber zu steigen versuche. Ich überlebe auch das und schaffe es endlich aus dem Wald auf eine weitere Kahlschlagfläche.
Der Blick ist atenmberaubend. Die Sonne scheint und der Wind ist nicht mehr als ein leichter Hauch von Sommer. Ich setzte mich aud das weiche, moosige Gras, höre den Kuckuck und schaue aufs Meer. Ich bin ganz oben, eins mit mir, der Welt und ….. beginne wie eine Wahnsinnige um mich zu schlagen, mich um die eigene Achse zu drehen, zu fuchteln und dann schleunigst die Flucht zu ergreifen. Die Mückenplage!
Hinweis: Midges wird man nur mit Wind, Regen oder Flucht los in den schottischen Highlands.
Irgendwann bin ich von meinem Berg wieder unten. Ob der Nagar Parbat auch solche Gefahren birgt? Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.
Ich bin nach über fünf Stunden wieder bei uns an der Straße angekommen. Ich wandere an den Fereienhäusern entlang. Der Schlamm reicht mir bis an die Hüften. Vom Bergsteigen hab ich erst mal genug und bin froh, wenn ich mein „Basislager“ erreiche. Ich sehen aus wie der Ötzi und ich fühle mich auch so. Ich will ein heißes Bad und ein Glas Wein.
Hinweis: Wenn der Berg ruft, höre ich nicht mehr hin in den schottischen Highlands.
Gott sei Dank ist der Mann später dran als geplant und noch nicht zu Hause. Die Mädels vom Gälisch Unterricht haben ihn aufgehalten. Als hätten sie geahnt, daß sich die „Bergexpertin“ erst mal vom Schlamm ihres Abenteuers befreien möchte. Ich sehe nämlich nicht aus, als hätte ich „den Rhythmus gespürt, der Mensch und Welten auf den Weg schickt.“
Danke Mädels, auf euer Berggefühl ist Verlaß!!
Köstlich, das erinnert mich an meinen Trek im neuseeländischen Tongariro-Nationalpark, nachdem es zu regnen begonnen hatte und wir viele unvorhergesehene Umwege machen mussten. Wir waren zu dritt, aber abgesehen davon allein auf weiter Flur, und es wurde langsam dunkel. Wir hatten Visionen von Wildschweinen und anderem Getier, dem wir in der Dämmerung begegnen könnten, und keine Ahnung, wo die Hütte war, in der wir längst hätten angekommen sein sollen. Irgendwann kamen wir dann doch dort an, und das einzige, was in meinem Rucksack trocken geblieben war, war, ironischerweise, mein Badeanzug, für das Bad in den heissen Quellen am Ende des Treks, die wir nie erreichten, weil wir keinen Bock mehr hatten, weiter durch die Wildnis zu stapfen. In der Hütte blieben wir zwei Tage, und das Plumpsklo war wohl in einem Häuschen, doch das hatte keine Tür. Man sass dort mit Blick in die freie Natur, wobei ich jeweils dachte, es hat doch auch sein Gutes, wenn sonst keiner unterwegs ist. Hach, das waren noch Zeiten!
Großartige Geschichte. Wie schön, daß bei solchen Erinnerungen der Blick zurück deutlich amüsanter ist als die Gegenwart, in der man das Abenteuer durchleiden musste.
Hallo du gutes Kind. Meine Tochter Carina ist eine von den Gaelisch-Kurs-Maedels und hat mir deinen Blog empfohlen. Wir amysieren uns koestlich, denn wir sind halb deutsch und halb highlaenderisch, da wir seit 12 Jahren auf Skye bzw. in Auchtertyre leben.
Deine Fotos sind einsame Spitze.Wenn du willst, kannst du sogar einen Kalender mit Skye-Fotos aber deutschen Feiertagen auf dem CraftsMarket in Portree kaufen. Vielleicht kommst du ja mal so weit nach Norden – hab keine Ahnung wo „der Mann“ wohnt- muss doch mal Carina fragen.
Hallo Karin,
wie witzig, wir waren heute in Kilmuir und Portree aber nicht auf dem Markt, Friedhofstour für meinen anderen Blog. Der letzte Tag, da hab ich den Mann vom Gälisch abgehalten 🙂
War das Wetter nicht herrlich!!
Freue mich sehr, daß euch meine Geschichten gefallen, Mitte Juli bin ich wieder zurück und schreibe weiter. Und ich glaube Carina weiß, wo der Mann wohnt….LG
Hallo Gutes Kind, wie heisst du eigentlich? Sollte ich das wissen? Wie schade, dass ich nicht wusste, dass ihr in Portree wart – naja, was nicht ist, kann ja noch werden – irgendwann.
Jaaa, das Wetter ist fantastico, bloss die Midges sind dies’ Jahr besonders klein + aufdringlich – kommen zu tausenden (nein Trillionen) durch die GESCHLOSSENEN Fenster. All those ups and downs on Skye – I think I better go to Madeira…..
Übrigens, mein Geheimtipp gegen „midges“ im Haus: 2-3 Stangen Frühlingszwiebeln in in ein Glas mit 2-3 cm Wasser stellen. Wirkt Wunder am Fenster. Die Biester lieben das Wasser und ertränken sich freiwillig. 🙂 Normale Zwiebeln funktionieren nicht.
Danke – rase sofort nach Portree und kaufe Fruehlingszwiebeln.
Pingback: Wanderung zur Wikinger Werft | Abenteuer Highlands
Als ich in den Highlands war, haben sie auf mich geschossen. Die haben nicht gerne Fussgänger mit Koffer.
Was ich in diesem Artikel vermisse, sind Photos und Thema Kahlschlag. Sie verpachten Land an Kanadier, welche künstliche Wälder anlegen und nach 20 Jahren abholzen, per Kahlschlag, so wie im Amazonas. Staatlich organisiert. Das Land ist für 50 Jahre unbrauchbar!
Lieber Tom,
da bist du der erste, den es mit einem Koffer erwischt. Meist ist es besser, nicht in der Jadgsaison und auf Privatgrundstücken zu wandern.
Den Kahlschlag habe ich absichtlich nicht gezeigt, ich zeige ja auch keine Mülldeponien und die gibt es auch in den Highlands.
Der inzwischen abgeholzte Wald hinter unserem Haus gehört der Forestry Commission und wurde vor der Ernte den Anwohnern zum Kauf angeboten. Teile werden gerade wieder aufgeforstet.
Viele Grüße, Nellie